02. Januar 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | 8 Mile

Der Mann mit den tausend Namen

In seinem Film 8 MILE erfindet der Regisseur Curtis Hanson dem Rapper Eminem eine weitere Biographie

Es ist die alte Geschichte des Pop: Die Leute müssen nicht unbedingt verstehen, was einer singt, aber sie müssen spüren, was er meint. Das war schon bei Elvis so, und das ist bei Eminem nicht anders. Natürlich geht es dabei meistens um Sex oder Aufruhr, was in einem gewissen Alter ohnehin so ziemlich dasselbe ist. Aber selbst Kinder, denen das eine wie das andere noch fern ist, finden Gefallen an den zornigen Wortkaskaden des weißen Rappers, der seiner Wut auf alle, alles und sich selbst einen so eingängigen Tonfall zu verleihen weiß.

Am Anfang machte Eminem auf sich aufmerksam, indem er alles in den Dreck zog, was jungen Mädchen oder ihren Eltern heilig ist: Britney Spears und die Spice Girls, Lehrer und Familie. Und als er damit ordentlich berühmt geworden war, mußte er mit seiner Frau und seiner Mutter Prozesse um Millionen Dollar führen, weil er die beiden in seinen Songs aufs übelste verunglimpft hatte. In seinen Videoclips trieb er das Spiel mit der eigenen Biographie noch weiter, tauchte mal unter seinem richtigen Namen Marshall Mathers und dann wieder unter seinem weiteren Pseudonym Slim Shady auf, so daß man bald kaum mehr unterscheiden konnte, was echter Schmerz und was gespielte Wut ist. Natürlich ist diese Unterscheidung auch gar nicht relevant, solange sich nur alles zur großen „Eminem Show“ fügt.

Genau zum rechten Zeitpunkt kommt nun der Film 8 MILE ins Kino, in dem Eminem einen weißen Rapper namens Jimmy Smith spielt, dessen Werdegang wiederum unverhohlen Züge seiner eigenen Lebensgeschichte trägt. Wie seine Kollegen Madonna oder Bowie hat Eminem begriffen, daß man im Spiegelkabinett von Image und Identität seinen Fans und Kritikern immer einen Schritt voraus sein muß. Im Grunde wird hier die idealisierte Version seines Aufstiegs erzählt, die fast zu schön ist, um wahr zu sein. Doch auch wenn hier am Anfang der Karriere anstelle der kalkulierten öffentlichen Erregung eine ganz untypische politische Korrektheit steht, die sich gegen Schwulenhaß und Schußwaffengebrauch wendet, so bleibt doch stets als wahrer Kern, daß es ein Weißer geschafft hat, sich in einer durch und durch schwarzen Szene durchzusetzen.

Daß 8 MILE mehr ist als ein reines Pop-Vehikel, liegt natürlich an Curtis Hanson, der schon mit „Das Schlafzimmerfenster“ und „Die Hand an der Wiege“ bewiesen hat, daß er Genres zu bedienen weiß, und mit L. A. CONFIDENTIAL und DIE WONDER BOYS gezeigt hat, daß er sich im Spiel mit Identitäten auskennt. Und natürlich ist es kein Zufall, wenn in seinem Film einmal ein längerer Ausschnitt aus Douglas Sirks IMITATION OF LIFE zu sehen ist. In diesem Melodram aus den Fünfzigern, das bei uns unter dem Titel SOLANGE ES MENSCHEN GIBT lief, geht es um eine junge Schwarze, die ihres hellen Teints wegen glaubt, sie könne ihre Herkunft verleugnen, und erst am Sarg ihrer Mutter ihren Irrtum erkennt. Bei Sirk findet sich auch die filmische Formel für den weißen Rapper, der erkennen muß, daß er sich nur dann mit seinen schwarzen Konkurrenten messen kann, wenn er sich zu seiner Herkunft bekennt.

Der Titel 8 MILE bezeichnet jenes heruntergekommene Detroiter Viertel innerhalb des gleichnamigen Highways, der die Innenstadt von den weißen Vororten trennt, ein Niemandsland städtischer Entwicklung, das sich im eigenen Verfall eingerichtet hat und überwiegend von Schwarzen bevölkert ist. Dort haust der junge Jimmy bei seiner Mutter im Wohnwagenpark, nachdem er bei seiner Freundin rausgeflogen ist. Die Mutter (gespielt von Kim Basinger, die für ihre Rolle in L. A. CONFIDENTIAL einen Oscar gewann) ist Alkoholikerin, kann kaum auf Jimmys jüngere Schwester aufpassen und tut sich zum Entsetzen ihres Sohnes mit einem seiner ehemaligen Mitschüler zusammen. Er hat einen Job in einer Autofabrik und träumt davon, wochenends bei einem der Rap-Duelle groß rauszukommen. Beim ersten Versuch übergibt er sich allerdings vor dem Auftritt und bringt dann auf der Bühne vor dem rein schwarzen Publikum kein Wort heraus. Eigentümlich spannend sind diese Zweikämpfe, in denen zwei Rapper jeweils sechzig Sekunden haben, um ihre Gegner runterzuputzen und mit Worten fertigzumachen. Wobei der Sängerstreit weniger an Western erinnert als an das Duell zwischen Werfer und Schlagmann beim Baseball. Wo sich seine Gegner meistens in Prahlereien ergehen, da muß Jimmy erkennen, daß seine Stärke nur die eigene Schwäche sein kann: daß er white trash in einer black community ist, daß er ein loser ist, der es gerade dadurch zu etwas bringen kann. Legitimiert wird diese Botschaft dann wiederum durch Eminems Erfolg im wirklichen Leben.

Eminem mag als Schauspieler keine große Karriere vor sich haben – als Darsteller seiner selbst ist er versiert genug, um fast auratisch zu wirken. Das Milchgesicht mit dem starren Blick und den schlaffen Zügen wirkt mitunter so eigenartig fremd wie Bowies Mann, der vom Himmel fiel, ein Wesen, das unter seiner Kapuze so in sich gekehrt ist, daß es fast automatisch die Blicke auf sich zieht. Und ohne daß man im Einzelfall immer genau verstünde, was sich der Mann zusammenreimt, ist es schon faszinierend mitzuerleben, wie er aus dem Stegreif Worte zu Waffen schmiedet, wie er den Freund der Mutter mit einer improvisierten Version von Lynard Skynards SWEET HOME ALABAMA verulkt oder wie er auf der Bühne all das zum Ausdruck bringt, was er vorher in sich begraben hat. Kann sein, daß das Kino von der Macht der Bilder lebt; hier beschwört Curtis Hanson die Macht der Worte. Das ist mehr, als man von den meisten Filmen über Popstars behaupten kann.

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