Leerjahre des Gefühls
Mrs. Peel, wir werden gebraucht: MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE im Kino
Zwei Schattenrisse, eine Fanfare. Eine weiße Nelke, ein schwarzer Regenschirm, ein Kristallglas und überschäumender Champagner, ein Mann im Bowler und eine Frau im Kampfanzug. So sah der Vorspann zur Fernsehserie THE AVENGERS aus, die bei uns den etwas pfiffigeren Titel MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE trug, und die Titelmelodie war die Einladung in eine Welt, in der die Gesetze der Logik vom Diktat des Stils außer Kraft gesetzt worden waren. Natürlich ging es stets um Leben und Tod, aber nichts war so ernst, daß man deswegen auf ein gepflegtes Äußeres, die Etikette zwischen Mann und Frau oder eine gute Tasse Tee hätte verzichten müssen.
187 Folgen gab es, in denen Patrick Macnee den John Steed spielte, aber nur die 51 Episoden zwischen 1965 und 67 mit Diana Rigg als Emma Peel galten den eingeschworenen Fans als Original. Zwischen den beiden stimmte die Chemie auf eine Weise, die andere Partnerin wie Honor Blackman als Catherine Gale, Linda Thorson als Tara King oder Joanna Lumley als Purdey abging. Allein Emma gelang es, der Losung „No sex please – we’re british” allerlei erotische Versprechungen abzugewinnen. Schon ihre Name war eine Verballhornung ihrer Anziehungskraft auf Männer: „M-appeal”. Und ihre körperbetonten Haus- und Kampfanzüge, die sogenannten emmapeelers, bildeten einen irgendwie elektrisierenden Kontrast zu Steeds Anzügen aus der Saville Row.
Einerseits entsprach das ganz dem von James Bond, dem rat pack und anderen Playboys entworfenen Bild des männlichen Selbstverständnisses, wonach der Mann von Welt sich von Frauen wie Katzen umschnurren läßt; andererseits war Emma Peel die erste Frau im Fernsehen, die nicht nur mit weiblichen Waffen, sondern ganz handfest zurückschlug. So betrieben die beiden den Geschlechterkampf als gepflegtes Gesellschaftsspiel, in dem sich die unterschiedlichen Bedürfnisse augenzwinkernd ergänzten.
Was die AVENGERS von anderen Agenten-Serien, die in den Sechzigern den Kalten Krieg mit den Mitteln des Fernsehens ins Wohnzimmer fortsetzten, unterschied, war natürlich diese sehr englische Art, die Form zu wahren. Während anderswo junge Leute mit immer längeren Haaren ihren Protest gegen diese Formen zum Ausdruck brachten, verwandelte John Steed seinen konservativen Stil in eine besonders exzentrische Art von Dandytum. Und der formvollendete Umgang, mit dem die beiden einander auf Distanz hielten, war auch kein Rückfall in genußfeindliche Zeiten, sondern eine besonders gewitzte Methode, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Die Umgangsformen waren kein Korsett, sondern ein Parkett für Wortspiele, Doppeldeutigkeiten und andere Freiheiten.
Wenn nun also eine Verfilmung der Serie ins Kino kommt, dann stellen sich zwei Fragen: Wer spielt Emma Peel? Und stimmt die Chemie mit John Steed? Die gute Nachricht ist in diesem Fall: Uma Thurman macht in den emmapeelers eine fabelhafte Figur. Die schlechte: Die Chemie stimmt nicht, was in dem Fall an der Besetzung von Ralph Fiennes liegt, dem mit seinem strahläugigen, rotbäckigen Jungengesicht die Melone von John Steed ein paar Nummern zu groß ist. Und wenn sie sich schon küssen müssen – was in der Serie natürlich unterblieben ist –, dann bitte richtig. Erst zum Abschied gab Emma ihrem Steed einst ein Küßchen auf die Backe, und dann stieg sie zu ihrem totgeglaubten, wieder aufgetauchten Mann ins Auto – und die Kamera enthüllte in einem genialen Schachzug, daß Mr. Peel bis aufs Haar John Steed glich. Eine frivolere Auflösung ihrer diskreten Beziehung war gar nicht denkbar.
MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE ist in erster Linie ein Film, der um die Gunst kindlicher Zuschauer buhlt, und weil aber die Kinder von einst mittlerweile sehr erwachsen geworden sind, wünscht man sich auch eine etwas weniger kindische Beziehung zwischen den beiden. Ansonsten jedoch befindet sich der Film, was Ausstattung und Intrigen angeht, ganz auf der Höhe der Vorlage. Die Kulissen sind Magritte, Escher und de Chirico nachempfunden und also ausreichend labyrinthisch gestaltet; und der Plot handelt von einem Verrückten (Sean Connery), der das Wetter unter seine Kontrolle gebracht hat und ist also ausreichend schwachsinnig. Und wer sein Kinderherz bewahrt hat, wird in jedem Fall seinen Spaß haben: Es gibt motorisierte Killerbienen; das unter der Themse gelegene Hauptquartier des Agentenchefs „Mutter”; eine Ballonfahrt über dem total verschneiten Trafalgar Square; und natürlich einen Jaguar E-Type, dessen eleganter Schnitt Uma Thurman genauso gut steht wie unlängst das modernistische Design des Citroën-DS-Cabrio in GATTACA.
Der Film macht wie damals die Serie keinen Hehl aus der Tatsache, daß alles Kulisse ist. Und gerade dies machte einst die Agentenserien zu so einer verstörenden Erfahrung: die Erkenntnis, die sichtbare Welt könnte nur ein Täuschungsmannöver der Erwachsenen sein, hinter der sie ihre wahren, selbstverständlich bösen Absichten verbergen. In dieser Hinsicht funktioniert der Film immer noch – für Kinder.
Von RAUMSCHIFF ENTERPRISE bis MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE: Wenn es etwas gibt, was den Boom der Verfilmungen von Fernsehserien jenseits ihrer leichteren Vermarktbarkeit rechtfertigt, dann ist es das Bedürfnis einer Generation den eigenen Erinnerungen Gewicht zu verleihen. Die in Kindheit und Jugend vor dem Fernseher verbrachten Stunden werden zur Welterfahrung veredelt, indem die Serie emblematisch zum Leinwandereignis aufgeblasen wird. Die vorausgegangenen Generationen mögen den Krieg mitgemacht haben, die Baby Boomer haben ihre Abenteuer vor allem der Glotze zu verdanken. Dort haben sie die Lehr- und Leerjahre des Gefühls verbracht, und nun haben sie die Macht, von diesen Gefühlen im Kino zu berichten. Daraus erklärt sich auch die Unverhältnismäßigkeit dieser Filme, in denen die Proportionen zwischen Welt, Erfahrung und Subjekt sonderbar verschoben sind. So ist das Ganze vor allem ein Abenteuer im Spielzeugland der eigenen Erinnerungen.
THE AVENGERS, GB 1998 – Regie: Jeremiah Chechik. Buch: Don MacPherson. Kamera: Roger Pratt. Produktionsdesign: Stuart Craig. Kostüme: Anthony Powell. Musik: Joel McNeely. Darsteller: Ralph Fiennes, Uma Thurman, Sean Connery, Fiona Shaw, Jim Broadbent, Eddie Izzard. Verleih: Warner, 85 Minuten.