27. Oktober 1999 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Dean Martin

Dinosaurier unter sich

Dean Martin ist plötzlich wieder in allen Hitlisten – und auch das Rat Pack ist groß in Mode

Wahrscheinlich muss man dabei gewesen sein, um es glauben zu können. Muss gesehen haben, wie ein paar Jungs in Anzügen auf die Bühne gingen und der Welt weiß machten, wo sie sind, sei oben. Sie sangen ein paar Songs, tranken ein paar Drinks und rissen ein paar Witze. Alles strahlte in ihrem Glanz, und jeder, der dabei war, hoffte, etwas davon werde auf ihn abfärben. Das war im Sands in Las Vegas, in der Villa Venice in Chicago oder im Fontainebleau in Miami – so um 1960 herum.

Wenn man die Augen schließt und die Aufnahmen hört, kann man es sich vorstellen: „Direkt von der Bar…” hieß es stets in der Begrüßung, dann kam Dean Martin auf die Bühne, Zigarette im Mund, Drink in der Hand, und wenn der Applaus verebbt war, drehte er sich zum Orchester um und fragte: „Wie lange bin ich schon dran?”. Dann kam ein Song oder zwei, manchmal auch nur ein halber und die Bemerkung: „Wenn Sie den Song hören wollen, kaufen Sie sich die Platte. ”

Dann holte Dean die anderen Jungs auf die Bühne, Sinatra oder Sammy Davis jr., die in der Regel auch zu Ende sangen, was sie begonnen hatten, weil sie die Sache generell ernster nahmen als ihr Kumpel und weil ihnen das Improvisieren nicht so leicht fiel. Wenn Dean seine Songs abbrach, lachten die Leute – wenn die anderen das versuchten, gab es nur eine Pause.

Schließlich baten sie noch Joey Bishop hinzu, einen Komiker, von dem keiner mehr genau wusste, warum er überhaupt dabei war, und Peter Lawford, der nicht besonders singen konnte, aber gut aussah und mit Kennedys Schwester Pat verheiratet war. Die beiden brachten einen Bar-Wagen mit auf die Bühne, und von da an spielten sie nur noch für sich selbst, und das Publikum durfte zusehen, wie sie Spaß hatten. Es war, als wäre man auf einer Party eingeladen, bei der man nur zusehen darf, aber schon glücklich ist, überhaupt eingeladen zu sein.

Ihre Show war die reinste Dekonstruktion. Sie standen im Licht, stimmten gelegentlich einen Song an, der von den anderen dann genüsslich zerpflückt wurde. Die meisten Witze bauten darauf auf, dass sie die Texte beim Wort nahmen. Einer machte eine Bemerkung, die anderen fielen ein, bis das Orchester schließlich aufgab. Das bevorzugte Opfer der Scherze war Sammy, der als Schwarzer, Jude und Einäugiger eine Menge einstecken musste. Frank und Dean machten ihn gerne nach, zogen ihn auf – und Sammy lachte am lautesten darüber. Ein Spiel, nur ein Spiel, klar. Das war der Preis, den Sammy dafür zahlen musste, dass er dabei sein durfte. Anfangs konnte er noch froh sein, wenn er abseits der Bühne überhaupt einen Drink bekam. Aber das ist eine andere Geschichte.

Rat Pack nannten sie sich, das hatten sie von Bogart, und als der 1957 starb, übernahm Sinatra nicht nur die Witwe, sondern auch den Titel. Suchte sich seine eigenen Jungs und zog, was als Kneipenscherz begonnen hatte, zum Markenzeichen auf. Rat Pack, das war natürlich ein Männer-Ding, und die Tatsache, dass Shirley MacLaine in der Runde geduldet wurde, unterstrich das lediglich. Rat Pack, das hieß Rauchen, Trinken, Frauen vernaschen, Geld ausgeben. Las Vegas, Miami, Palm Springs. Bars, Casinos, Hotels. Rat Pack, das hieß: leben, wovon alle anderen nur träumen, und glauben, dass das für ein ganzes Leben reicht. Kein Wunder, dass so etwas heutzutage, wo Fun nur noch in einem Atemzug mit Fitness genannt werden kann und der Rest von der political correctness geregelt wird, seine eigene Faszination ausstrahlt. Es gibt in Amerika zwei neue Bücher übers Rat Pack, den Mitschnitt aus der Villa Venice auf CD, und „The Very Best of Dean Martin” ist plötzlich in Australien, Schweden, England, Frankreich und Deutschland unter den Top 20 – neben Lou Bega und Britney Spears.

