02. Oktober 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Porträt | Michael Cimino

Michael Cimino oder: Gut, dass es Franzosen gibt

Nichts verblaßt in Hollywood so schnell wie der Ruhm – wenn man auf der falschen Seite der Kamera steht. Wo Schauspieler irgendwann von ihrem Image zehren können, da sind Regisseure immer nur so viel wert wie die Einspielergebnisse ihres letzten Films. Man muß sich nur mal ansehen, was aus jener Generation wurde, die im New Hollywood Mitte der siebziger Jahre den Ton angab.

Coppola, Altman und Scorsese haben überlebt, aber Bob Rafelson (FIVE EASY PIECES), Jerry Schatzberg (THE PANIC IN NEEDLE PARK), Peter Bogdanovich (THE LAST PICTURE SHOW), William Friedkin (THE FRENCH CONNECTION) können froh sein, wenn sie überhaupt noch Filme drehen dürfen. Selbst eingefleischte Kinogeher müßten ziemlich lange nachdenken, wann sie zuletzt von dieser Regie-Riege etwas gehört haben. Das gilt natürlich auch für Michael Cimino, der zu den schillerndsten Figuren jener Ära gehört, die heute so gründlich vergessen scheint. 1978 war er noch king of the world, nachdem sein zweiter Film THE DEER HUNTER – DIE DURCH DIE HÖLLE GEHEN fünf Oscars gewonnen hatte. Aber schon sein Nachfolgeprojekt HEAVEN’S GATE lief zwei Jahre später so aus dem Ruder, daß es ein ganzes Studio in den Ruin trieb – und es gibt durchaus glaubhafte Schilderungen, die dafür Ciminos Herrschsucht und Detailversessenheit verantwortlich machen.

Trotzdem gelang Cimino in den Achtzigern noch ein kontroverses Meisterwerk wie IM JAHR DES DRACHEN. Von seinen Folgeprojekten DER SIZILIANER (1987), 24 STUNDEN IN SEINER GEWALT (1990) oder SUNCHASER (1996) kann man jedoch mit Fug und Recht behaupten, daß sie kaum mehr jemand sehen wollte.

Seit fünf Jahren hat er nun keinen Film mehr gedreht und ist in Hollywood völlig vergessen – und das ist dort schlimmer als der Tod. Anders in Frankreich. Dort wurde mit Hilfe der Autorentheorie schon so mancher Regisseur vor dem Vergessen bewahrt – nun auch Michael Cimino. Im September wurde er in Deauville zum Chevalier des arts et lettres geschlagen, und es erschien bei Gallimard zeitgleich sein erster Roman „Big Jane“ – eine amerikanische Ausgabe gibt es kurioserweise nicht. Cimino ist von dieser French Connection deswegen so begeistert, weil er gerade versucht, eine Verfilmung von André Malraux‘ CONDITION HUMAINE in China auf die Beine zu stellen. Ob daraus etwas wird, ist so ungewiß wie bei den anderen 46 Drehbüchern, die Cimino im Laufe seines Lebens verfaßt hat – darunter waren auch Adaptionen von Truman Capotes HANDCARVED COFFINS oder ein Dostojewski-Biopic mit Raymond Carver. Fürs erste muß man sich also mit der französischen Version seines durch und durch amerikanischen Romans begnügen, der nach Ciminos Aussagen versucht, zwei Themen zu verschmelzen: „Melville hat gesagt, Amerika sei vor allem: Raum – und Kerouac hat gesagt, es sei: Geschwindigkeit.“

So erzählt er von diesen beiden vor allem kinematographischen Kategorien, indem er einem Pärchen im Jahr 1951 auf dem Motorrad von Long Island in die Weiten von Montana und Dakota folgt, während in der Ferne der Korea-Krieg tobt. Das Ganze ist tatsächlich weniger ein Filmstoff als ein Amalgam verschiedener Obsessionen, mit denen sich der Regisseur in seiner Karriere auseinandergesetzt hat – so daß man beim Lesen unwillkürlich auf ein Reservoir von Erinnerungen zurückgreift. Gut, daß es Franzosen gibt.

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