18. März 1996 | Jetzt Magazin | Bericht, Oscars | Academy Awards 1996 (3)

Kultur Spezial - Film

Die Oscars werden vergeben

Und alle sind ratlos

Natürlich kann es die Academy keinem recht machen. Gibt es klare Favoriten, maulen alle. Gibt es keine, regen sich erst recht alle auf. Der Oscar für SCHINDLERS LISTE? Haben alle gewußt. Der Sieg von FORREST GUMP? War jedem klar. Und nun? Ratlosigkeit allenthalben, gequälte Gesichter überall; selbst erfahrene Oscar-Beobachter raufen sich die Haare.

Fangen wir von vorne an. HALLO MR. PRESIDENT ist so ziemlich genau der Film, den die Amerikaner lieben. Patriotisch, menschlich, amüsant. Leider ist der Film trotzdem nicht nominiert. Vermutlich ist er zu amüsant. Also APOLLO 13. Patriotisch, menschlich, nicht zu amüsant. Ist auch nominiert, aber der Regisseur Ron Howard nicht. Und diese Konstellation gewinnt selten. Genauer gesagt gab’s das in den letzten 68 Jahren nur zweimal. Außerdem war APOLLO 13 über weite Strecken sturzlangweilig.

Nächster bitte, SINN & SINNLICHKEIT. Erfüllt alle Ansprüche, aber Regisseur Ang Lee ist auch nicht nominiert. Wird also auch nichts, dafür bekommt Emma Thompson den Preis fürs beste Drehbuch. DER POSTMANN”? Gilt als Überraschungserfolg, daß er überhaupt nominiert wurde. Der Hauptdarsteller Massimo Troisi ist kurz nach Ende der Dreharbeiten gestorben, das bringt eine gewisse Tragik ins Spiel, die die Academy mag. Trotzdem bleibt der Film ein Außenseiter.

Also das SCHWEINCHEN NAMENS BABE. Haben alle gesehen, fanden alle lustig und gut gemacht. Aber die Academy besteht zur Hälfte aus Schauspielern, und die werden kaum einen Film auszeichnen, der auf ihresgleichen pfeift. Bleibt BRAVEHEART von und mit Mel Gibson. Ist von epischer Breite. Gibt sich patriotisch (auch wenn’s um Schotten geht). Dummerweise gab es außerhalb der Academy kaum einen Menschen, der davon richtig begeistert war. Die Reaktionen waren im besten Falle freundlich, meistens jedoch lauwarm. Ein DER MIT DEM WOLF TANZT jedenfalls ist BRAVEHEART beim besten Willen nicht. Außerdem sieht man ja am Beispiel von Kevin Costner, was man mit dem Preis so anrichten kann.

Wer also kriegt den Oscar? Keine Ahnung. Alles sprach für LEAVING LAS VEGAS – ehe er bei den Nominierungen übergangen wurde. Aber wenigstens kann man sich bei den Schauspielern festlegen: Bei den Männern gewinnt Nicholas Cage, der in LEAVING LAS VEGAS einen Trinker spielt. Dagegen können auch Anthony Hopkins als NIXON, Sean Penn als DEAD MAN WALKING und Massimo Troisi als Toter nicht an. Und bei den Frauen gewinnt Susan Sarandon für DEAD MAN WALKING, weil sie seit Jahren überfällig ist. Meryl Streep hat schon, Elisabeth Shue (LEAVING…) braucht noch keinen, Emma Thompson kriegt einen fürs Drehbuch, und Sharon Stone ist mit der Nominierung für CASINO reichlich genug beschenkt. Ansonsten ist dies definitiv das Jahr der Blinden.

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