18. Oktober 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Moulin Rouge

Ein Australier in Paris

Willkommen zurück in der Spaßgesellschaft: Baz Luhrmanns kunterbuntes Knallbonbon "Moulin Rouge"

„Die Röte des Rots von Technicolor“ heißt ein berühmtes filmtheoretisches Buch von Hartmut Bitomsky, und es ist kein Zufall, daß einem dieser Titel durch den Kopf geht, wenn man MOULIN ROUGE sieht. Dieses alte Farbverfahren, das Musicals einst in so sattem Rot, Gelb und Blau erstrahlen ließ, sehnt man sich für diesen Film herbei – falls man im flotten Treiben überhaupt Zeit für ein Gefühl wie Sehnsucht findet. Als wäre die berühmte Mühle nicht schon rot genug, hat der Film quasi noch zusätzlich Rouge aufgelegt. Alles an ihm ist Schminke, künstliche Erregung und augenzwinkernde Verführung. Bild für Bild zieht er seinen Lidstrich nach, Einstellung für Einstellung pudert er die Nase nach, Szene für Szene scheint er um unsere Gunst zu buhlen. Das kann natürlich nicht gutgehen. Aber davon braucht man sich den Spaß nicht verderben zu lassen.

Der Australier Baz Luhrmann hat schon mit STRICTLY BALLROOM und WILLIAM SHAKESPEARE’S ROMEO AND JULIA bewiesen, daß er ein Meister des Recyclings ist, ein Runderneuerungsspezialist für Genres, denen schon vor längerem die Luft ausgegangen ist. Ganz unbeschwert frönt er seiner Lust am Spektakel, indem er den alten Trott einfach neu choreographiert. Um so erstaunlicher, daß ausgerechnet in seinem neuen Film die Choreographie zu kurz kommt. Gerade im Moulin Rouge scheint er vor lauter Beinen den Tanz nicht mehr zu sehen und nur noch Augen zu haben für die Bewegungen der Kamera, die als einzige Schwung in die Bude bringt. Andererseits ist die Art, wie Don McAlpines Kamera übers Parkett fegt, durch die Boudoirs gleitet und sich über die Dächer erhebt, allein schon die reinste Schau.

Schon der einleitende Flug auf den Montmartre zu ist ein kleines Wunder digitaler Aufbereitung, in dem das reglose Staunen über die simplen Tricks eines Meliès auf die Atemlosigkeit einer entfesselten Kamera trifft. Man erlebt eine Geisterbahnfahrt ins Reich der Sünde, wo die erotischen Sensationen natürlich auch nicht mehr sind als die mechanischen Schreckgestalten, die in den Fahrgeschäften hinter den Ecken lauern. Im Grunde ist das ja schon im French Can-Can ritualisiert, wo man beim Blick unter die Röcke in Wahrheit auch nichts zu sehen kriegt. Und so, wie sich dort das Begehren in Bewegung auflöst, so zerlegt auch Luhrmann jede emotion in motion.

MOULIN ROUGE spielt im Jahr 1899, als die Spaßgesellschaft des Fin de siècle allerlei Träumer anzog. Einer von ihnen ist Christian (Ewan McGregor), der gar nicht so schnell den Wunsch fassen kann, Schriftsteller zu werden, wie ihn Toulouse-Lautrec (John Leguziamo) und seine Bohème-Kumpanen in diese Rolle drängen. Es kommt, wie es kommen muß: Er verliebt sich in die schöne, aber schwindsüchtige Tänzerin Satine (Nicole Kidman), die jedoch als Unterpfand einem Geldgeber versprochen ist, der in die neue Show des Moulin Rouge zu investieren bereit ist. So weiß man bald nicht mehr, ob die Geschichte wirklich in Paris spielt – oder doch eher in Hollywood, wo sich auf ähnliche Weise Ambition und Prostitution vermählen.

Ernst Lubitsch hat einst verkündet, es gebe das Paris der Paramount, das Paris von MGM und das Paris in Frankreich. Unter diesen drei Paris sei das von Paramount das pariserischste. Tatsächlich konnte man dieses Jahr die Geburt der Stadt Paris aus dem Geist der Kitschpostkarte erleben. Nachdem Amélie Poulain den Montmartre in eine Spielwiese verwandelt hat, gibt ihm nun Luhrmann den Rest. Das längst zur Touristenfalle verkommene Künstlerviertel wird, wenn schon nicht mit neuer Bedeutung, so doch mit neuer Spannung aufgeladen, und Sacré Coeur erstrahlt so weiß wie nie. Wo Jean-Pierre Jeunet das Quartier in neue Geschichten eingesponnen hat, da drückt ihm Luhrmann im Artwork zu seinem Film einfach ein paar Stempel auf: Truth, Beauty, Freedom & Love – als handle es sich dabei um eingetragene Warenzeichen.

In gewisser Weise gilt das im Musical ja auch. Denn das Genre lebt – wie auch Alain Resnais in „Das Leben ist ein Chanson“ so schön vorführte – von der Einsicht, daß kein Gefühl so unverwechselbar ist, daß es nicht in irgendeinem silly love song seinen angemessenen Ausdruck fände. So stehen die Liebenden auf dem Dach unter einem nachtblauen Studiohimmel und becircen einander mit einem Medley der unterschiedlichsten Liebeslieder, von „All you need is love“ über „One more night“ bis „Up where we belong“. Das ist nicht etwa Mangel an Originalität, sondern der im Grunde faszinierende Versuch, aus lauter Gebrauchtteilen ein neues Vehikel zusammenzuschrauben. Godards Provokation, er habe seinen Film auf dem Müllplatz gefunden, nimmt MOULIN ROUGE beim Wort. Der Film besteht ausschließlich aus Versatzstücken, die neu montiert werden: „Roxanne“ von Police wird so zum Tango, „Material Girl“ von Madonna zur Hymne der Prostitution und „Your Song“ von Elton John zur Liebeserklärung. Schon zur Blütezeit des Musicals haben die Studios nie so recht der Originalität ihrer Komponisten vertraut und sicherheitshalber bei der Hälfte der Songs aufs Repertoire zurückgegriffen, damit dem Publikum im Zweifelsfall wenigstens der Wiedererkennungseffekt blieb. Es heißt, allein die Beschaffung der Song-Rechte habe bei MOULIN ROUGE zweieinhalb Jahre beansprucht.

Wenn man böse wäre, könnte man sagen, daß die Machart des Films an Dr. Frankenstein erinnert und das Ergebnis folglich nur ein Monster sein kann. Aber es ist eher so, daß man erstaunt dem Gelingen dieser Operation beiwohnt und jene Teile, die unbelebt bleiben, geflissentlich übersieht. Aber sicher kann man sagen: Die Spaßgesellschaft lebt – und doch ist sie nur ein Wiedergänger.

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