05. Dezember 1992 | Süddeutsche Zeitung | Film-Tips, Rezension | Film-Tips 05.12.1992

Kommen und Gehen

Wie ein Raubvogel schraubt sich die Kamera hinab auf den Mann im Frisierstuhl, dessen Gesicht nach der Rasur von einem feuchten Tuch verdeckt ist. Dann zieht er das Tuch weg, und darunter wird Robert De Niro als feister Al Capone sichtbar. Ihn wollen Kevin Costner, Sean Connery, Andy Garcia und Charles Martin Smith seiner Verbrechen überführen. DIE UNBESTECHLICHEN (Pro 7, Samstag, 22.00 Uhr) ist ein Film der großen Auftritte, und dafür stellt die Kamera einige Verrenkungen an, geht in die Knie, stößt zu oder fliegt davon. Was Regisseur Brian De Palma am besten kann, ist die Dehnung der Zeit ins Unerträgliche: So wie beim Höhepunkt in der Eingangshalle des Chicagoer Bahnhofs, wo wie bei Eisensteins berühmter Szene in Panzerkreuzer Potemkin ein Kinderwagen eine Treppe hinabrollt, auf der sich Eliot Ness ein Gefecht mit Capones Handlangern liefert.

Auch Wim Wenders hat für HAMMETT, (PRO 7, Sonntag, 8.25 Uhr) Anleihen bei populären Mythologien genommen. ‚Ich wollte einen Menschen zeigen‘, schrieb er, ‚der Detektiv gewesen war und aufgrund einer Krankheit mit dem Schreiben beginnt, sich einen Stil aneignet, Schriftsteller wird durch die Begegnung einer Arbeit, die er aus eigenem Erleben kennt und woraus er Literatur macht.‘ Die Erfahrungen mit dem allgegenwärtigen Produzenten Coppola waren für den Deutschen zwar ziemlich fustrierend, aber immerhin drehte Wenders während der Denkpausen, in denen das Projekt feststeckte, LIGHTNING OVER WATER und dann DER STAND DER DINGE. Für den fiktiven Kriminalfall aus dem Leben des Autors Dashiell Hammett wurde vor Drehbeginn sogar eine Radioversion erstellt, in der Wenders‘ Idealbesetzung Sam Shepard den Hammett sprach.

Sam Shepard war in Terence Malicks IN DER GLUT DES SÜDENS(Pro 7, Sonntag, 14.50 Uhr) als reicher texanischer Farmer zu sehen, der sich in eine Wanderarbeiterin (Brooke Adams) verliebt, die von ihrem Freund (Richard Gere) zur Heirat gedrängt wird, weil der Farmer angeblich todkrank ist. Malick, der davor Badlands gemacht hatte, bekam nach diesem Film von seinem Studio einen Vertrag für die Entwicklung eines neuen Projekts. Mit dem Geld verschwand er nach Paris und tauchte nicht mehr auf. Unlängst soll er in Texas ein Kamerateam gemietet haben, um eine Sonnenfinsternis zu drehen. Er habe sich das Material aushändigen lassen, das Team bezahlt und sei dann wieder untergetaucht. So bleibt Terence Malick der einzige Regisseur, der seine Karriere freiwillig und nicht wegen Alter oder Erfolglosigkeit beendet hat.

Nestor Almendros, der für seine Kameraarbeit in diesem Film 1978 einen Oscar gewonnen hat, schrieb in seiner Autobiographie: ‚Malick bestand darauf, bestimmte Szenen nur in der Magic Hour zu drehen, in der Zeit zwischen Sonnenuntergang und Einsetzen der Nacht. Was das Licht angeht, dauert das etwa zwanzig Minuten, so daß der Ausdruck ‚Magische Stunde‘ eine ziemlich optimistische Umschreibung ist. Aber in den paar Minuten ist das Licht wirklich magisch, weil keiner weiß, wo es herkommt. Man sieht keine Sonne, aber der Himmel ist hell, und das Blau der Atmosphäre erfährt seltsame Verwandlungen. Oft mußten wir Szenen am nächsten Tag beenden, weil die Nacht einsetzte. Wie Johua in der Bibel wollte Malick jeden Tag den unabänderlichen Lauf der Sonne aufhalten.‘

Eine andere magische, nämlich die blaue Stunde zwischen Nacht und Morgengrauen bekommt man in Michael Ciminos IM JAHR DES DRACHEN (ORF, Samstag, 22.30 Uhr) zu sehen. Der Cop und die Fernsehreporterin waren gerade miteinander im Bett, da kommt der Film schließlich zur Ruhe und zeigt die Nackte in einem grandiosen Schwenk vor ihrem Fenster über den Straßen von Manhattan, die in einem nie gesehenen Blau strahlen. Immer wieder taucht die Geschichte um einen rassitischen Polizisten (Mickey Rourke), der den chinesischen Dogenhändlern das Handwerk legen will, in solche Panoramen ein: ein chinesischer Neujahrszug, ein polnischer Trauergottesdienst, ein birmesisches Dschungelcamp.
Amerikaner und Asiaten stehen sich auch in Sydney Pollacks YAKUZA (Pro 7, Sonntag, 22.10 Uhr) gegenüber, der Geschichte eines Amerikaners (Robert Mitchum), der nach zwanzig Jahren nach Japan zurückkommt und in einen Bandenkrieg gerät.

Paul Schrader hat das Drehbuch zusammen mit seinem Bruder Leonard geschrieben, der in dem Roman zum Film die Unterschiede schön auf den Punkt gebracht hat: ‚Der Hieb eines Amerikaners führt nach außen, der eines Japaners nach innen. . . Wenn ein Amerikaner durchdreht, öffnet er das Fenster und schießt nach draußen; wenn ein Japaner durchdreht, schließt er das Fenster und bringt sich selbst um – hara-kiri. . . Die amerikanische Umschreibung für Orgasmus ist Kommen: Ich komme; die japanische ist Gehen: Ich gehe. Dieselbe Sache, eine gegensätzliche Haltung.‘

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