05. Oktober 2000 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Liberty Heights

Aus Jungs werden Männer

Der so genannte vierte Teil der Baltimore-Trilogie: LIBERTY HEIGHTS von Barry Levinson

Für Jungs, die nicht erwachsen werden wollen, war Barry Levinson einst so etwas wie der beste Regisseur der Welt. Er hatte mit Robert Redford die Baseball-Phantasie DER UNBEUGSAME inszeniert, der bei uns noch vor dem früher entstandenen, hoffnunglos unterschätzten DINER lief, einer der liebenswertesten und schmerzlichsten Studien über all die Phantomschmerzen, die das Erwachsenwerden begleiten. Danach kam TIN MEN über die Tricks und Krisen der Verkäufer von Aluminiumfassaden, und es stellte sich heraus, dass sich diese gestandenen Männer kaum von den Jungs im Diner unterschieden. Mit AVALON vollendete Levinson seine Baltimore-Trilogie, ein Familienpanorama mit größeren Ambitionen und deutlich weniger Charme. Mit GOOD MORNING, VIETNAM und RAIN MAN schien dann auch der Rest der Welt zu begreifen, was längst schon klar war: dass Levinson der beste Regisseur der Welt ist. Und das Schlimmste daran war: Er selbst sah das offenbar auch so.

Die eigenen Geschichten hatte er erzählt, und was er zu sagen hatte, hatte sich erschöpft. Er verfilmte die Crichton-Romane ENTHÜLLUNG und SPHERE, ohne den Stoffen seinen Stempel aufdrücken zu können, und inszenierte zwei smarte kleinere Filme, JIMMY HOLLYWOOD und WAG THER DOG, die wie Fingerübungen eines Mannes wirkten, der beweisen wollte, dass er sein Gefühl für gute Geschichten nicht verloren hat – dazu kam SLEEPERS, dessen Proportionen zwischen falscher Nostalgie und dramatischem Kalkül so verzogen waren, dass es kaum mit anzusehen war. Andererseits: Nie urteilt man härter als aus enttäuschter Liebe.

Man könnte noch weiter ausholen, um zu erklären, welche Wunder Levinson in DINER vollbracht hat, mit dem es allenfalls noch AMERICAN GRAFFITI aufnehmen kann dessen Regisseur George Lucas mittlerweile mit STAR WARS – EPISODE I seinerseits künstlerischen Bankrott angemeldet hat. Das spricht nicht unbedingt für das, was in Hollywood der Erfolg mit Filmemachern anstellt. Aber das gilt natürlich auch für Leute wie Coppola oder Altman, die einfach nicht für jedes Projekt das gleiche Interesse aufbringen und ihrem Genie immer wieder mal Pausen gönnen. Vor allem aber gilt: Man muss immer mit ihnen rechnen, die schlafenden Riesen können jederzeit erwachen.

LIBERTY HEIGHTS hat eine reichlich sonderbare Entstehungsgeschichte: Levinson hat sich darüber, dass Dustin Hoffmans Figur in SPHERE von einer Kritikerin als jüdisch identifiziert worden ist – obwohl der Film das völlig offen lässt –, so geärgert, dass er anfing über seine jüdischen Erfahrungen im Baltimore seiner Jugend nachzudenken. Die Kritikerin schrieb in ihrer Besprechung von LIBERTY HEIGHTS: „Wenn mehr Leute Barry Levinsons Beispiel folgen würden und Kunst machen würden, nachdem sie sich über etwas aufregen, was ich geschrieben habe, dann würde Hollywood womöglich davon profitieren.” Ihr Name ist Lisa Schwarzbaum – ihr Antisemitismus zu unterstellen, ist also reichlich abwegig. Aber wie sie schon sagte: Wenn’s der Sache dient…

Levinson ist also zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt und hat, wie er das augenzwinkernd nennt, den vierten Teil seiner Baltimore-Trilogie gedreht. Man kann schonmal vorweg sagen, dass er die schlafwandlerische Sicherheit, mit der er früher zwischen Aberwitz und Sentiment balancierte, nicht wiedergefunden hat. Andererseits spielt LIBERTY HEIGHTS auf jenem schmalen Grat zwischen Komödie und Tragödie, der auch seinen frühen Filmen eine Heimat war.

