26. April 1997 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Die Frau und der Affe

Der gute Mensch von Brumleby

Peter Høeg veranstaltet ein königliches Affentheater – und alles für einen guten Zweck

PETER HØEG: Die Frau und der Affe. Roman. Aus dem Dänischen von Monika Wesemann. Hanser Verlag, München 1997. 288 Seiten, 39,80 Mark.

Wer einen Bestseller hinter sich hat, ist nicht unbedingt zu beneiden. Auch wenn der Autor immer wieder betont, daß der Erfolg seine Arbeit nicht beeinflußt habe, fällt es schwer, sich vorzustellen, er könne sich wirklich davon unbeeindruckt ans Schreiben machen. Vielleicht ist es aber mehr eine Sache des Lesers: die bange Frage am Anfang jedes neuen Buches, ob der Zauber wieder verfangen wird. Insgeheim hofft man ja doch, das neue Buch werde irgendwie genauso sein – und doch ganz anders.

Als Fräulein Smillas Gespür für Schnee seinen Siegeszug um die Welt antrat, hatte Peter Høeg Der Plan von der Abschaffung des Dunkels schon geschrieben. Die Frau und der Affe ist nun also im Rampenlicht des Welterfolgs und seiner Verfilmung entstanden, auch wenn Høeg in dieser Zeit ganz bewußt den Schatten gesucht und sich über zwei Jahre überhaupt nicht zu Wort gemeldet hat. Und?

Der erste Satz läßt noch nicht unbedingt ahnen, wohin die Reise geht, obwohl es heißt: „Ein Affe näherte sich London. ” Im Bewußtsein des Buchtitels erhärtet sich der Verdacht, der Affe könnte tatsächlich auch der Held des Romans sein, und daß er sich der Stadt „nähert”, verleiht der Sache durchaus etwas Dräuendes in der Art von aus der Ferne heraufziehenden Unwettern.

Der Affe sitzt mit geschlossenen Augen, in eine Wolldecke gehüllt, auf einem Segelboot, das ein Mann namens Bally steuert, von dem es im zweiten Absatz heißt: „In seinem Leben gab es nur zwei Dinge, aus denen er sich etwas machte: den Augenblick, in dem er in einer Großstadt ankam, und den Augenblick, in dem er sie wieder verließ. Das war der Grund, weshalb er jetzt aufstand, zur Reling hintrat, stehenblieb und der Stadt entgegenschaute, womit er den ersten und letzten Fehler der Reise beging. ”

Zwölf Zeilen sind erst vergangen, und schon hat Høeg mit knappen Strichen ein Szenario entworfen, das fürs erste ein paar Fragen offenläßt, die den Leser eine Zeitlang beschäftigen. Warum war das ein Fehler? Und was hat der Affe damit zu tun? Tatsächlich beschäftigt der Affe kurz darauf den Schalthebel des Autopiloten, wodurch Bally und seine Besatzung von Bord gefegt werden, und steuert dann das Boot unter den Augen der Gäste des Royal English Yacht Club, die erst noch an ein besonders waghalsiges Landemanöver glauben, mitten in die dort vertäuten Schiffe. Dann verschwindet der Affe unerkannt von Bord, das erste Kapitel ist vorbei – und die Geschichte kann beginnen.

Mit diesem in der Tat ziemlich waghalsigen Landemanöver geht Peter Høeg vor der Phantasie der Leser von Bord, und von da an ist alles möglich. Es könnte passieren, daß der Affe eingefangen und von einem Mann untersucht wird, der sich anschickt, Direktor des berühmtesten Zoos der Welt zu werden. Es könnte aber auch sein, daß er irgendwann zu sprechen anfängt und mit der Frau des Mannes eine Affäre beginnt. Bei so einem durchtriebenen Erzähler wie Høeg sollte man nicht zuviel verraten, weil die Hälfte des Reizes doch in den Haken liegt, die diese Geschichte schlägt. Oder, um beim Segeln zu bleiben, in der Art, wie er die Klippen umschifft, die verwandte Stoffe wie King Kong und die weiße Frau oder Die Schöne und das Biest etwa bilden.

