21. Juli 1986 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Fool For love

Cowboyspiele im Sandkasten

Noch einmal Sam Shepards FOOL FOR LOVE - diesmal von Robert Altman

Das „El Royale“, ein Motel, liegt am Rande der Mojave-Wüste in Neu-Mexiko. Hierzulande würde man sagen: wo Fuchs und Hase sich gute Nacht wünschen. Doch dort draußen treibt sich anderes Getier herum. Die schöne blonde May etwa, die die drohende Gefahr nicht sehen muß, um sie zu wittern. Ihre Blicke und Bewegungen ähneln denen eines scheuen Rehes. Als aber Eddie auftaucht, führt sie sich auf wie eine Zicke. Noch streicht der in seinem Pferdetransporter wie ein hungriger Löwe um sein Opfer und beschnuppert das Terrain für seinen Angriff, ehe er dann, raubvogelgleich, von den Hügeln hinabstößt. Wenn Eddie jedoch aussteigt, erkennen wir in ihm sofort den einsamen Wolf. Derweil sitzt im Hintergrund ein alter Mann vor seinem Wohnwagen
und spielt Mundharmonika. Er ist schon ein seltsamer Kauz, wie er da die Szenerie beäugt Später wird zu den dreien noch eine stoßen, die spinnt eine schwarze Witwe. Liegt das „El Royale“ nun auf freier Wildbahn, oder befinden wir uns nur im Zoo?

Wo einst der Wilde Westen lag, sind heute vereinigte Staaten. Die Welle der Zivilisation hat darüber hinweggespult und ihr Treibgut zurückgelassen: Motels, Highways, Junkyards und Neonzeichen. Die Cowboys reiten auf Pickups oder Trauern, ihre Pferde heißen Plymouth oder Studebaker. Der Marlboro-Mann ist auch dort schon ein Anachronismus. Damit wollen sich die Figuren des Theaterautors Sam Shepard nicht abfinden, können es vielleicht auch gar nicht Am Ende wird Eddie lassoschwingend einem davonfahrenden Wagen auf dem Highway hinterherreiten.

es sind gebrochene Helden getrieben von ihren Sehnsüchten und dem großen Traum von einem eigenen Stück Land, wo sie ihre Ruhe in einem Leben zu zweit finden können. Als Eddie May von Wyoming erzählt sagt sie: „Wyoming? Was willst du dort spielen? Den Marlboro-Mann oder was?“ Selbst im Westen wirken ihre Lebensentwürfe also hoffnungslos altmodisch. Ihr Motto heißt dennoch: Aufs Ganze gehen. Mit Halbheiten können sie nichts anfangen. Allein schon, um ihre Welt zu bewahren. Man darf Shepard ruhig glauben, als er Eddie sagen läßt: „Wenn ein Mann kein Cowboy ist dann ist er ein Stück Dreck.“ Im Kino
wird an der Stelle dann gelacht weile das keiner verstehen mag. Weil es so was eigentlich nur noch in der Zigaretten-Reklame gibt.

Sam Shepard schrieb nicht nur Vorlage und Drehbuch, sondern spielt auch den Eddie. Er ist ein Multitalent der letzte der wahren Westerner, ein echter amerikanischer hero, ein Traummann. Mehr als vierzig Theaterstücke hat Shepard geschrieben und dafür zehn Obies (Off-Broadway-Awards) und einen Pulitzer-Preis gewonnen. Er war drogensüchtig, hat mit der Musikerin Patti Smith zusammengelebt und bei den Rolling Stones den Schlagzeuger vertreten. Er hat für Wim Wenders‘ preisgekrönten Film PARIS, TEXAS das Drehbuch geschrieben und wurde für seine Rolle des Chuck Yeager in DER STOFF, AUS DEM DIE HELDEN SIND für den Oscar nominiert.

Heute reist er mit seiner Frau, der Schauspielerin Jessica Lange, und seinem Kind in einem Trauer durch den mittleren Westen. Schriftsteller und Dichter, Dramatiker und Filmstar. Alles mit Erfolg. Was manchen dabei vor den Kopf stößt ist sein offener Amerikanismus. Cowboy und Intellektueller, das ist bei Shepard jedoch nur scheinbar ein Widerspruch Denn er nimmt den amerikanischen Traum ernst erfindet neue Mythen, wo die alten nicht mehr taugen. Dafür braucht er Platz. Die Räume, die das Theater der Vorstellungskraft der Zuschauer läßt. Oder den weiten Himmel und die endlosen unbewohnten Landschaften des amerikanischen Westens. Regisseur Robert Altman läßt uns jedoch keinen Raum, weil er die Möglichkeiten des Kinos nicht nutzt. Vielleicht weil er in letzter Zeit zu oft fürs Fernsehen gearbeitet hat. JIMMY DEAN, STREAMERS oder LAUNDROMATE entstanden alle nach Theaterstücken und spielten in engen Räumen. Die breite Leinwand rechtfertigen in FOOL FOR LOVE nur wenige Einstellungen. Etwa wenn Eddie aus seinem Pickup steigt und die Kamera dem schlaksigen Mann aus Untersicht in einem langen Schwenk über den Motelplatz folgt. Dann läßt der verhangene Abendhimmel über dem Horizont etwas von der Weite der Landschaft ahnen.

Robby Müller, der nach Filmen wie PARIS, TEXAS oder ÜBEN UND STERBEN IN L.A. wohl zu den besten Kameramännern unseres Jahrzehnts zählt wurde nach wenigen Drehtagen vom Regisseur gefeuert. Seine bewegte Kamera, seine Fahrten, die Raum brauchen und schaffen, kamen Altman bei FOOL FOR LOVE vermutlich nicht gelegen. Der neue Mann Pierre Mignot fährt nicht, sondern teilt den Raum auf, indem er schwenkt und zoomt. Die Kamera steht fest im Mittelpunkt holt die Leute ran und entrückt sie in die Ferne, als hingen sie an Fäden, als spiele jemand mit ihnen Jojo. Schließüch wird ihre Zentrifugalkraft so groß, daß sie losgelassen in alle Richtungen davonfliegen. Die freiwerdende Energie läßt das Motel in Flammen aufgehen.

Große Gefühle brauchen große Schauspieler. Und Altman hat die besten. Shepard ist die Idealbesetzung für den Eddie, und Harry Dean Stanton für den alten Mann sowieso. Und Kim Basinger ist zumindest ein Talent wie einst Carroll Baker, mal kindlich, mal aufreizend. Doch die Präsenz der Darsteller ist so überwältigend, daß sie sich an den unsichtbaren Gitterstäben von Altmans Motel ständig die Köpfe einrennen. Obwohl ihre Gesichter bereits die ganze Vergangenheit miterzählen, verwendet Altman Rückblenden, die immer leicht von dem abweichen, was May und Eddie schildern. Sie entlarven ihre romantisierende Sicht der Vergangenheit. Doch was Altman dadurch einerseits gewinnt, verliert er andererseits an Geheimnis. So bekommen seine Figuren eine falsche Eindeutigkeit, die aufs Gleichnis statt auf die Realität verweist. Und wenn May dann mit dem Daumen im Mund im Sand liegt müssen wir uns fragen: Ist das „El Royale“ etwa ein Kinderspielplatz, die Mojave-Wüste nur ein Sandkasten?

(In München im Eldorado.)

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