03. Juli 2001 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Jacqueline Bisset

Call Me!

Jacqueline Bisset bekommt den CineMerit Award

Zur Feier des Tages wollen wir gleich mal ein altes Vorurteil bestätigen: Natürlich wird man Filmkritiker, um leichter an schöne Frauen ranzukommen. Das gibt es schließlich in keinem anderen Beruf der Welt, dass man Zeit mit Stars verbringen darf, nach denen sich die halbe Welt verzehrt. Und tatsächlich ist man dumm genug, sich einzubilden, es sei bei so einem Treffen tatsächlich alles möglich – was natürlich nie der Fall ist. Die Begegnungen sind ganz im Gegenteil in der Regel eher enttäuschend, weil das wirkliche Leben eben kein Kino ist – und man selbst schon gar nicht der Typ, dem im richtigen Moment die richtigen Sätze einfallen. So sitzt man dann da und versucht, klüger zu wirken, als man ist. Interviews sind vor allem Situationen, in denen das Leben das Kino auf die Probe stellt – und dabei meistens unterliegt.

Ein einziges Mal war es anders. Aus Gründen, die auf der Hand liegen, war Jacqueline Bisset der Traum meiner schlaflosen Jugendnächte. Und als sich 1985 die Gelegenheit bot, sie für den Film VERSTECKT zu interviewen, habe ich mich darauf eingelassen. Vor dem Termin im Berliner Hotel Kempinski war ich dann so nervös, dass ich von der Pressebetreuerin praktisch in die Hotelsuite getragen werden musste. Das Interview lief dann vergleichsweise kontrolliert ab: eine halbe Stunde Fragen und Antworten, stets am Rande der Ohnmacht. Es ging mir wenigstens nicht wie Antoine Doinel, der in dem Truffaut-Film GESTOHLENE KÜSSE zu der von ihm angebeteten Delphine Seyrig nach Hause eingeladen wird und vor lauter Nervosität auf die Frage, ob er einen Kaffee wolle, antwortet: „Oui, Monsieur.”

Ich hatte das Interview also überlebt, und die Sache wäre nicht weiter der Rede wert gewesen, wenn nicht am selben Abend noch ein Empfang des Berliner Bürgermeisters für Jacqueline Bisset stattgefunden hätte. Ich stand in einem Saal mit Hunderten von Leuten, als die Tür aufging und Mrs. Bisset den Raum betrat, naturgemäß nahezu überirdisch schön. Alle klatschten, als sie den Raum durchquerte und…auf mich zuging. Ich schaute mich um, ob vielleicht der Bürgermeister neben mir stand oder sonst eine prominente Figur. Keiner zu sehen. Man versucht dann zwar, betont unbeteiligt dreinzublicken, aber das Blut wich langsam aber merklich aus dem Kopf. Tatsächlich kam die definitiv schönste Frau der Welt direkt auf mich zu, sagte „Hi!”, sprach ein paar Sätze, die ich kaum wahrnahm, und drückte mir ihre Visitenkarte in die Hand, auf der ihre Telefonnummer stand, und sagte, wenn ich mal in Los Angeles sei, solle ich sie doch anrufen. Völlig unerklärlicher, geradezu virtueller Vorfall – ich habe selbstverständlich nie angerufen.

Aber die Episode erklärt, warum die Frau bis heute zu den großartigsten Schauspielerinnen aller Zeiten gehört. Call me! Natürlich gibt es auch ein paar objektive Gründe, warum Jacqueline Bisset heute den CineMerit Award verliehen bekommt. Wenn man mal von dem nassen T-Shirt absieht, das sie in DIE TIEFE trug, und ihrem Auftritt als Lichtgestalt in UNTER DEM VULKAN, dann wäre das vor allem jener Moment in dem allgemein unterschätzten Film DER RICHTER UND SEIN HENKER, in den Regisseur Maximilian Schell eine Szene einbaute, die nicht in der Romanvorlage von Dürrenmatt stand. Da verlässt der Bösewicht Robert Shaw in der Frühe das Haus und will sich von seiner Frau Jacqueline Bisset verabschieden, die noch im Bett liegt. Aber als er sich herabbeugt, um sie zu küssen, dreht sie sich weg und sagt: „Nicht. Ich habe einen schlechten Geschmack im Mund.” Mehr nicht.

Mal davon abgesehen, dass schöne Frauen im Kino in der Regel dazu da sind, geküsst zu werden, und Jacqueline Bisset ungeschminkt natürlich noch aufregender aussieht als mit Make-up, besitzt diese Geste eine Art von Welthaltigkeit, mit der in der Welt des Films sonst kaum gerechnet werden kann. „Nicht. Ich habe einen schlechten Geschmack im Mund.” Ist es nicht das, was unsere Träume antworten, wenn wir versuchen, uns ihnen zu nähern?

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