19. Juni 2000 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Weitere Filmpreise | Deutscher Filmpreis 2000 (2)

Triumph der Wirklichkeit

Die Verleihung des 50. Deutschen Filmpreises in Berlin

Die besten Momente bei Preisverleihungen passieren immer eher nebenher, dort, wo die Inszenierung Löcher bekommt und man dem Leben ins Drehbuch blicken kann. Da steht also die 62-jährige Monika Schindler auf der Bühne, die für den Schnitt von Gordian Mauggs Dokumentation „Hans Warns – Mein 20. Jahrhundert” ausgezeichnet wurde, und bedankt sich bei der Zweigstelle des Berliner Arbeitsamtes, die ihr nach der Wende erklärt hatte, sie sei mit über 50 und einer Behinderung nicht mehr vermittelbar. Das sei ihr Ansporn gewesen, es trotzdem zu schaffen – und sie hoffe, dass ProSieben diese Bemerkung nicht herausschneiden werde. Da werden dann Sonntag Nacht irgendeinem armen Beamten wohl die Ohren geklungen haben.

Womit wir bei einigen Problemen des Deutschen Filmpreises wären, der auch im 50. Jahr immer noch nicht die Bedeutung hat, die ihm alle wünschen würden. Zum einen zeigt schon der Sendetermin Sonntagabend um zehn, dass es sich dabei nicht gerade um eine Primetime-Veranstaltung handelt; zum anderen zeigt die Tatsache, dass vor allem dieser Moment in Erinnerung bleibt, wie rar die Szenen sind, in denen filmische Anerkennung und emotionale Anteilnahme zusammenfinden. Wenn man nach den Beifallsbekundungen im Saal geht, konnte da nur noch der Preis für Hannelore Elsner mithalten, der ihr für die Hauptrolle in „Die Unberührbare” verliehen wurde. Da war jene Begeisterung zu spüren, die man auch von den Oscars kennt, wenn sich das Gefühl breit macht, dass jemand zur rechten Zeit im rechten Film aufgetaucht ist und das Richtige getan hat.

Überhaupt war Oskar Roehlers „Unberührbare” – als Spielfilm des Jahres mit einem Filmpreis in Gold und einer Prämie von einer Million Mark versehen – unbestritten der Sieger des Abends, auch wenn Vadim Glowna unbegreiflicherweise als Nebendarsteller zu Gunsten von Edgar Selge (in „Drei Chinesen mit dem Kontrabass”) übergangen worden ist. Weitere Filmbänder in Silber (und jeweils 800 000 Mark) gingen an Leander Haußmanns „Sonnenallee” und an Sebastian Schippers „Absolute Giganten” – wobei die Tatsache, dass im einen Fall Detlev Buck und im anderen Tom Tykwer als Produzenten beteiligt waren, zeigt, dass es eine neue Generation von Filmemachern gibt, die begriffen hat, dass man sich in dieser Branche von jeder Autorenselbstherrlichkeit frei machen muss. Und dass Wim Wenders, stets sein eigener Mitproduzent, immer noch so präsent ist (in dem Fall mit einem Preis für den Besten Dokumentarfilm), hat vielleicht genau damit zu tun.

Stellt man in Rechnung, dass Henriette Heinze als Nebendarstellerin für Andreas Kleinerts „Wege in die Nacht” ausgezeichnet wurde, Uwe Ochsenknecht den Preis als Bester Hauptdarsteller für „Fußball ist unser Leben” bekam und „Gloomy Sunday” schon vor Monaten mit dem Drehbuchpreis geehrt worden war, dann hat jeder der nominierten Filme (neben einer Nominierungsprämie von einer halben Million Mark) ein Stück vom Preiskuchen abbekommen. Da kann man nicht meckern – auch über die Verteilung nicht. Dabei besteht die Jury nur aus zwölf Mitgliedern und wäre somit durchaus anfällig für unpopuläre Entscheidungen. Dennoch wäre es hilfreich, wenn es auch bei uns eine Akademie der Filmschaffenden gäbe, die wie bei den Oscars über die Preise abstimmt. Das würde sowohl das Gemeinschaftsgefühl wie das Selbstbewusstsein stärken, und beides sind Dinge, von denen der deutsche Film gar nicht genug haben kann.

