29. Dezember 2000 | Süddeutsche Zeitung | Leben, Liste | Himmel & Hölle 2000

Himmel & Hölle 2000

Alle, die wir auf dieser Seite um ein Urteil gebeten haben, erlebten das Medienjahr 2000 tatsächlich aus der ersten Reihe – als Kollegen, die diese Medienseite bereichert haben, als Entertainer, ohne die unser Leben ärmer wäre, als Ministerpräsident, dem wir Freude gemacht haben, als Medienunternehmer oder Intendanten, die von uns mitunter verwöhnt, mitunter vermöbelt wurden.

Heute machen wir es kurz, in einem Stoßseufzer: Nach einem Medienjahr, das die total verkabelte Jenny Elvers ebenso erfand wie den totalen Absturz von Börsenstars oder den totalen Einsatz von Journalisten zugunsten der Kriegskasse von Geiselnehmern, muss auch Platz sein für eine total klare Entscheidung. Die einen gehören in den Himmel, die anderen in die Hölle. Alle, die wir um ein Urteil gebeten haben, erlebten das Medienjahr 2000 tatsächlich aus der ersten Reihe – als Kollegen, die diese Medienseite bereichert haben, als Entertainer, ohne die unser Leben ärmer wäre, als Ministerpräsident, dem wir Freude gemacht haben, als Medienunternehmer oder Intendanten, die von uns mitunter verwöhnt, mitunter vermöbelt wurden. Das Bild zeigt Guarientos „Gerichtsengel mit Seelenwaage” (um 1338), aus dem Musei Civici in Padua.

Edmund Stoiber, Bayerischer Ministerpräsident, München
Himmlisch gut ist, dass sich im Harry-Potter-Lesefieber Millionen durch alle Generationen für denselben Stoff begeistern, der spannend und toll zu lesen ist. Diese weltweite Buch-Renaissance ist für mich das Medienereignis des Jahres.
Höllisch geschickt war, dass die Süddeutsche Zeitung zum Thema Umbau oder Neubau des Münchner Stadions je nach Ressort leserzielgruppenorientiert Pro und Contra gleichermaßen vertreten hat – und das nicht selten am selben Tag!

Herbert Riehl-Heyse, SZ
Himmlisch, dass die ARD dieses Jahr wieder so viele süße Fernsehfilme im Programm hatte.
Höllisch, dass deren Macher(innen) auch noch darüber bestimmen dürfen, was uns um 20. 15 Uhr am besten schmeckt .
Günther Jauch, Moderator und Showmaster, Potsdam
Himmlisch: Dass Bodo H. Hauser nie mehr im ZDF zu sehen ist. Ich vermiss’ ihn wie die Hölle!
Höllisch: Dass Harald Schmidt nur viermal die Woche bei Sat 1 zu sehen ist.

Hans Mahr, RTL-Chefredakteur, Köln
Himmlisch sind Zlatko, Alex und Jenny Elvers: Endlich ist auch der Promi-Himmel demokratisiert. Jeder kann prominent sein, wenn er oder sie es drauf anlegt.
Höllisch war der Wahnsinn von Sebnitz: Jeder schreibt oder filmt die Bild-Zeitung ab, nur weils politisch korrekt ist, gegen Rechts zu sein.
Fritz Pleitgen, ARD-Vorsitzender und WDR-Intendant, Köln
Himmel: Eine gute Quote – durch Qualität, versteht sich, im Programm.
Hölle: Ein Verriss in der Süddeutschen Zeitung.

Christiane Kögel, SZ, Medien
Himmel: Im Juni geloben britische Herausgeber, dass sie in Frauenzeitschriften keine klapperdürren Models mehr abbilden wollen.
Hölle: Obwohl zeitgleich mit dem ORF gestartet, sinkt die Titanic auf RTL eine Dreiviertelstunde langsamer: Werbepause.

Thomas Middelhoff, Bertelsmann -Vorstandsvorsitzender, Gütersloh
Himmlisch war, einen freundlichen Artikel über Bertelsmann in der Süddeutschen Zeitung gelesen zu haben.
Höllisch ist, mit Harald Schmidt auf dieser Seite zu stehen.

Sandra Maischberger, Gastgeberin auf n-tv, Berlin
Himmlisch war Boris Beckers und Claudia Schiffers Drei-Satz-Doppelmoderation bei der Bambi-Preisverleihung: eine kommunikative Ladehemmung, die mich mit meinem Beruf versöhnt hat.
Höllisch waren sowohl Rinderhirn wie auch die Hände des Patriarchen: Das Rinderhirn war in jedem Bericht, mit Schleimspur im Röhrchen oder unter stumpfem Messer, ein Appetitverderber – wie auch das Cover des sogenannten Tagebuchs von Helmut Kohl.

Albert Ostermaier, Lyriker und Dramatiker, München
Himmlisch war, dass ich nicht auf der Leitung stand, sondern der Premiere World Decoder defekt war.
Höllisch war das erste, was ich dann sah: Jörg Wontorra meldet sich!

