04. September 1998 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Venedig | Venedig 1998 (6)

55. Mostra von Venedig

Der Heilige von Hollywood

Mit Steven Spielbergs „Saving Private Ryan” wurden die Filmfestspiele eröffnet

Er hat alle Rekorde gebrochen und damit Hollywood neu erfunden, hat lange auf den Oscar gewartet und ihn mit „Schindlers Liste” endlich bekommen, wird nächste Woche das Bundesverdienstkreuz umgehängt bekommen und als nächstes wahrscheinlich heilig gesprochen.

Steven Spielberg wurde als Wunderkind geboren und hat das Kino mit der Losung erobert: „Gib Gas, ich will Spaß!” Irgendwann ist er erwachsen geworden und hat erkannt, daß es nicht genügt, mit immer größeren Spielzeugen die Welt zu erobern und dabei immer reicher zu werden – fortan wurde Geschichte geschrieben: Shoah, Sklaverei, Zweiter Weltkrieg. Und zu jedem Kapitel der Menschheit das letzte Wort. Wenn man so will, dann sogar zur Urgeschichte der Welt: „Jurassic Park”, zum ersten, zum zweiten und bald auch zum dritten.

Dies ist die Geschichte des amerikanischen Traums: Erst werden die Millionen gemacht, dann die Moral entdeckt. Auf die Entdeckung der Machbarkeit folgt die Erkenntnis der Mildtätigkeit. So funktioniert Amerika: Der Staat pfeift auf die Kultur und rechnet mit der Dankbarkeit derer, denen er den Erfolg ermöglicht hat. So entstehen Stiftungen, Programme und ganze Museen. Im Falle Spielbergs ist das die Shoah Foundation, die den Holocaust dokumentiert, ehe es zu spät ist; und der Regisseur läßt den Taten weitere Filme folgen, die sich der Sache der Gerechten annehmen, zuletzt mit etwas weniger Erfolg „Amistad”, nun mit gewaltiger Resonanz „Saving Private Ryan”. Er verwandelt ferne Geschichte in hautnahe Geschichten, macht begreifbar, was verloren schien, und macht die Historie, wie es seine Art ist, begehbar: Der Weltkrieg als Erlebnispark. Und mit der Eintrittskarte löst man die Garantie, daß die Geschichte auch eine Moral hat.

Wenn man das auf einem Fußballfeld aufgebaute Pressezelt des Palalido verläßt, dann klingen unter dem Abspann noch die Choräle von John Williams’ Musik nach, so daß man sich tatsächlich fühlt, als verlasse man einen Gottesdienst: etwas bedrückt, sehr nachdenklich, aber doch gereinigt. Man möchte einer alten Frau über sie Straße helfen, so sehr predigt Spielberg hier die gute Tat.

„Saving Private Ryan” ist ein Monument, ein Film wie ein Kriegerdenkmal, das auf dem Heldenfriedhof von Arlington einen würdigen Platz fände. Erzählt wird die Geschichte eines Trupps Soldaten, der unter massiven Verlusten die Landung in der Normandie 1944 übersteht und dann den einigermaßen absurden Befehl bekommt, einen Soldaten zu retten, dessen drei Brüder zur selben Zeit in verschiedenen Winkeln der Welt gefallen sind. Das ist in den Wirren von D-Day so, als ob man eine Nadel im Heuhaufen suchen müsse, und Spielberg läßt keinen Zweifel daran, daß das Unternehmen eine reine PR-Aktion ist, die ersonnen wurde, um einer Mutter in Iowa wenigstens einen von vier Söhnen zurückgeben zu können. So umgeht Spielberg von vornherein den Verdacht, der Patriotismus diene ausschließlich der gerechten Sache. Das Kommando „Saving Private Ryan” steht für den Wahnsinn, die Maßlosigkeit des Krieges – die Aufgabe von Spielberg und seinem Platoon ist es, das Beste daraus zu machen, im Unsinn doch einen tieferen Sinn, in der x-beliebigen Geschichte eine Moral zu finden.

