03. Juli 1997 | Süddeutsche Zeitung | Film-Tips, Rezension | Dreimal Liebe

Filmfest München: Ansichtssachen

Lets get naked!

Das Festival der großen Gefühle stellt uns vor allem vor die Frage, was denn eigentlich die kleinen Gefühle sein sollen. Niesreiz, Sodbrennen, Harndrang? Und gibt es für die auch ein Festival? Große Gefühle hingegen will sagen: Männer und Frauen, Gott und die Welt, die Liebe und das Leben. Greifen wir also hinein in diese Wundertüte. Drei Mal die Liebe – und immer geht es voll in die Hosen. Wie das eben so ist.

Jennifer Jason Leigh spielt in Anjelica Hustons Regiedebüt BASTARD OUT OF CAROLINA (15 Uhr, Carl-Orff-Saal) wieder eine jener Frauen, die ihr Herz so leichtfertig verlieren wie andere Leute ihren Schlüsselbund. Am Anfang fliegt sie schwanger durch eine Windschutzscheibe, und fortan ist ihre Wahrnehmung irgendwie verzogen. Ihre ländliche Zurückhaltung hindert sie nicht daran, sich mit großer Heftigkeit immer in den Falschen zu verlieben. Und während man sich noch fragt, wohin dieses glänzend besetzte Narrenschiff aus dem amerikanischen Süden eigentlich steuern soll, nimmt es auf einmal eine scharfe Wendung. Der neueste Lover der glücklos Liebenden vergreift sich an der Tochter, und je öfter er sie schlägt, desto heftiger verschließt die Mutter die Augen davor. Irgendwann kommt die Schwägerin dahinter und schickt die Jungs der Familie los. Wenn man sich im Kino je gewünscht hat, daß jemand richtig verdroschen wird, dann hier.

Weit entfernt von den Sumpfblüten Carolinas spielt Manoel de Oliveiras FEST (22. 30 Uhr, Carl-Orff-Saal), der im portugiesischen Original PARTY heißt. Zwei Eheleute geben zu ihrem zehnten Hochzeitstag auf ihrem herrschaftlichen Anwesen auf den Azoren ein Fest, zu dem auch Michel Piccoli und Irene Papas eingeladen sind. Man redet mehr oder minder klug daher und treibt ein fahrlässiges Spiel mit der Liebe, aus dem plötzlich Ernst wird. In strengen Tableaus zeigt der 88jährige Meister, daß sich Erwachsene in Liebesdingen verhalten wie Kinder, die mit dem Feuer spielen. Sie nehmen reißaus, während hinter ihnen alles abbrennt.

Und noch ein Wiedersehen der besonderen Art: Unter freiem Himmel läuft am Gasteig ab 22. 30 Uhr Sharon von Wietersheims WORKAHOLIC, für den Festivalchef Eberhard Hauff letztes Jahr ganz offen Werbung machte, obwohl der Film im Rennen um den Hypo-Preis mitmischte. Andere Leute müssen für so etwas ihren Hut nehmen, aber das ist eben liberalitas bavariae: Die Freiheit, die Hosen runterzulassen, wann und wo man will. Kein Film für Schlafanzugträger, meinte Hauff damals. In diesem Sinne: Lets get naked!

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