Holger Gertz, SZ, Seite 3
Himmel: Heike Makatsch, weil sie in dem Film Gripsholm endgültig bewiesen hat, dass man ein bisschen leise und ein bisschen weise werden kann, wenn man nicht mehr beim Kindersender Viva arbeiten muss.
Hölle: Mola Adebisi, weil er bewiesen hat, dass man eine große, laute, selbstgefällige Kinderparodie wird, wenn man zu lange beim Kindersender Viva arbeitet.

Michael Althen, SZ, Feuilleton
Himmel: Wer wird Millionär? – Weil Jauch die ganze Familie vor dem Fernseher versammelt, ohne dass man den Eindruck hat, dabei blöder zu werden.
Hölle: Sebnitz – Weil sich dort privates Leid und öffentlicher Wahn auf eine Weise vermischt haben, die mit Blödheit alleine nicht mehr zu erklären ist.

Niklas Maak, SZ, Feuilleton
Himmlisch: Dienstag bis Freitag, 23. 15 Uhr, Sat 1? Ja!
Hölle: Johannes Raus Weihnachtsansprache. Weil: So einfach ist das alles nun auch wieder nicht.

Hans Leyendecker, SZ
Himmel: Günther Jauch. Aber der Kreisel muss sich jetzt immer schneller drehen, wenn er nicht umfallen will.
Hölle: Bernd Plogmann. Er war der Klatschberichterstatter, der die Tochter von Doris Schröder-Köpf auf dem Schulhof nach ihrer Mutter und Gerhard Schröder ausfragen wollte: Erstaunlich, wie sich einer ein Berufsleben lang bemüht, Talentmangel durch schlechten Charakter wetttzumachen.

Alexander Gorkow, SZ, Medien
Himmel: Manuel Andrack – Harald Schmidts Redaktionsleiter und leiser Show-Assistent ist das Karma seines Meisters. Andrack zeigt uns, dass das Leben mehr ist als ein Gag.
Hölle: All’ jene, die es besser wissen und uns dennoch rund um die Uhr das sogenannte wahre Leben als schlechten Gag verkaufen.

Stefan Niggemeier, SZ, Medien, Hamburg
Himmlisch war Stefan Raab, weil er es lange schaffte, so originell und ukulelig zu sein, dass man sich Woche für Woche auf TV Total freute.
Höllisch ist, dass diese Zeiten vorbei sind.

Reinhold Beckmann, Moderator und Showmaster, Hamburg
Himmel: Ulrich Verthein vom Mannheimer Morgen war unser Götterbote. Er schickte uns eine himmlische Nachricht, in einer Glosse verpackt, in der er die Nachwuchsarbeit von Franz Beckenbauer outete. Ein echter Kaiserschnitt! Er war schneller als die Hauspostille, die, obwohl sie im Bilde war, nichts schrieb.
Hölle: Sebnitz und die vorauseilende Hysterie einiger Journalisten im Fall Joseph. Eine Mutter, die ihren Sohn verloren hat, darf alles behaupten, wir aber müssen alles überprüfen.

Harald Schmidt, Entertainer, Köln:
Himmlisch ist, dass Günther Jauch in diesem Jahr die Weltherrschaft über das deutsche Fernsehen übernommen hat. Wetten dass?
Höllisch war Ralph Giordanos schalumwehter und vorzeitiger Abgang ins Aus während einer Talkrunde mit Erich Böhme, Jörg Haider und Freimut Duve (kein Schal, aber auch nicht schlecht!). Meine Privathölle: Sicherheitsbeamte auf deutschen Flughäfen, die a) witzig nach einem Autogramm fragen, b) sagen: „Im Fernsehen sind Sie witziger!” oder c) fragen, ob Feuerstein in meinem Handgepäck liegt.

Katja Keßler, Gesellschafts-Kolumnistin der „Bild”, Hamburg
Himmel: Mein Bericht über Reinhold Beckmanns Bänderriss mit einem reizend intimen Foto des Helden in Unterhosen.
Hölle: Tommi Ohrner und seine Versteckte Kamera. Am Ende weiß man, wo die Kamera war. Aber wo war der Witz?

Willi Winkler, SZ, Feuilleton, Hamburg
Himmlisch: Jenny Elvers’ Leibesfrucht in Bild – Journalismus, der unter die Haut geht!
Höllisch: Jenny Elvers’ Leibesfrucht in Bild – Donum Vitae!

Nikolaus Piper, SZ, Wirtschaft
Himmlisch: Big Brother, weil ich es nicht sehen muss.
Höllisch: Jolo – und wie die Medien das Geschäft der Geiselnehmer besorgt haben.

Adolf Theobald, Journalist, München
Himmlisch ist, dass der Springer-Verlag wieder die Chance hat, von einem Journalisten geführt zu werden.
Höllisch ist, dass sich andere Verlage damit bescheiden, von Kaufleuten geführt zu werden.

Herbert Feuerstein, Entertainer, Köln
Himmlisch war der Sturz der EM.TV-Aktie . Nachdem ich jahrelang ertragen musste, verlacht zu werden, weil ich die wunderbare Geldvermehrung nicht mitgemacht habe, bin ich jetzt wieder reicher als diese Deppen.
Höllisch war das Verschwinden Naddels vom Bildschirm. Deutschland ist um ein Stück Leitkultur ärmer geworden. Nicht mal Sabine Christiansen und Petra Gerster gemeinsam können Naddel ersetzen.

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