Wie bei fast jedem Kriegsfilm gilt auch für diesen, daß er noch genauer, überwältigender und, wenn man das so sagen darf, besser ist als alle bisherigen. Er trägt unseren veränderten Sehgewohnheiten Rechung und präsentiert den Krieg auf eine Art als Höllensturz, wie man das noch nicht erlebt hat. Die erste halbe Stunde ist der Landung an Omaha Beach gewidmet, jenem selbstmörderischen Unternehmen, bei dem unter immensen Verlusten die deutschen Stellungen durchbrochen wurden. Und wenn die Kamera von Janusz Kaminski dabei Ungesehenes vollbringt, so schafft die Tonspur Unerhörtes. Die Schreckensherrschaft, die dieser Anfang ausübt, ist ein Anschlag aufs Trommelfell. Das fortgesetzte trockene Knattern der deutschen Maschinengewehre, das nur von Granatenexplosionen unterbrochen wird, gleicht keinem anderen Geräusch in der Filmgeschichte. Klackklackklack – man möchte nur, daß es endlich aufhört. Terror in Dolby-Stereo.
Orson Welles hat mal gesagt: Ein Dichter brauche einen Stift, ein Maler einen Pinsel, aber ein Regisseur eine ganze Armee. Nie war der Spruch zutreffender als hier. Man kann nicht anders, als hinter dem Krieg, um den es geht, die Armee und Logistik zu sehen, die nötig war, um diese komplexe Choreographie des Tötens und Getötetwerdens zu inszenieren. So sehr die Dynamik des Geschehens gefangen nimmt, so wenig kann man den Motor dahinter vergessen. Nie löst sich der Film von der Vorgabe, nie gönnt er seinen Zuschauern eine Verschnaufpause. Selbst in den stilleren Momenten fühlt man sich manipuliert.

Andererseits war das schon immer Spielbergs Absicht, und in dieser Hinsicht funktioniert er hier perfekt wie eh und je. Allerdings hat man bei all den Vorschußlorbeeren auch mal das Gewäsch satt, hier werde die Sinnlosigkeit der Kriege in nie dagewesener Eindringlichkeit geschildert. Wie kommt es dann, daß Renoir schon 1937 in „La grande illusion” dasselbe gelungen ist, ohne die ganze Kriegsmaschinerie in Gang zu setzen?

Vielleicht ist das ja die große Illusion, daß man den Krieg immer genauer, drastischer, blutiger inszenieren müsse, um noch einen Abschreckungseffekt zu erzielen. Ein bißchen Menschlichkeit und gesunder Menschenverstand genügen manchmal schon. Jedesmal fallen alle auf die Propaganda herein, nur der Krieg könne vom Krieg abschrecken. Damit wurden Kubricks „Full Metal Jacket”, Oliver Stones „Platoon” und nun Spielbergs „Saving Private Ryan” wortreich verteidigt. Die Wahrheit ist, daß alle drei im Krieg ein tolles Spielzeug sehen, vor dessen Mißbrauch sie glauben, warnen zu müssen. Dabei handelt es sich nur um drei Sandkastengeneräle, die sich nicht die Finger verbrennen wollen.

Das Problem ist nicht, daß jemand einen Kriegsfilm macht – das Problem ist, daß jemand einen Kriegsfilm macht, weil er vor dem Krieg warnen will. Weil er es besser weiß. Weil er der gerechten Sache dient. Wenn Spielberg das tun will, dann soll er sich zu Wort melden, wenn der Irak angegriffen wird oder Lybien. Gegen den Zweiten Weltkrieg zu sein, erfordert weißgott keinen außerordentlichen Mut mehr.

Die drei Botschaften von „Saving Private Ryan” lauten unterdessen: Lebe dein Leben so, daß deine Vorfahren auf sich stolz sein könnten. Lebe es so, daß sie nicht umsonst im Krieg gefallen sind. Und verschone nie einen Feind, denn es könnte sich rächen. Am Ende weht wie am Anfang die amerikanische Flagge. Das ist schon in Ordnung. Aber es ist schon ein bißchen viel verlangt, den ganzen Unfug von Opfermut und Vaterland auch heute noch schlucken zu müssen. Brillante Filme hat Spielberg schon immer gemacht, aber früher war er nicht so anmaßend, wie ein schlechter Vertreter auch noch seine Moral dazu verkaufen zu wollen.

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