07. Oktober 2000 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Lost Angeles

Viele Stimmen, keine Sprache

Sonntag, 21. 25 Uhr, 3sat: LOST ANGELES - Die Vielschichtige

Nach dem Film wünscht man sich, der San-Andreas-Graben möge sich endlich auftun und diese Stadt verschlingen – oder der Kommunismus möge zurückkehren und dem ganzen Wahn ein Ende bereiten. Das ist womöglich das positivste Ergebnis dieser Dokumentation, die sich an dem versucht, was man heute Dekonstruktion nennt. „No fuckin’ way”, würden die Eingeborenen sagen.

Erstmal ist es ziemlich einfach, den Zuschauern etwas für ihr Geld zu bieten: Man mietet einen Hubschrauber, fliegt wie ein Engel über die Stadt und kriegt phantastische Bilder. Wenn man aber über diese Stadt nachdenken will, ist das ein bisschen wenig. LOST ANGELES – EINE STADT ZWISCHEN TRAUM UND TRAUMA heißt der Film, und abgesehen davon, dass das kein sonderlich origineller Titel ist, kommt immer nur heraus, was man ohnehin schon wusste. Oder, wie es der Pressetext nennt: „vielschichtige Identität”.

Der einfachste Weg, die Vielschichtigkeit abzubilden, besteht darin, möglichst viele Leute mit möglichst vielschichtigen Perspektiven zu Wort kommen zu lassen. So reden sie also: Hubert Selby, Ray Bradbury, Richard Meier, Tatjana Patitz, Jay Leno, Ice T, Michael Mann, Sydney Pollack, Sam Mendes, James Ellroy und sonstwer. Sie sagen dies und das. Vielschichtig. Kluge Sachen, Allgemeinplätze. Was gefragt wäre: nicht nur Ansichten, sondern auch Einsichten. Oder vielleicht auch nur ein erkennbarer Willen, das Ganze zu bündeln. Stattdessen: Vielschichtigkeit.

Eckhart Schmidt, ehemals Filmkritiker dieser Zeitung, dann Regisseur kurioser Spielfilme, nun unser Mann am Pazifik. Dies ist seine sechste Dokumentation über Los Angeles. Die Methode – immer dieselbe. Leute zum Reden bringen – und sich selbst heraus halten. Aber gerade diese Vielzahl von Stimmen ist es, die ohnehin auf uns einstürmt. Wäre mal ganz interessant, wenn Schmidt sich hinter all den Stimmen zu erkennen gäbe.

Natürlich sind auch intelligente Leute dabei, aber wenn man von Los Angeles erzählen will, sollte man wenigstens Positionen wie die von Mike Davis oder Richard Sennett berücksichtigen – die haben auch alles gesagt, was zu sagen war. Stattdessen wird die Stadt der Zukunft beschworen, der Ort, der sich als „global village” versteht – und es womöglich auch ist. Dazu haben alle etwas zu sagen, aber keiner etwas Richtiges.

Die meisten Prominenten tauchen auf, weil sie prominent sind. Das kann nie schaden. Und während sie reden, sieht man Bilder, die damit nach Möglichkeit nichts zu tun haben. Während der französische Betreiber des „Petit Four” spricht, sieht man einen Verkehrsunfall. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Irgendwas. Das muss genügen. So plätschert der Film vor sich hin, ohne Höhepunkte, ohne Spannungsbogen, ohne Erkenntnisinteresse.

Alles drin, nichts dabei

Natürlich lässt es sich bei dieser Methode gar nicht vermeiden, dass die Interviewten auch Interessantes sagen. Eine fragt, wie lange es die Armen hier noch ertragen werden, arm zu bleiben. Ausgerechnet Larry Flynt vom Hustler-Magazin sagt, dies sei eine grausame, gemeine Stadt. Ice T erzählt, er habe in seiner Zeit als Dealer Kids gekannt, die zehn Millionen am Tag umsetzen. Und Sydney Pollack sagt, unter der Oberfläche herrsche hier eine große Depression.

Unter der Oberfläche des Films herrscht in der Tat auch eine große Depression. Umweltverschmutzung, Schönheitschirurgie, Latinosupermärkte, chinesisches Neujahr – alles drin, nichts dabei. Einmal gibt es einen Blick auf die aufgelassenen Gleise des öffentlichen Verkehrssystems – da hätte man einsteigen können. Walter Benjamin hat gesagt, Ideen kämen nach Amerika, um zu sterben. So ist es. Die Musik stammt von Thomas Fuchsberger und Raoul Sternberg „nach Motiven von Mozart und Vivaldi”. So klingt sie. Raoul Sternberg ist ein altes Pseudonym von Schmidt – es soll an Raoul Walsh und Josef von Sternberg erinnern. Soll.

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