02. Juni 2010 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | The Messenger

Wenn der Tod vor der Tür steht

Kathryn Bigelows HURT LOCKER hat zwar den Oscar gewonnen, aber Oren Movermans THE MESSENGER ist der bewegendere Film über den Irak-Krieg

Dies ist einer der schonungslosesten Kriegsfilme, dabei hört und sieht man vom Krieg gar nichts. Keine Bilder von der Front, keine Verletzten oder Toten, noch nicht einmal Rückblenden. Was man stattdessen sieht: zwei Soldaten, die die undankbare Aufgabe haben, die Hinterbliebenen vom Tod ihrer Angehörigen im Irak zu informieren. Das ist ein Job, den keiner gerne übernimmt, aber wie das eben so ist: Irgendwer muss ihn machen.

So fahren sie durch New Jersey, durch Gegenden, deren sanftes Grün so weit vom Wüstenkrieg entfernt ist, wie man sich nur vorstellen kann, und überbringen ihre traurigen Botschaften. Wie die beiden Soldaten damit fertig werden, davon erzählt Oren Movermans THE MESSENGER – DIE LETZTE NACHRICHT.

Den einen spielt Woody Harrelson, einen alten, glatzköpfigen Haudegen, der das Trinken aufgegeben hat und sich stattdessen dabei verausgabt, nachts in den Bars Frauen aufzureißen. Den anderen – einen jungen Kriegshelden, der verletzt aus dem Irak zurückgekehrt ist, von seiner Verlobten abserviert wird und sich allnächtlich mit Alkohol und Heavy Metal zudröhnt – spielt Ben Foster. Captain Tony Stone und Sergeant Will Montgomery heißen die beiden, und für beide Schauspieler sind es vermutlich die Rollen ihres Lebens. Und weil es in dem Job darum geht, Haltung zu bewahren und ihre Emotionen in Schach zu halten, lebt der Film ganz davon, wie sie ihre Gefühlslage trotzdem sichtbar machen. Woody Harrelson war dafür immerhin für einen Oscar nominiert, Ben Foster rätselhafterweise nicht.

Beim ersten Treffen macht Stone den Neuling mit den Regeln der „Casualties Notification Unit“ vertraut: Die Nachricht wird ausschließlich jenen überbracht, die im Todesfall zu verständigen sind – wenn sie nicht anzutreffen sind, muss es später am Tag noch einmal versucht werden. Es wird ausschließlich der vorgesehene Text aufgesagt, das Beileid ausgesprochen und darauf verwiesen, dass die zuständigen Stellen wegen alles Weiteren Verbindung aufnehmen werden. Und vor allem ist jede Art von Berührung untersagt. Stones Beharren auf der Einhaltung des Protokolls wirkt nicht so sehr herzlos oder zynisch, sondern als bitter bezahlte Erkenntnis, dass man nur so es schaffen kann, von der trostlosen Aufgabe nicht zerfressen zu werden.

Und dann kommt der erste Job. Sie klingeln an einer Tür, eine junge Schwangere macht auf und fragt gleich, ob ihr Typ wieder etwas ausgefressen habe. Die beiden antworten nicht, weil sich schnell herausstellt, dass die Schwangere nur die Freundin, aber nicht die Frau des Toten ist. Und weil es die Mutter ist, die verständigt werden soll, die aber gerade beim Einkaufen ist, sind die beiden Soldaten gefangen in einer Situation, in der sie nichts sagen dürfen, obwohl die junge Frau sie immer flehentlicher beschwört, doch zu sagen, was ihr Freund angestellt habe, weil sie sich gar nicht vorstellen kann, dass etwas viel Schlimmeres passiert sein könnte. Und als die Mutter dann endlich heimkehrt, erfasst sie sofort, was die Anwesenheit der beiden Soldaten bedeutet, und bricht weinend zusammen, während die beiden jetzt endlich ihr Sprüchlein aufsagen können.

All die mühsam eingehaltenen Regeln sind natürlich nur dazu da, von der Wirklichkeit immer wieder ad absurdum geführt zu werden. Die Kunst des Drehbuchs von Moverman und Alessandro Camon, das auf der Berlinale 2009 einen Silbernen Bären gewann und auch für den Oscar nominiert wurde, besteht darin, dass man den militärischen Verhaltenskodex aber genau als Aufgabe begreift, der sich die beiden auf ihre jeweilige Art stellen müssen – nur so gelingt es, dass man die Situationen zwar immer wieder als herzerweichend erfährt, aber nie den Eindruck hat, hier werde mutwillig auf die Tränendrüse gedrückt. Der Kriegsfilm wird hier aus der Abstraktion der Genre-Konventionen überführt in ein Alltagsdrama, das sonst immer ausgespart wird oder wie in SAVING PRIVATE RYAN zur rührseligen Vignette wird.

THE MESSENGER ist ein Film über Leerstellen, die im Leben der Hinterbliebenen und die im Gefühlsleben der beiden Unglücksboten. Und dann begegnen sie einer Frau (Samantha Morton), die im Moment des Schocks die Hände der beiden ergreift, ihnen dankt und sagt, das müsse für sie sicher auch schwer sein. Da wird auf so unerwartete Weise das Berührungsverbot durchbrochen, dass einem schier der Atem stockt, weil man es selbst schon so verinnerlicht hat. Und dabei schien sich gerade hier die größte Katastrophe anzubahnen, weil schon die Ankunft der beiden von der gesamten Nachbarschaft neugierig verfolgt wird, so dass Stone auf dem langen Weg zum Haus der Frau sarkastisch knurrt: „Könnte schlimmer sein. Könnte ja auch Weihnachten sein.“

Moverman schafft es, dass der Film durchaus Humor besitzt, selbst wenn es Galgenhumor ist, und das gelingt auch deshalb, weil es vergnüglich ist, zu sehen, wie sich der geschwätzige Alte und der schweigsame Junge nach und nach zusammenraufen. Das Erstaunlichste ist aber, wie Moverman aus dem Drama das Melo heraushält und einfach Männer zeigt, die einen undankbaren Job erledigen – wie Bigelows HURT LOCKER. Mit THE MESSENGER hat im Genre des Irak-Films die Trauerarbeit begonnen.

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