Sie waren also nicht nur Könige für eine Nacht, sondern herrschten über eine ganze Ära, die späten fünfziger und frühen sechziger Jahre. Sie hatten den Midas-Touch: Was sie anfassten, wurde zu Gold. Sie besaßen Anteile an den Casinos, in denen sie auftraten, machten erfolgreiche Platten, verdienten beim Fernsehen ein Heidengeld und drehten Filme, die Kasse machten, obwohl keiner der Beteiligten bereit war, vor fünf Uhr nachmittags vor die Kamera zu treten. Einer der Filme hieß „Ocean’s Eleven”, zu deutsch „Frankie und seine Spießgesellen”. Der Film spielte praktischerweise in Las Vegas und handelte von einem Raubüberfall auf die dortigen Casinos. Man drehte im Sands, ging dann auf die Bühne und verbrachte den Rest der Nacht an den Spieltischen – alles unter einem Dach. Man hatte Spaß und bekam auch noch Geld dafür, viel Geld.

Natürlich waren sie schon damals Dinosaurier, die Letzten ihrer Art, und was sie da veranstalteten, war ein Tanz auf dem Vulkan. Aber 1960 sah es so aus, als gehörte ihnen die Welt, und als werde sie sich auf ewig mit 33 1/3 Umdrehungen in der Minute um sie drehen. So konnten sie – das heißt vor allem Sinatra – es riskieren, nach noch Höherem zu streben, nach ganz oben, dorthin, wo die wirkliche Macht sitzt, ins Weiße Haus. Und tatsächlich hatten sie erstmal leichtes Spiel.

Von Anfang an setzte das Rat Pack auf Kennedy, der sich gerne im Glanz der Stars sonnte und empfänglich war für ihre Verlockungen. Vor allem für die Frauen, die das Rat Pack umschwirrten wie Motten das Licht. Der Schlüssel zum Kennedy-Clan war natürlich Schwager Lawford, aber bald übernahm Sinatra die Regie. Alles lief wie geölt – doch dann wurde Frankie Boy zum Verhängnis, dass er überall mitmischen wollte, nicht nur ganz oben, sondern auch ganz unten, in der Unterwelt. Er konnte es einfach nicht lassen, musste sich immer wieder an der Seite der Mafia-Größen zeigen, die ihn gerne gewähren ließen. Aber je weiter Kennedy nach oben stieg, desto weniger waren Sinatras dubiose Verbindungen tragbar. Besonders Bobby Kennedy warnte Bruder John vor dem zwielichtigen Sänger.

Es kam, wie es kommen musste. Kennedy hatte seinen Besuch bei Sinatra in Palm Springs angekündigt und Frank dafür sein Haus renoviert. Es gab einen eigenen Kennedy-Raum mit Briefen des Präsidenten an den Wänden; zwei Bungalows für die Secret-Service-Leute; einen Hubschrauber-Landeplatz; fünf Telefonleitungen; einen Fahnenmast; und eine Bronzeplakette, auf der stand: „John F. Kennedy schlief hier am 6. und 7. November 1960”. Damals war er noch nicht Präsident gewesen, jetzt schon, und alles war etwas heikler geworden.

Für den 24. März 1962 war der Besuch angekündigt, am 22. riefen Jack und Bobby Lawford zu sich und beauftragten ihn damit, Frank mitzuteilen, der Präsident sei verhindert. Er solle sich was einfallen lassen. Das tat er auch, aber es half nichts. Frank war am Boden zerstört, und weil kein anderer da war, an dem er sich abreagieren konnte, wurde Lawford der Buhmann. Frank sprach kein Wort mehr mit ihm – und brach Lawford damit das Herz.

Die Nacht von Palm Springs ist nur eine Episode, aber sie ist für Sinatra bezeichnend. Er hatte alles, die Stimme des Jahrhunderts, den größten Erfolg, die schönsten Frauen – aber es war nie genug. Er ging stets als letzter im Morgengrauen ins Bett – nur noch Sammy in hündischer Treue an seiner Seite, musste dauernd beweisen, dass er der Chef ist, obwohl es keiner bezweifelte. Die Jungs waren cool – er wollte noch cooler sein.

Dean Martin hingegen war wirklich cool. Die Mafia und das Weiße Haus waren ihm egal, scheißegal. Er war dabei, spielte mit, aber machte sich nicht zum Affen für sie. Und wenn man genau hinhört, kann man das in seinen Songs hören.