12. Oktober 1995 | Süddeutsche Zeitung | Bericht | Deutscher Film in Paris

Brezen, Bier und Beifall

"Fassbinder et encore...": Der deutsche Film sucht in Paris wieder ein Publikum

Davon träumen sie alle: Das deutsche Kino präsentiert seine Jahresproduktion in Paris, und die Besucherschlange steht über hundert Meter weit die Rue de Rennes hinauf, die Saint-Germain-des- Près mit dem Montparnasse verbindet. So war es jetzt tatsächlich, als bei dem Pariser Promotionfestival des deutschen Films in den Abendvorstellungen LES NOUVEAUX MECS (DER BEWEGTE MANN), QUI M’AIME (KEINER LIEBT MICH) oder FRÈRE SOMMEIL (SCHLAFES BRUDER) lief. Und natürlich vor allem bei MARTHA, der als Zugpferd der Reihe im Pariser Kino L’Arlequin den Titel FASSBINDER ET ENCORE… ermöglichte.

Das Arlequin ist gerade erst wieder eröffnet worden, und vielleicht ist seine Geschichte erst einmal interessanter als die Frage, was nach Fassbinder kam. Als es 1934 eröffnet wurde, war es der letzte Schrei. Die Pariser Elektrizitätswerke hatten sich ins Quartier Saint-Sulpice ein ultramodernes Bürogebäude stellen lassen, dessen Untergeschoß ein Kino beherbergte. Durch die großen Glasscheiben konnte man dem Lux-Rennes, wie es damals hieß, ins Getriebe blicken. Mitte der Fünfziger wurde es von Jacques Tati übernommen, der es in Arlequin umtaufte und dort unter anderem seine handkolorierte Fassung von JOUR DE FETE uraufführte. 1978 kam es nach mehreren Besitzerwechseln in die Hände der Russen, die es Cosmos nannten und dort im Laufe der Jahre 250 sowjetische Produktionen zeigten. Mit Glasnost wurde es dann langsam zum Filmkunstkino, was es auch nach seiner Renovierung und Rückbenennung in L’Arlequin geblieben ist.

Die Geschichte des Kinos ist also nicht weniger bewegt als die des deutschen Films in Frankreich. Wobei diese seit einiger Zeit an ihrem Ende angekommen zu sein scheint. Zeit also, die Frage zu stellen: Fassbinder – und sonst? Es ging der Export-Union des Deutschen Films nicht nur darum, ein paar Antworten zu geben, sondern vor allem die Frage überhaupt zu stellen. Denn die deutschen Filme, die in den letzten Jahren in Frankreich einen Verleih gefunden haben, kann man an einer Hand abzählen. Die Frage nach dem Warum ist vermutlich müßig. Auch in Frankreich ziehen immer weniger Filme immer mehr Zuschauer auf sich, und das sind in den seltensten Fällen europäische Filme.

Auch wenn die Franzosen immer noch um ein Vielfaches mehr Filme nach Deutschland exportieren als umgekehrt, so ließe sich durchaus auch die Frage stellen: Nouvelle Vague et encore…? Über die bekannten Größen hinaus gibt es auch bei uns kein sonderlich großes Publikum mehr für französische Filme. Godards letzte Filme kamen gar nicht mehr ins Kino, französische Erfolge wie DIE BESUCHER oder GERMINAL waren totale Flops, und was dazwischen liegt, sind hauptsächlich Fernsehproduktionen. Der große Unterschied liegt vor allem darin, daß die Franzosen, was die Selbstdarstellung ihres nationalen Kinos angeht, über mehr Selbstbewußtsein und mehr Geld verfügen. Bei uns gilt die Kultur von Staats wegen kaum mehr als ein Feigenblatt – im Zweifelsfall eher noch weniger.

In dieses Loch also stößt die Export- Union mit ihrer Werbewoche in Paris, wo es Brezen und Bier im Foyer gibt; sie baut damit natürlich eher auf langfristige Effekte. Immerhin gibt es Hoffnungen, daß Doris Dörries Film nach dem Erfolg hier doch noch ins Kino findet. Und über Sönke Wortmanns Film, der im nächsten Frühjahr ohnehin gestartet werden soll, wurde im Arlequin genauso gelacht wie bei uns – mit leichter Verspätung, weil schließlich erst die Untertitel gelesen werden mußten. 3500 Zuschauer für 16 Vorstellungen ist kein schlechter Schnitt, und dazu paßt, daß Jan Schüttes vorletzter Film DRACHENFUTTER in Paris mehr Zuschauer fand als in ganz Deutschland.

Peter Märtesheimer, der mit Margit Carstensen zum Eröffnungsabend mit MARTHA gekommen war, hat es in seiner kurzen Ansprache am treffendsten ausgedrückt. Nach dem Tod von Fassbinder, sagte er da, hätten sich alle nur noch wie auf Zehenspitzen durch das Haus des deutschen Films bewegt. Jetzt habe er allerdings den Eindruck, daß wieder lauter aufgetreten werde. Ist das wirklich so, fragt man sich, wenn man versucht, mit fremden Augen auf die deutschen Produktionen zu blicken.

Natürlich verbindet diese Filme so gut wie nichts miteinander, und schon gar nichts mit Fassbinder. Aber man könnte sagen, daß ein Wille erkennbar ist, Filme für ein wie auch immer geartetes größeres Publikum zu machen. Und in den besseren Filmen erkennt man das Bedürfnis, Deutschland nicht nur als bleiche Mutter zu porträtieren, sondern als Ort für Geschichten im Hier und Jetzt. Wenn das französische Kino seinen Charme daher bezogen hat, daß es den Alltag immer wieder in einen Platz für Kinoträume verwandelt hat, dann könnte man sagen, daß das deutsche Kino in dieser Hinsicht aufholt. So wie Deutschland bei Dörrie, Wortmann und Graf aussieht, gibt das in der Fremde durchaus eine Vorstellung von Heimat.

Daß sich die Export-Union da auch auf Filme verlassen hat, die weniger vom Resultat als vom Anspruch her Renommierproduktionen sind, mag auf den ersten Blick enttäuschen. Aber so wie es aussieht, muß die Auslandsvertretung des deutschen Films wohl erst einmal mit dem wuchern, was da ist: Klaus Maria Brandauer und den Roman „Schlafes Bruder“ kennt man eben auch in Frankreich – die etwaigen Alternativen wie DIE MEDIOCREN oder LOOOSERS! nicht einmal bei uns. Vielleicht ist das die Losung für die Zukunft: Ihr werdet uns schon noch kennenlernen!

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