28. Oktober 1999 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Bernhard Wicki

Das Gewicht der Welt

Der Regisseur und Schauspieler Bernhard Wicki wird 80

Er war immer schon ein Bär, und als er noch nicht aussah wie einer, steckte der Bär schon in ihm drin. So oder so war es stets schwierig zu erkennen, wie viel Gutmütigkeit sich hinter der Fassade verbarg und wie viel Hinterlist. Auf die Ruhe konnte man sich bei Wicki nicht unbedingt verlassen, aber das Poltern kam auch nicht zwangsläufig. Eben ein Bär – immer herrlich anzusehen, aber stets mit Vorsicht zu genießen.

Als Schauspieler war er ein starker Mann und für keine Heldenrolle zu klein: DIE LETZTE BRÜCKE, ES GESCHAH AM 20. JULI, TIERARZT DR. VLIMMEN, KÖNIGIN LOUISE, DIE ZÜRCHER VERLOBUNG, FRAU IM BESTEN MANNESALTER – das volle Programm. Im deutschen Kino der fünfziger Jahre spielte Wicki, was es gab. Das war nicht immer gut, aber er war an diesen Filmen oft das Beste. Mit seiner angenehm eigentümlichen, halb schleppenden, halb näselnden, irgendwie gutturalen Stimme. Er war die Sorte Mann, der an der Seite von Ruth Leuwerik, Lieselotte Pulver oder Marianne Koch eine gute Figur machte. Weil er eine Präsenz und Kraft ausstrahlte, die erotische Verhältnisse wenigstens vorstellbar machten. Bei den vielen anderen ältlichen oder blässlichen Figuren in Opas Kino war Sex jedenfalls keine Option.

1960 spielte er dann an der Seite von Jeanne Moreau und Marcello Mastroianni in Antonionis LA NOTTE den todkranken Freund Tomasso, den sie auf dem Sterbebett besuchen. Seltsames Bild, wie dieser Baum von einem Mann da liegt, verschwitzt und etwas weinerlich. Als sei da etwas sichtbar gemacht worden, was unter all den anderen Bildern vom starken Mann liegt. Aber man kann an diesem internationalen Auftritt ermessen, wie berühmt er durch seine erste Regiearbeit DIE BRÜCKE geworden war: Golden Globe, Oscar-Nominierung, Filmbänder in Gold, Preis der deutschen Filmkritik, Bambi. Acht Kinder verteidigen eine Brücke, blindlings, sinnlos, vergeblich. Der Krieg in seiner grausamsten, die Verblendung in ihrer reinsten Form. Diese Klage wurde auch weltweit gehört. Und Bernhard Wicki wurde einer der Regisseure des Großprojektes DER LÄNGSTE TAG.

Das blieb Wickis Thema als Regisseur: Wie der Mensch mit seinen angelernten Denk- und Verhaltensmustern in eine Situation gerät, wo sich genau diese Muster als völlig ungeeignet erweisen und ins Verderben führen: DAS WUNDER DES MALACHIAS, DER BESUCH, DIE EROBERUNG DER ZITADELLE, DAS FALSCHE GEWICHT, SANSIBAR ODER DER LETZTE GRUND, DAS SPINNENNETZ. Man sieht an dieser Reihe schon, dass er literarische Stoffe bevorzugte: Joseph Roth, Dürrenmatt, Andersch, Herburger. Es wirkt fast so, als habe er das gebraucht, das Kräftemessen, das Ringen mit der großen Vorlage, als fände sich nur dort der Stoff, aus dem die großen Filme sind. In gewisser Weise hat Wicki auch recht: Langweilige, unentschiedene Literaturverfilmung gibt es von ihm nicht. Die Auseinandersetzung, die Reibung mit dem Material hat er immer spürbar gemacht.

Und der Schauspieler hat als Regisseur gewusst, wo sein größtes Kapital liegt: Marlon Brando, Ingrid Bergman, Helmut Qualtinger, Anthony Quinn, Agnes Fink, Klaus Schwarzkopf – lauter Charakterköpfe, die sich hineingeschraubt haben in diese gefangenen Seelen. Das stärkste Gesicht hat natürlich er selbst, oft zu sehen in vielen kleinen und leider zu wenig großen Rollen. Aber zum Geburtstag erinnern wir uns an die, die er gespielt, und an die Filme, die er gemacht hat. Das sind schon eine Menge Erinnerungen.

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