03. Februar 2005 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Sideways

Das Leben ist eine Traube

Vorsicht, er ist so empfindlich wie ein Pinot: Alexander Paynes weinseliges Roadmovie SIDEWAYS

Dies ist der Film, auf den sich alle Kritiker einigen können. Was LOST IN TRANSLATION im vergangenen Jahr war, ist diesmal SIDEWAYS. Besonders amerikanische Filmkritiker haben ihm in seltener Übereinstimmung nahezu sämtliche wichtigen Preise der Branche zugesprochen. Endlich ein Film für Erwachsene, eine Oase in der Wüste des amerikanischen Kinos, ein Zeichen der Hoffnung. Diese Woge der Zustimmung trug SIDEWAYS zu zwei Golden Globes für die beste Komödie und das beste Drehbuch und brachte ihm fünf Oscar-Nominierungen ein. So enthusiastisch sind die Reaktionen auf diesen eher untypischen Oscar-Anwärter, daß man sich schon wie ein Spielverderber vorkommt, wenn man in SIDEWAYS einfach nur einen kleinen, feinen Film sieht.

Daß der Film bei den Globes als Komödie gehandelt wurde, ist zwar nicht direkt ein Mißverständnis, weil alle guten Komödien im Grunde Tragödien sind, aber mit dem Genre im strengen Sinn hat er eigentlich nichts zu tun. Dafür ist der Witz viel zu beiläufig, das Tempo zu entspannt, die Melancholie zu groß. Das heißt nicht, daß es nichts zu lachen gäbe – nur daß die Pointen stets so schmerzhaft nah an den Figuren zünden, daß man nie ganz sicher sein kann, ob sie eher zum Lachen oder zum Weinen sind. Bei zwei Männern mittleren Alters, die eine Weinreise durch Kalifornien unternehmen, bei der jeder auf seine Art auf seine Kosten kommen will, liegt beides naturgemäß nah beisammen.

Mitte des Lebens, das bedeutet für Miles (Paul Giamatti), daß er seit zwei Jahren geschieden ist, aber immer noch herumläuft, als sei er erst vor zwei Tagen verlassen worden, und für Jack (Thomas Haden Church), daß am Ende der gemeinsamen Woche seine Heirat bevorsteht, weshalb er noch mal soviel Spaß wie möglich haben will. Miles hat einen Roman geschrieben, den niemand drucken will, und unterrichtet am College; Jack hat in einer Fernsehserie den Arzt gespielt und spricht jetzt nur noch Werbetexte. Beide sind sie traurige Gestalten, jeder auf seine Weise: Miles, weil er kein Hehl daraus macht, und Jack, weil er sein Scheitern überspielen will. Freundschaft heißt in ihrem Fall auch, daß sie sich viel zu lange schon nicht mehr gefragt haben, worauf ihre Beziehung eigentlich gründet. Wo sich die Gegensätze vorher ergänzt haben, da führen sie im Lauf der Woche zu Spannungen – vor allem, nachdem Maya (Virginia Madsen) und Stephanie (Sandra Oh) auf der Bildfläche erscheinen. Der Witz von SIDEWAYS liegt darin, daß Alexander Payne daraus weder ein Drama macht noch sich auf Kosten seiner Figuren amüsiert, sondern ihrem Treiben mit jener Sympathie folgt, mit der er uns schon in ABOUT SCHMIDT Jack Nicholson näherbrachte. Die Art, mit der er seine Helden nimmt, wie sie sind, hat etwas durchaus Entwaffnendes. Sie berühren einen mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Paynes Held ist natürlich Miles, der ewige Pessimist, der an der Welt wie an seiner Scheidung leidet und Trost vor allem im Alkohol sucht. Das bezieht sich allerdings nicht nur auf seinen Konsum, sondern auch auf seine Kennerschaft, was Wein betrifft. Sie ist beinahe das einzige, worauf er sich mit Recht etwas zugute hält – zumal sich der Gewohnheitstrinker darin wenigstens als Connaisseur begreifen kann. Wie die beiden Freunde durchs Santa Ynez Valley von einer Verkostung zur nächsten fahren und Miles versucht, den völlig unbeleckten Jack in die Feinheiten des Weins einzuführen, das hat seinen ganz eigenen Reiz. Wobei der Film auch hier auf dem Boden bleibt und sich weder den geschmäcklerischen Zugang des einen noch die ignorante Haltung des anderen zu eigen macht. Wo andere Regisseure auf die Tube drücken würden, wenn es um die Beschwörung des Weins geht, hält sich Payne angenehm zurück und beschränkt sich auf kurze Montagen, in denen die Absonderlichkeiten des Weintourismus und die Feinheiten der Herstellung kurz ins Bild gesetzt werden.

Es gibt Wichtigeres in dieser Geschichte. Wenn Miles sich so in die Beschwörung des Pinot hineinsteigert, seiner Empfindlichkeit und der Zuwendung, die er braucht, um sich zu entfalten, wird sofort klar, daß er im Grunde von sich selbst redet. So sagt der Monolog am Ende weniger über die Traube als über sein Selbstmitleid aus, sein Gefühl, von der Welt unverstanden zu sein. Aber ehe daraus die Tragödie eines lächerlichen Mannes wird, ergreift sein Gegenüber das Wort, die Kellnerin Maya, die Gartenbau und Önologie studiert und dem Wein eine wunderschöne Liebeserklärung widmet, die dem Leben viel zugewandter ist und zu jener Wahrheit findet, die eigentlich gemeint sein sollte, wenn es heißt: In vino veritas.

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