27. April 2000 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Unter Tränen fragend

Der blinde Fleck

Das erste Opfer des Krieges ist die Sprache: Peter Handkes Reiseaufzeichnungen "Unter Tränen fragend"

Es gab immer ein paar gute Gründe, sich auf Bücher von Peter Handke zu freuen. Auch wenn er die erzählerische Leichtigkeit – vielleicht sollte man sagen: Flüssigkeit – früherer Jahre gegen eine gewisse Gesuchtheit, eine mitunter sperrige Wortwörtlichkeit eingetauscht hatte, so herrschte doch immer dieselbe Sorgfalt des Ausdrucks, eine Liebe zur Sprache, ihrem Klang, ihrer Musik. Doch dann kam der Krieg gegen Jugoslawien, und selbst wenn man gewisse Sympathien für ihn hegte, weil er nicht mit den Wölfen heulte, sorgte seine Blindheit in serbischer Sache erst für Verständnislosigkeit, dann für Verdruss und letztlich für Verärgerung. Der Mann stellte sich so total ins Abseits, dass man nun getrost behaupten kann, dass sich auf Handkes neues Buch niemand mehr ernsthaft freut. Und auch dafür gibt es mittlerweile ein paar gute Gründe.

„Unter Tränen fragend” also, nach der „Sommerlichen Reise” und dem „Winterlichen Nachtrag” Handkes dritter literarischer Ausflug ins Kriegsgebiet, im Untertitel präzisiert als „Nachträgliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, März und April 1999” (Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2000, 160 Seiten, 36 Mark; Teile dieser Aufzeichnungen sind übrigens schon in dieser Zeitung erschienen, siehe dazu SZ vom 5./6.Juni 99).

Natürlich, so setzt Handke voran, sei er versucht gewesen, „ein halbes Jahr nach Kriegsende, ein paar Anmerkungen anzufügen; habe das aber bleiben lassen”. Es gibt in diesem Buch kein Wenn und Aber und Vielleicht, keinen Zweifel an der eigenen Position oder Wahrnehmung, nicht einmal im Nachhinein. Nirgends verspürt Handke das Bedürfnis, etwas gerade oder sich selbst in ein besseres Licht zu rücken, sondern beharrt auf seinen mit Stolz und voller Trotz hervorgebrachten Behauptungen, Serbien sei Opfer einer Weltverschwörung, einer mutwilligen Kriegstreiberei, an der vor allem die westlichen Medien mitgewirkt und verdient hätten.

Es gab ja durchaus ein paar Gründe, am Kriegseinsatz der Nato zu zweifeln, und diese Zweifel wurden auch geäußert. Hier zu Lande ist das nämlich erlaubt. Und tatsächlich mag manche Empörung wohlfeil, manches Urteil voreilig, manche Parole überzogen gewesen sein – aber für Handke ist nichts von alledem verhandelbar. Seine Worte dafür sind: „Giftschlammschmeißer, Kriegsbraut, West-Propaganda, Kriegsgebrüll, Zuschlag-Wörter, Bilder-Pornographie, Fletsch-Gebiss, Schlagstockmeinung, Elends-Touristen, Übelwoller, Verbrecherwelt”. Und dazwischen immer wieder sein scheinheiliger Abgesang: „Es war einmal eine Zeitung”, El País, Le Monde, Die Zeit…Sein letzter Satz lautet: „Das Zeitalter der Information ist vorbei. ”

So ein Satz trifft vor allem zu für jemanden, der an Information gar nicht mehr interessiert ist, der nur noch glaubt, was er selber sieht und zum Dichterwort formen kann. Peter Handke schreibt, das erste Opfer des Krieges sei nicht die Wahrheit, sondern die Sprache. Wenn Sprache aber nur noch der einen, der eigenen Wahrheit verpflichtet ist, wenn sie nicht mehr links noch rechts schauen möchte, wie nennt man das dann? Fast nichts, was Peter Handke schreibt, mag sich noch selbst genügen, Wort für Wort wirkt in dieselbe Richtung frisiert, dem Feind entgegen, der überall lauert.

