10. November 1990 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Getaway

Spielfilmtip zum Wochenende

Der Kampf mit den Furien

Vordergründig ein Gangsterfilm: GETAWAY

Von Texas nach Mexiko, aus dem Gefängnis in eine Freiheit zu zweit. Carol hat Doc rausgeholt, indem sie sich mit einem vom Bewährungsausschuß eingelassen hat. Ein Überfall und dann die lange Flucht vor den Gespenstern des Verrats und der Vergangenheit: „Flucht kann vieles sein. Etwas Sauberes und Schnelles, so wie ein Vogel durch den Himmel gleitet Oder etwas Schmutziges und Kriechendes; eine Serie von krebsartigen Bewegungen durch den Dreck. Flucht heißt vorwärts kriechen, zur Seite springen, rückwärts rennen. Flucht bedeutet in Feldern und Flußbetten zu schlafen. Seitenstraßen und Eisenbahngleise. Die Ladefläche eines Lasters, ein gestohlener Wagen und ein totes Paar auf der Straße der Liebenden. Geklautes Essen von Güterwaggons, Kleider von Wäscheleinen; Raub und Mord, Schweiß und Blut. Das Ganze vereinfacht durch das wunder der Notwendigkeit.“

So heißt es in dem Roman The getaway, den Jim Thompson 1950 geschrieben hat. Von diesem Poeten der hartgesottenen Schule kommen demnächst zwei neue Verfilmungen in die Kinos, Dennis Hoppers HOT SPOT und James Foleys AFTER DARK, MY SWEET – höchste Zeit, den 1977 gestorbenen Amerikaner, der sich zu James M. Cain etwa so verhält wie Hammett zu Chandler, endlich auch bei uns durchzusetzen. Seine Romane sind bei Ullstein-Krimis erschienen.

Ursprünglich sollte Peter Bogdanovich den Roman mit Jack Palance und Faye Dunaway in den Hauptrollen verfilmen. Stattdessen machte er IS‘ WAS, DOC. So kam Sam Peckinpah und mit ihm kamen Steve McQueen und Ali MacGraw. Das Drehbuch schrieb Walter Hill, der mit dem Ergebnis immerhin zu 90 Prozent zufrieden war: „Es gab da diese wunderbare Möglichkeit, eine beinahe surreale Welt zu erschaffen. Ich wollte von der Wirklichkeit der Verbrecher völlig die Finger lassen. Es sollte als Fabel funktionieren, als Geschichte einer Reinigung nach einer Reise durch die Eingeweide der Erde. Keine Tragödie, sondern eine tragische Situation. Trotzdem kann man es auch ganz vordergründig als Gangsterfilm in Texas sehen, als Film über Verfolgungswahn. Die ganze Geschichte balanciert am Rande des Wahnsinns: Autos fliegen in die Luft, Leute werden in Müllwagen beinahe erdrückt, Hotels werden durch Schießereien zerstört. Es ist die Hölle, aber so soll es sein. Im Lauf ihrer Erlebnisse schaffen es Doc und Carol, ihre Würde wiederzugewinnen, indem sie einander vergeben und für ihre Fehler sühnen. Sie steigen in den Ring, kämpfen mit den Furien und kommen lebend wieder rausgekrochen.“

Es gibt inmitten der Action aber auch eine Menge unvermittelt schöner, ruhiger Momente. Da wird ein Toter aus einem Wagen gestoßen, und die Kamera schneidet plötzlich den Flug eines Vogels Über den Bäumen – wie im Roman. Es gibt einen Moment flüchtigen und trügerischen Glücks, wo die beiden im Geld baden, und einen alten Schutzengel, der großes Verständnis für die beiden zeigt – Hauptsache, sie seien verheiratet.

Nochmal Jim Thompson: „Seine Augen fielen zu. Es war nicht schlecht gewesen. diese lange schleppende Reise durch die Vereinigten Staaten. Nichts als fahren und fahren, ein Tag wie der andere. Keine Sorgen, keine Entscheidungen. Und vor allem die Freiheit, ja sogar Notwendigkeit, nicht zu reden. Er hatte die Segnungen der Stille nie zuvor bemerkt – die Freiheit zu schweigen, wenn man will.“

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