Virtuose Blickwechsel

Die andere Hälfte des Reizes liegt natürlich in der Bildhaftigkeit des Erzählens, mit der Høeg noch für die unmerklichsten Regungen unter der Haut des Romans anschauliche Ausdrücke findet. Der Däne ist ein großer Beschwörer von Gefühlen und den Bildern, die sie hervorrufen. Manchmal tut er vielleicht des Guten etwas zuviel und vermittelt den Eindruck einer Diashow, aus der man das passende Bild dann für sich behalten mag, aber in der Regel findet er die passenden Formen, um die Wunder seiner Welt abzubilden.

Vielleicht liegt sein größtes Talent in dem unglaublichen topographischen Gespür, das seinen Schilderungen Konturen verleiht. Dieser Sinn für das Wechselspiel des Blicks aus großer Höhe und mikroskopischer Beobachtungen hat schon seinen Erstling Vorstellung vom 20. Jahrhundert ausgezeichnet und wird auch in Die Frau und der Affe immer wieder thematisiert. So wie sich das Erzählen in Bildern kristallisiert, so gerinnt auch die Perspektive zu Mustern, in denen bestimmte Gesetzmäßigkeiten und ein empfindliches Gleichgewicht zwischen Raum und Zeit regieren. Da bleibt beim Umrühren eines Kaffees plötzlich die Zeit stehen: „Dann schenkte sie ihm Tee nach, tat Zucker in seine Tasse und rührte um, während sie bis dreißig zählte, um sicherzustellen, daß die groben, melassehaltigen tropischen Rohrzuckerkristalle vollständig aufgelöst wurden. ”

London wird wie ein Stadtplan vor uns ausgebreitet, und es ist so, als ob in diesen Beschreibungen die unsichtbaren Nervenbahnen des Romans zutage treten. Wenn der Affe über die Regenrinnen, Balkone, Feuertreppen der Stadt flieht, dann ist es, „als erschaffe das Tier die Wirklichkeit, durch die es sich bewegte . . . Es führte eine Choreographie aus, in der die Stadt ihm als Grundlage diente. ” London wird auf diese Weise zu einem mindestens so lebendigen Organismus wie der Affe oder die Frau, ein pulsierendes Organ mit einem Gedächtnis und eigenen Abwehrmechanismen.

Es gibt bei Høeg in diesem Buch allerdings mitunter einen etwas unseligen Hang zum Didaktischen. Da münden dann die Beschreibungen in eine auf Dauer etwas eintönige Zivilisationskritik: „Was sie gesehen hatte, war eine Großstadt, die sich bis ans Ende der Welt erstreckt. Das Wesentliche war nicht die Stadt selbst, denn sie war nur ein Punkt an der Erdoberfläche. Das Wesentliche war das Prinzip Stadt, die Moderne, die Zivilisation an sich.

Natürlich ist in einer Geschichte über eine Welt größenwahnsinniger Zoologen, bei der das Animalische im Menschen und das Menschliche im Tier gefeiert werden soll, eine gewisse ökologische Selbstgerechtigkeit nicht zu vermeiden. Und natürlich drängt es Høeg, der schon im ersten Kapitel einem Boot den Namen Arche verleiht, zu einem biblischen Paradies, aber die Holzschnittartigkeit, mit der seine Überzeugungen zunehmend den Ton diktieren, steht auch mehr und mehr im Widerspruch zur Feinsinnigkeit seiner sonstigen Beobachtungen. Am Ende weiß man nicht so recht, ob es sich bei diesem Roman Peter Høegs um eine kühne Fabel handelt, die in ein königliches Affentheater mündet, oder um die ökologische Bibel des guten Menschen von Brumleby, in der sich Tierschützer und andere Ökologen finden sollen. Der Erlös des Buches geht jedenfalls zur Gänze an den vom Verfasser ins Leben gerufenen Lolwe-Fonds, der Frauen und Kinder in der Dritten Welt unterstützt. So heiligt der gute Zweck am Ende alle Mittel.

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