Mag ja sein, dass diese Paranoia auch Ergebnis der Erfahrung ist, den Bomben unter einem, wie er es nennt, „feindlichen Himmel” ausgeliefert zu sein, aber schwer erträglich wird es, wenn sich Handke dabei stets zum Weltgewissen aufspielt, zum einzigen Seher unter lauter Verblendeten. „Dramatisiere nicht!”, mahnt er sich selbst, um dann doch zu schreiben, die Wunden würden „nie mehr zuheilen, ewig nicht…der Traum von der Geschichte als einer Utopie wird durch diesen nicht nur vermeidbaren, sondern auch scheinheiligsten Krieg bis zum Zeitenende etwas Ausgeträumtes und Untotes, eine untote Idee, oder auch bloß – meinetwegen Entdramatisierung – etwas Gefälschtes sein. ”

Er ahnt wohl, dass es immer wieder mit ihm durchgeht, aber er tut nichts, um sich selbst Einhalt zu gebieten. Allein schon diese absurde Steigerung – als sei nicht jeder Krieg von Natur aus scheinheilig. Natürlich ist es immer schwierig, in solchen Situationen nicht parteiisch zu werden. Aber sich so mutwillig zum Parteigänger zu machen, erfordert schon ein beträchtliches Maß an Selbstüberschätzung. Damit sind nicht nur die Szenen gemeint, in denen Handke sich darüber freut, dass ein Zimmermädchen seine Texte auswendig kann oder ein alter Mann ihm unter Tränen dankt. Sondern jener Wahn, der eigene Blick sei allen anderen Perspektiven überlegen und die nur ihm zu eigene Sprachgewalt oder auch nur -gewandtheit sei Grund genug, sich die Welt nach eigener Vorstellung zurechtzudichten. Fast hat man den Eindruck, als sei gerade diese Reise in die Gefahr alles andere als eine Auseinandersetzung mit der Realität, sondern nur ein weiterer Schritt im eigenen Elfenbeinturm empor.

Man ertappt sich bei der Lektüre, dass man manchmal unwillkürlich den Kopf einzieht und sich dafür geniert, wie gnadenlos sich der Mann verrennt. Vor dem Hintergrund der Geschehnisse wirkt seine Prosa so besonders manieriert und eitel, so unangemessen in ihrer hoffnungslosen Gewählt- und Gespreiztheit. Seine Sprache ist in der Tat ein Opfer dieses Krieges. Weil so transparent wird, wie ungeeignet sie ist, sich mit diesem Krieg auseinander zu setzen, wie weltfern und -fremd. Nichts wird klarer, nichts deutlicher, nichts spürbarer. Der Krieg bleibt hinter einem Schleier schamloser Anmaßung.

Man ist versucht zu sagen: Es war einmal ein Dichter. Aber so, wie Handke das herauszufordern scheint, tut man ihm womöglich einen Gefallen damit.

Reaktionen:

Respekt trotz sperrig gestauchter Sätze

Leserbrief zu "Peter Handkes serbische Notizen: Der blinde Fleck" / SZ vom 27. April

Peter Handkes Reisenotizen aus Serbien „Unter Tränen fragend” mögen in vieler Hinsicht peinlich wirken, aber selbst wenn es zuträfe, dass „der Mann sich gnadenlos verrennt”, wie Michael Althen meint, wäre es noch immer ein Zeichen großer Blindheit, in Handkes sperrig gestauchten Sätzen den würgenden Schmerz nicht zu erkennen. Dieser Schmerz verdient auch dann Respekt, wenn sein literarischer Ausdruck fragwürdig bleibt. Und er verdiente auch dann Respekt, wenn der Bombenkrieg gegen Jugoslawien nicht so eindeutig völkerrechtswidrig, so eindeutig vermeidbar und so eindeutig untauglich zur Durchsetzung seiner vorgeblichen Ziele der Menschenrechtssicherung gewesen wäre.

Mag sein, dass er, bei allem verlogenen Menschenrechtspathos, nicht scheinheiliger war als andere Kriege auch; die Ausweglosigkeit der Verzweiflung aber, in die er nicht nur Handke gestürzt hat, rührt daher, dass die Rehabilitierung des Krieges als „normales Mittel” der Politik ausgerechnet von denen mitgetragen wurde, die einmal den Widerstand gegen Militärwahn und die Hoffnung auf eine vernünftigere, gewaltfreie Politik verkörpert haben.

Der Vorwurf der Realitätsblindheit und der „schamlosen Anmaßung” trifft nicht Handke; er trifft alle diejenigen, die die sinnlose Zerstörung eines Landes (mit zehn Tonnen hochgiftiger Uranmunition) betrieben und gutgeheißen haben und sie auch im Nachhinein, obwohl kein einziges Problem gelöst und die Konfliktlage nur verschärft wurde, noch immer als moralisch richtig und politisch alternativlos rechtfertigen. Michael Althen beweist zumindest ungewollt, wie notwendig, wie unentbehrlich eine Stimme wie die Peter Handkes ist, mag sie auch noch so verzerrt klingen.

HANS KRIEGER

Süddeutsche Zeitung, 16. Mai 2000

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