09. Oktober 1985 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Das Schlangenmaul

Marlowes deutscher Enkel Heinz

Jörg Fausers neuer Kriminalroman „Das Schlangenmaul"

JÖRG FAUSER: Das Schlangenmaul Roman. Ullstein Verlag, Berlin, 268 Seiten, 29,80 Mark.

Man stelle sich vor, jemand hätte Marlowe mit „Philip“ angesprochen – undenkbar. Und weil sich Heinz Harder vermutlich selbst gern als hartgesottenes private eye sähe, liet er es gar nicht, wenn ihn seine Ex-Frau Evelyn beim Vornamen nennt. Woraus sich ersehen läßt, wo Jörg Fausers Vorbilder zu suchen sind: in der amerikanischen hard-boiled fictwn, einem Genre, das hierzulande noch keinen geeigneten Vertreter gefunden hat. Mit seinem Roman „Das Schlangenmaul“ macht sich Fauser daran, diese Vakanz zu besetzen.

Harder, dessen bessere Zeiten als Illustriertenschroiber vorbei sind, wird eines Morgens von der Steuerfahndung aus dem Bett geholt und aufgefordert eine Schuld von 50 000 Mark zu begleichen. Noch am selben Tag meldet sich jemand auf eine Anzeige, in der Härder seine Dienste als „Bergungsexperte für außergewöhnliche Fälle“ anbietet. Seine Auftraggeberin, die so schöne wie reiche Nora Schäfer-Scheunemann, bietet ihm 20 000 Mark, wenn er ihre 18-jährige Tochter Miriam, die seit Monaten verschwunden ist, findet und zurückbringt. Harder stößt bei seiner Suche in Berlin bald an die Grenzen, die Politik und großes Geld rund um ihre dunklen Machenschaften gesteckt haben. Je größer ein Name, desto rigoroser wird gegen Schnüffler vorgegangen, und je weniger einer weiß, desto besser für ihn. Doch Harder weiß sehr schnell zuviel, als daß er noch aufhören könnte. Er taucht hinab in die Welt des halbseidenen, in ein Dickicht skrupelloser Geschäftemacher und abgeschirmter Größen, illegaler Spielclubs und psycho-dynamischer Heilssekten, übereifriger Krimifans und getarnter Edelpuffs. Fausers Berlin ist ein dunkler Grenzbezirk der Illegalität – mehr beschworen als geschildert -, in dem man allerorten auf die Verstrickungen von Macht Verbrechen und Perversion stößt.

Ich will nicht verhehlen, daß mir Fausers Held ausgesprochen unsympathisch ist; und das nicht nur, weil er weiße Lederschlipse tragt. Harder präsentiert sich als eitles Großmaul, selbststilisierter toughguy und Macho-Mann zugleich, der nur allzu gern zeigt, auf wie vielen Gebieten er Bescheid weiß – ein Vorwurf, der auch auf den Autor zurückfällt. Fauser verwendet alle modischen Accessoires der achtziger Jahre: Jazz und Catchen, Literatur und Sex. Das Unbehagen, das einen manches Mal dabei beschleicht, mag auch aus unserer mangelnden Distanz zum Geschilderten herrühren, die einiges möglicherweise zu Unrecht spekulativ erscheinen läßt. Immerhin: Angesichts mancher „vornehmer“ Autoren liest es sich angenehm erfrischend, wenn einer die Gegenwart als Stoff nicht leugnet.

Schließlich rettet Harder Miriam aus der „Farm für freie Entfaltung“, einer Sekte, deren Signum – das erklärt den Buchtitel – eine Königskobra zeigt, aus deren Maul der Kopf einer zweiten Schlange ragt. „Ich nehme an, als Reisender in Sachen Symbolik verstehst du die tiefere Bedeutung.“ – „Der ewige Kreislauf. Ungeheuer frißt Ungeheuer. Doch das Ungeheuerste ist der Mensch.“ Und am Ende zerreißt Harder mit einer Geste, die eines Marlowe würdig wäre, vor den Augen des Steuerfahnders den Scheck, der zwei Tote gekostet hat.

Seit Jahren streitet Fauser um die kritische Anerkennung des Kriminalromans und polemisiert immer wieder gegen den Hochmut, der E- von U-Kultur trennt und Autoren wie Chase, Ambler oder Spillane ignoriert. Diese Vorlieben diktieren Stil und Handlungsweise seines Romans. Was vor allem heißt daß sich „Das Schlangenmaul“ ausgesprochen flüssig liest Fauser beweist Sinn für Rhythmus und Tempo, wenn er etwa Harder in seinen schwadronierenden Ausbrüchen folgt und die Sätze sich zu überschlagend drohen. Daraus speist sich auch der Humor des Buches, vor allem wenn Harder seine Ressentiments gegen andere Personen und ihr Ambiente in lakonischen Bemerkungen und kurzen Gedankeneinsehüben ausdrückt, Daß einer sein Handwerk so beherrscht, ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit im deutschen Krimi.

„Sie machte den Mund auf, um zu schreien, aber dann tat sie lieber etwas, wofür ich sie mal geheiratet hatte: sie sank in meinen Sessel, schlang die Arme um mich und drückte ihren geöffneten Mund auf meinen. Früher hätte sie dabei allerdings auch mein Glas umgeworfen. Manches ändert sich eben doch.“ – Manchmal braucht Fauser nicht einmal den Vergleich mit seinen angelsächsischen Vorbildern zu scheuen.

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