07. Januar 2005 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | House of Flying Daggers

Die Messer des Herzens

Etwas andere Grammatik des fernöstlichen Actionkinos: Zhang Yimous Film HOUSE OF FLYING DAGGERS lehrt fliegen

Kenner wollen wissen, daß das asiatische Kino schon immer fliegen konnte. Für den durchschnittlichen Kinogeher macht das aber keinen rechten Unterschied. Auf den Geschmack gekommen ist man hierzulande eher mit MATRIX, wo Trinity wie ein schwarzer Engel in der Luft zu stehen schien, und hat sich dann in TIGER & DRAGON verwundert die Augen gerieben, wo der Action-Choreograph Yuen Wo Ping ebenfalls die Finger im Spiel hatte, wenn es darum ging, die Schwerkraft zu überwinden. Seither ist man geneigter, nicht nur Hollywoods Actiondramaturgie zu genießen, sondern auch die etwas kompliziertere Grammatik des asiatischen Actionkinos. Zumal es dem chinesischen Regisseur Zhang Yimou schon in HERO gelang, nicht nur durch die Choreographie der kämpfenden Körper die Augen übergehen zu lassen, sondern indem er Bilder fand, die aus der Action die reinste Kalligraphie machten.

Von seinem Star Maggie Cheung heißt es, daß sie beim Lesen des Drehbuchs von HERO jedesmal habe weinen müssen, beim Betrachten des Films jedoch keinerlei Gefühlsregungen gespürt habe. Sie machte dafür Zhangs starres visuelles Konzept verantwortlich, das den Charakteren alles Leben ausgetrieben habe. Man könnte ihr mit einem alten Hollywoodspruch darauf antworten: Action is character! Und doch hatte Zhang seine eigene Art, damit umzugehen, indem er seinen Figuren regelmäßig den Boden unter den Füßen wegzog, weil ihre Geschichten mindestens einen doppelten Boden hatten. Das ist in HOUSE OF FLYING DAGGERS nicht anders. Die Geschichte ist eigentlich nicht sonderlich vertrackt, aber ihre Pfade sind dennoch verschlungen, weil sich immer wieder Kaisertreue als Spione entpuppen und Rebellen als imperiale Soldaten. Alles ist ein abgekartetes Spiel, in dem es nur darum geht zu beweisen, daß Herz auch wirklich Trumpf ist.

Bei HERO wurde Zhang verschiedentlich vorgeworfen, er habe einen Kotau vor den chinesischen Machthabern vollzogen, indem er dem ersten Kaiser von Ch’in ein Denkmal errichtete. Das hat viele Kritiker um so mehr erbittert, als Zhang eigentlich als Vertreter jener „fünften Generation“ galt, die dem chinesischen Kino internationales Ansehen verliehen hatte und ständig von der Zensur bedroht war. HOUSE OF FLYING DAGGERS zeigt den Machthaber jedenfalls gar nicht, und seine Abwesenheit macht den Zerfall seines Reiches um so stärker spürbar.

Man schreibt das Jahr 859, die Tang-Dynastie ist durch Korruption ausgehöhlt, die Rebellen haben sich zum „Haus der fliegenden Dolche“ zusammengeschlossen. Zwei kaiserliche Soldaten (Andy Lau und Takeshi Kaneshiro) bekommen den Auftrag, binnen zehn Tagen dessen Anführer ausfindig zu machen und zu töten. Ihr einziger Anhaltspunkt ist eine blinde Tänzerin (Zhang Ziyi) in einem Bordell, die verdächtigt wird, die verschwundene Tochter des ehemaligen Rebellenführers zu sein. Sie lassen sie festnehmen und fingieren ihre Befreiung, um sich ihr Vertrauen zu erschleichen. Daß bei der Flucht auch Verfolger aus den eigenen Reihen umkommen, wird in Kauf genommen. Wie hoch der Preis für diese Aktion wirklich ist, begreifen alle erst, als es zu spät ist, weil aus den vorgetäuschten irgendwann echte Gefühle werden. Vielleicht ist aber alles ohnehin von Anfang an ein Täuschungsmanöver, in dem das größte Opfer darin besteht, das eigene Herz zu verleugnen.

Schon die erste Choreographie in dem palastartigen Bordell gibt einen Vorgeschmack auf die Art, wie Zhang sein Publikum in Bann schlägt. Da soll die blinde Tänzerin ihre Künste beim „Echo-Spiel“ unter Beweis stellen, bei dem sie in einem Kreis aus Dutzenden von Trommeln steht, auf die ihr Peiniger Bohnen schnippt, deren Flugbahn sie tanzend mit ihren meterlangen Ärmeln nachzeichnen muß. Es geht gar nicht so sehr darum, den Sinn des Spiels zu verstehen, als atemlos dabei zuzusehen, wie die Kamera dem Flug der immer zahlreicheren Bohnen folgt, bis sich schließlich das Bild in seine einzelnen Bohnenmoleküle aufzulösen scheint, welche die Tänzerin umschweben wie Elektronen ein Atom.

Das ist bei weitem noch nicht die virtuoseste Szene des Films, aber Zhang gelingt es dadurch, die Sinne der Zuschauer für die Klänge zu schärfen, welche der blinden Tänzerin die einzige Orientierung sind. So sind auch, wenn sich der Film dann hinausbegibt auf seine weite Reise durch die Landschaften Chinas, die Töne, die von den Rändern kommen, mindestens so präsent wie das Schwerterklingen im Gemetzel. HOUSE OF FLYING DAGGERS gehört zu jener Sorte Film, bei der man nicht nur die Dolche hört, wenn sie die Luft durchschneiden, sondern auch den Wind, wie er durchs Gras rauscht. Gerade die Präsenz der Tonspur verleiht den stilisierten Bewegungen der Geschichte etwas irritierend Gegenwärtiges.

Die Fliehenden müssen sich immer neuer Angreifer erwehren, bei denen die Kamera der Flugbahn der Dolche und Pfeile hinterhersaust, als wollte sie die Action in ihrer reinsten Form einfangen, sie herausmeißeln aus der Geschichte, die sie umgibt. Sein choreographisches Meisterstück liefert der Film jedoch, wenn die Liebenden durch den Bambuswald fliehen, zwei Schemen in einer Strichzeichnung aus Licht und Grün, in der die Verfolger wie Schatten zwischen den Wipfeln der Bäume herabzufallen scheinen. Am Ende sind die beiden mitten in der Bewegung gefangen, eingezäunt von Hunderten von Bambusspeeren, als seien all die Flugbahnen mit einem Mal zur Form erstarrt.

HOUSE OF FLYING DAGGERS ist ein einziges Spiel von Formen und Farben, in denen alles, was in der Geschichte an Gefühl steckt, zum Ausdruck kommt. Man muß nur Augen dafür haben.

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