16. August 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Lara Croft Tomb Raider

Kein Fleisch, kein Blut

Man stirbt nur zweimal: LARA CROFT TOMB RAIDER

Wer Nächte mit Lara Croft am Computer verbracht hat, wünscht sich irgendwann zwangsläufig, der Frau näherzukommen. Dabei geht es aber weniger um Cybersex als um das verständliche Bedürfnis, jenes virtuelle Wesen, mit dem man zahllose Abenteuer überstanden und das dabei tausend Tode gestorben ist, einmal in Menschengestalt betrachten zu können. Seit der ersten Verfilmung durch Simon West weiß man, daß Laras Fleischwerdung in Form von Angelina Jolie erfolgt ist, einer eigentümlich starren Schauspielerin, deren pneumatische Formen noch nicht einmal unbedingt so wirken, als wären sie aus Fleisch und Blut. Ihre mimische Nähe zum Vorbild mag gewünscht sein, ist aber den Verfilmungen darüber hinaus nicht gerade förderlich. In jedem Fall fehlt es an Phantasie, diese Verkörperung einer Computerfigur irgendwie zu reflektieren, ihr mehr abzugewinnen als den obligatorischen Clinch mit dem Leinwandpartner oder die stereotypen Bewegungsabläufe, die dem Computerspieler aus ungezählten Waffengängen vertraut sind.

Nach all dem Gewese, das um diese erste Spielfigur veranstaltet wurde, deren Ausstrahlung den Rahmen des Computermonitors gesprengt hat, fragt man sich, warum die Kameras sich nicht ein einziges Mal näher herantrauen, ihren Körper erforschen, ihre Kurven abfahren, ihre Haut erspüren. Gerade das Kino hätte die Möglichkeit, dem Image einer Figur, die man nur aus der Totalen kennt, überlebensgroße Bilder entgegenzusetzen. Aber auch der Fortsetzungsregisseur Jan de Bont vermeidet jeden Körperkontakt und verläßt sich lieber auf die üblichen Croftmeiereien.

In Amerika wurde der Mißerfolg von TOMB RAIDER – DIE WIEGE DES LEBENS auf die Spielvorlage geschoben – auf die Idee, die uninspirierte erste Verfilmung könne den Leuten die Lust auf eine Fortsetzung genommen haben, kommt in Hollywood schon keiner mehr. Man hat es sich dort in der Vervielfältigung von Erfolgsrezepten so bequem gemacht, daß man das Konzept gar nicht mehr in Frage zu stellen in der Lage ist. Aber Jan de Bont hat schließlich mal SPEED gedreht, und so hoffte man wohl, er könne dem fußlahmen Produkt Tempo verleihen. Anfangs sieht es sogar so aus, als habe der ehemalige Kameramann zumindest den visuellen Reiz des Spiels erkannt und einen Weg gefunden, die Antriebslosigkeit der Figur durch andere Attraktionen zu befeuern. Bei einem Erdbeben vor Santorin wird unter Wasser Alexanders Tempel der Luna freigelegt, wo man dem Verbleib der Büchse der Pandora auf die Spur zu kommen hofft. Lara taucht also in die Tempelruinen, begegnet Haien und anderen Gegnern und vermittelt ganz den Eindruck, ihr Regisseur habe etwas von der labyrinthischen Struktur des Spiels begriffen, in der unterirdische Höhlen und Gänge eine Parallelwelt bilden, welche die Wirklichkeit nachhaltig durchlöchert. Alles Sichtbare wird in den diversen Folgen der Spielvorlage nachhaltig unterwandert und birgt Geheimnisse, die von den Mächten der Finsternis nicht so ohne weiteres preisgegeben werden. Gerade diesen Reiz verliert der Film aus den Augen, sobald Lara wieder aufgetaucht ist – der Rest könnte jedem beliebigen Agentenfilm entstammen, der in China und Afrika, in Hongkong und Schanghai spielt, aber den Schauplätzen wenig Untergründiges abgewinnen kann.

Immerhin mündet die Reise gegen Ende in ein Schattenreich am Fuße des Kilimandscharo, wo kein Gras mehr wächst und eindrucksvolle Monster ihr Unwesen treiben. Da stellt sich auch das Gefühl fortgesetzter Bedrohung wieder ein, das den Spieler in der Vorlage kaum zur Ruhe kommen läßt. Hier wird dann auch endlich Til Schweiger aus seiner undankbaren Rolle als Handlanger des Bösen befreit und geht den Weg alles Fleisches. Außerdem gibt es eine unmotivierte Motocross-Einlage und einen spektakulären Sprung von einem Hochhaus, dessen freier Fall erst im letzten Moment vom Fallschirm gebremst wird, aber all die Locations bleiben blaß, wenn man sie mit der Vorlage vergleicht. Dort kämpft sich Lara durch ein Venedig, in dem nicht nur die Gondeln Trauer tragen, oder durch ein gesunkenes Schiff, in dem alles auf dem Kopf steht. Auch nach der zweiten Folge kann man sagen, daß das Kino vor den production values des Computerspiels schlicht und einfach kapitulieren muß. Alles sieht aus wie tausendmal gesehen, und fürs Ungesehene fehlt es den Herrschaften schlicht an Inspiration.

In einem der nachdenklicheren Momente blickt Lara versonnen auf die nächtliche Silhouette von Hongkong, und was sie vor allem sieht, sind die Leuchtreklamen der multinationalen Konzerne. Fast wirkt es da, als blicke sie in einen Spiegel – auch sie ist nur ein Produkt, ein Name, ein eingetragenes Warenzeichen, das allein ums eigene Image besorgt ist. Soweit wir uns erinnern, sollte es im Kino in der Regel um ein bißchen mehr gehen.

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