Das Jahr ist 1954, und die blankpolierten Limousinen und wohlfrisierten Statisten sehen so herzerweichend falsch und teuer aus, wie das nur Hollywood hinkriegt – oder deutsche Filme, die den Zweiten Weltkrieg nachstellen wollen. Alles glänzt im trügerischen Glanz der Nostalgie. Und womöglich hat Levinson deswegen einen Erzähler gewählt, der in der Rückschau auf die Ereignisse blickt.

Im Country-Club sind Juden, Hunde und Schwarze nicht zugelassen – in dieser Reihenfolge. Genau das ist auch das Thema des Films. Für die halbwüchsigen Helden sind das Probleme, die eher am Rande ihres Blickfeldes liegen – fürs erste geht es darum, wie sie an die tollen Mädchen rankommen. Probleme entstehen nur, wenn der junge Held beschließt, als Hitler zur Halloween-Party zu gehen – da versteht der Familienrat keinen Spaß.

Das kann Levinson: den Ernst des Lebens mit leichter Hand skizzieren. Der durchaus respektable Vater betreibt mit seinen Kumpels einen Strip-Schuppen und steigt unglücklicherweise ins Wettgeschäft ein, wodurch er einem schwarzen kleinen Gauner 100 000 Dollar schuldet, die er nicht hat. Der jüngere der Söhne knüpft unterdessen zarte Bande zur einzigen schwarzen Mitschülerin, was dere Vater nicht behagt; und der ältere hat sich in ein verwöhntes Millionärstöchterchen verguckt, die von seiner jüdischen Herkunft nichts weiß und im übrigen selbst mehr Probleme hat, als ihr gut tut.

Es verlaufen also jede Menge unsichtbarer Grenzen und Schranken durch diesen Film, welche die Konflikte des Films vorgeben, ehe seine Helden davon etwas wissen. Und so wie in DINER und TIN MEN die Gruppen so sehr in ihren eigenen Kosmos verstrickt waren, dass die Außenwelt nur ganz selten ihr grässliches Haupt zeigte, so versuchen auch hier alle, sich blind zu stellen. Aber auf Dauer können sie die Wirklichkeit nicht leugnen – nur ist in LIBERTY HEIGHTS die Konstruktion durchsichtiger. All die Routinen und Rituale beherrscht Levinson wie eh und je – aber so ganz traut er ihnen nicht mehr. Obwohl er dem Fell’s Point Diner, in dem einst die Jungs über den Sinn des Lebens fachsimpelten, seine Reverenz erweist.

Nur einmal blitzt der alte Irrsinn wieder auf: Da fährt der schwarze Vater den jungen Mann im Auto heim, nachdem er ihn mit seiner Tochter erwischt hat. Und obwohl die Situation peinlich genug ist, weigert sich der Junge auszusteigen, weil gerade Sinatras „Young at Heart” im Autoradio läuft. Und auf die Frage des verärgerten Mannes, ob er nicht endlich aussteigen wolle, antwortet der Grünschnabel: „Das wäre Sinatra gegenüber respektlos, Sir!”
Irgendwann müssen alle Jungs erwachsen werden – auch Regisseure. Manchmal ist das ein echter Jammer.

LIBERTY HEIGHTS, USA 1999 – Buch und Regie: Barry Levinson. Kamera: Chris Doyle. Schnitt: Stu Linder. Produktionsdesign: Vincent Peranio. Musik: Andrea Morricone. Mit: Adrien Brody, Bebe Neuwirth, Joe Mantegna, Ben Foster, Orlando Jones, Rebekah Johnson, Carolyn Murphy. Warner, 134 Minuten.

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