Vor allem würde es der Veranstaltung jenen unsäglichen Publikumspreis ersparen, mit dem der ausstrahlende Sender und eine Programmzeitschrift den Filmpreisträgern quasi zu verstehen geben, dass ihre Filmbänder schön und gut sein mögen, aber die Zuschauer jenseits dieses Förderbiotops ganz andere Favoriten haben. In dem Fall waren das der Film „Anatomie” und seine Hauptdarstellerin Franka Potente, gegen deren Versuch, „erhobenen Hauptes die Multiplexe zu stürmen” (Regisseur Stefan Ruzowitzky) ja nichts einzuwenden ist, die aber auf dieser auch so ganz launigen Gala nicht wirklich etwas verloren hatten.

Der Freitagabend in der Deutschen Staatsoper Unter den Linden brachte allerdings eine Entscheidung, zu der eine Akademie wohl kaum fähig wäre: Der Preis für die Beste Regie ging nicht an einen Spielfilmregisseur, sondern an Pepe Danquart für seine Eishockey-Dokumentation „Heimspiel”. Das mag vielleicht daran liegen, dass außer ihm nur Wim Wenders (für „Million Dollar Hotel”) und Veit Helmer (für „Tuvalu”) und nicht die Regisseure der preisgekrönten Filme nominiert waren, aber eine schöne Überraschung ist das allemal. Sie zeigt – und das wurde durch den Preis für Wenders’ „Buena Vista Social Club” unterstrichen –, welche Kraft in dem gerne übersehenen Genre liegt und welche Chancen es gibt, wenn Spielfilmregisseure dort die Dinge zum Sprechen bringen. Einen vergleichbaren Triumph des Dokumentarischen gab es zuletzt in Frankreich, als vor ein paar Jahren „Mikrokosmos” zahllose Césars gewann.
Ein versöhnlicher Abend mit überwiegend begrüßenswerten Entscheidungen also. Und doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich diese Veranstaltung immer wieder auf dünnem Eis bewegt, dass es jenseits der Nominierungen nicht viel Preiswürdiges gegeben hätte, dass kaum etwas übersehen oder ignoriert wurde. Unter Umständen ist es aber nur so, dass drei Nominierungen eine falsche Selbstbescheidung sind und fünf Nominierte das Gefühl einer größeren Bandbreite erzeugen würden. Und je mehr Leute und damit Filme nominiert werden, desto größer wäre die Spannung und das Interesse der Branche. Es hat schon seinen Grund, warum das Rezept der Oscars so erfolgreich ist.

50 Jahre Filmpreis – da wurde eine Menge Geld unter die Leute gebracht. Die Veranstaltung ist ansehnlicher geworden, der Preis lebendiger, die Teilnehmer selbstbewusster. Man muss nur mal einen Blick auf die Preislisten früherer Jahre werfen, um zu erkennen, welch kuriose Kapriolen hier schon geschlagen wurden: 1951 gab es für den Besten Spielfilm noch den Wanderpreis „Goldener Leuchter”, im folgenden Jahr einen „Kopf mit Flügeln” für den Besten Problemfilm; 1953 gab es die Kategorien „Film, der zur Förderung des demokratischen Gedankens beiträgt” und „Neuartige (avantgardistische) filmische Leistung” – für letzteres eine Vase mit goldenem Zweig; 1958 dann „Bester Kulturfilm in Farbe von internationalem Rang” und „Bester Spielfilm mit besonderem staatspolitischem Gehalt”. . . Man kann also sagen: Das deutsche Kino hat einen verdammt weiten Weg zurückgelegt. Und wenn man sich das so ansieht, dann möchte man manchmal beinahe stolz darauf sein.

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