Tod in Venedig
Ankommen in der Stadt der 55. Internationalen Filmfestspiele
Bei der Ankunft kein Boot weit und breit. Der Kanal vom Flughafen in die Stadt, heißt es, sei gesperrt. In der Nacht seien dort zwei Boote zusammengestoßen, es habe Tote gegeben, eine Leiche werde noch vermißt. Damit kein Schlamm aufgewirbelt wird und die Froschmänner ungehindert suchen können, hat man die Wasserstraße gesperrt.
Man kann es sich vorstellen: Ein Toter treibt unter Wasser, die Haare schweben wie Seetang in der Strömung, die Augen blicken starr ins Nichts.
Vielleicht ist der Tod nur ein schrecklicher Zufall, womöglich ist er fingiert. So beginnen Filme – und manchmal offenbar auch Festivals.
Am Anfang ist immer alles ein Versprechen. Jeder Titel, jeder Regisseur, jeder Name lädt ein, sich tausend Geschichten vorzustellen. Am Ende wird man wissen, ob das Programm gehalten hat, was sich die Einbildung erträumte. Und wie immer werden Filme dabei sein, die mehr zu bieten haben als die 1001. Variation der immer selben Geschichten. Vielleicht schon mit Steven Spielberg, der mit „Saving Private Ryan” das Festival heute Abend eröffnet; womöglich auch erst mit Doris Dörrie, die mit „Bin ich schön?” das Programm am Sonntag in zehn Tagen beendet. Wahrscheinlich irgendwo dazwischen: wenn Lola rennt – oder bei Spike Lee, James Ivory, Peter Weir, Stephen Soderbergh, Woody Allen, Abel Ferrara, Bryan Singer, Lucian Pintilie, Emir Kusturica, Claude Lelouch, Eric Rohmer, den Tavianis oder bei der Premiere des jungen deutsch-türkischen Regisseurs Yilmaz Arslan – oder ganz woanders?
Man sieht schon, daß das Festival in der Papierform zu den schönsten Hoffnungen berechtigt. Festivalchef Felice Laudadio hatte erstmal ganz andere Probleme. Spielbergs Entourage und all den anderen wichtigen und sehr wichtigen Leuten mußte er einen Luxusliner anmieten, um sie standesgemäß unterzubringen. Und die Italiener monieren, daß das italienische Kino über die Reihen verstreut und nicht gesondert gezeigt wird. Aber das sind Fragen der Logistik – und die haben im Reich der Träume nichts zu suchen.
MICHAEL ALTHEN