26. März 1992 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Unser Haus in der letzten Welt

Kuba ist ihnen verloren

Vorgänger der "Mambo Kings": Oscar Hijuelos' erster Roman

OSCAR HIJUELOS: Unser Haus in der letzten Welt. Roman. Aus dem Amerikanischen von Michael Strand. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1992. 306 Seiten, 38 Mark.

Essen hilft. Deftig, üppig: „Schweinefleisch verdauen, Truthahn, Lammkoteletts, Reis und Hühnchen, Oliven, Nougat; Sirenenfisch, Shrimps, kandierte Batate, Kochbananen, Suppe von schwarzen Bohnen, Avocadosalat, picadillo, Reis, flan, Guavenpaste und Käse.“ Und dazu wird noch getrunken, bis sich keiner mehr rühren kann in der Wohnung der Santinios in Upper Manhattan. Es gibt eine Gier in diesem Buch, die auch eine Gier nach Leben ist. Aber der Hunger und der Durst sind dabei durch nichts wirklich zu stillen. Sie können allenfalls betäubt werden. Die Sehnsucht wird hinuntergeschluckt, und die Wehmut wird ertränkt. Doch dabei darf einem durchaus das Wasser im Munde zusammenlaufen.

Oscar Hijuelos wurde 1951 als Sohn kubanischer Einwanderer in New York geboren. Mit seinem zweiten Roman „Die Mambo Kings spielen Songs der Liebe“ gewann er 1990 den Pulitzer-Preis und wurde auch bei uns bekannt. ‚Unser Haus in der letzten Welt‘ ist 1983 entstanden und handelt von denselben Dingen, wenn auch weniger virtuos, so doch genauso eingängig: Paradies und Vertreibung, Schwermut und Leichtsinn, Agonie und Ekstase.

Mit dem Tod beginnt es, und die Leben, die der Roman verfolgt, stehen in seinem Schatten. Aber das ist natürlich nichts Besonderes in der lateinamerikanischen Welt, wo die Bande zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren immer stärker sind als im Norden. Und weil Hijuelos ein New Yorker ist, wird dieser Bruch zwischen den Kulturen stärker spürbar. Die Geister sind auch bei ihm unterwegs. Aber weil sie ohne Heimat sind, wirken sie noch gespenstischer.

Von 1929 bis 1975 spannt sich die Familiengeschichte, von dem Tag, als Mercedes‘ Vater starb, bis zur Zeit nach dem Tode ihres späteren Mannes Alejo, von den sonnendurchfluteten Nachmittagen im Garten des großen Hauses auf Kuba bis zu der nur noch vom Flimmern des Fernsehers erhellten Düsterkeit des Witwenlebens in Manhattan. 1944 geht Mercedes mit ihrem Mann Alejo nach Amerika, wo sie bleiben und zwei Kinder kriegen: Horacio und Hector. Mercedes hat wenig Talent und Möglichkeiten zum Glücklichsein und so träumt sie sich immer wieder fort ins Paradies der Kindheit. Alejo macht aus seinem Leben als Chef einer Hotelküche das Beste, und tut das auch auf Kosten seiner Frau. Die Söhne teilen sich das Erbe. Der stille Horacio schlägt mehr nach der Mutter, der jüngere Hector ähnelt mehr dem Vater. Glücklich sind sie dabei beide nicht. Aber Glück ist auch nicht alles im Leben.

Kuba ist das Paradies der Erinnerung, und es ist der Fluch des Blutes. Das Selbstverständnis ist zwischen den Generationen verloren gegangen, an den einfachsten Gesten spüren die Söhne die Entfremdung von der Kultur der Väter. „Was konnte Hector tun, um mehr wie die schlaksigen jungen kubanischen suavecitos zu werden, gewandt und unbeschwert, bestimmt in ihrem Auftreten, geschmeidig die Trottoirs entlangschlendernd?“ Und während er so dasitzt, möchte er herausschreien, daß er Bescheid weiß: Über Santa Barbara und die Jungfrau von Cobre, über weiße cassava und yucca, ‚über die Schatten und über die Magie, wie ihr netten Mädels den Hof macht und euch verheiratet, daß ihr nur unter Männern trinkt und die Frauen eure Sklavinnen sind und daß ihr in die Zukunft schaut und den Tod niemals fürchtet‘.

Der Tarantel-Regen

Das ganze kubanische Erbe liegt in ihm begraben, und nichts kann es zum Leben erwecken. Hector schafft es nicht einmal, einem Freund des verstorbenen Vaters den Arm um die Schultern zu legen, wie es der Vater konnte. Kuba ist für ihn nur noch eine dunkel lockende Welt. Auf einem Urlaub erlebt er dort zum Beispiel, wie sich ein Leguan in eine Schweinehälfte verbeißt, und wie bei dem Versuch, das Tier über einem Feuer loszukriegen, die Hitze ein Nest von Taranteln aus dem Blätterdach vertreibt, ‚als würden Hunderte von schwarzen Blumen aus dem Baum herabregnen‘. Die Erinnerungen sind vergiftet, und ihr Geschmack ist trügerisch. Der Zaubertrank seiner Tante, dessen süßen Geschmack Hector eine Jugend lang mit Kuba verband, entpuppt sich Jahre später auf Nachfrage als uramerikanisches Produkt: Hershey’s Chocolate Sirup mit Milch.

Ein Riß geht durch diese Welt, viel deutlicher noch als in den ‚Mambo Kings‘. Und nicht einmal Essen hilft mehr. Aber Hijuelos hat eine leichtfüßige Art, die Schwermut zu schildern, und einen tröstlichen Blick auf die seltsamen Wege, die das Leben nimmt. Romantik, das weiß schon der junge Horacio, „existiert nur in der fernen Vergangenheit und war mit den Konquistadoren, den galanten caballeros und senoritas gestorben“.

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