10. Juni 1998 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Alan Smithee

Nobody ist nicht perfekt

Das Phantom von Hollywood: Wer ist Alan Smithee? Und warum dreht er nichts als schlechte Filme?

Der Mann ist ein Nobody – und das kann man ruhig wörtlich nehmen. Alan Smithee hat wohl einen Namen, aber keinen Körper. Er existiert nur auf dem Papier oder, wenn man so will, nur in den Vorspännen der Filme, für die er seinen nicht vorhandenen Kopf hinhalten muß. Denn Alan Smithee hat zwar eine Filmographie, aber keine Biographie. Alan Smithee ist ein Pseudonym, das die amerikanische Regiegilde Filmen zuschreibt, deren wirkliche Regisseure ihren Namen zurückgezogen haben.

Gut zwei Dutzend Filme sind auf diese Weise dem Phantom von Hollywood zugeschrieben worden – daß sich darunter keine Meisterwerke befinden, ist kein Wunder. Was jedoch nicht heißt, daß die Filme notwendigerweise sehr viel schlechter sind als manche andere, für die echte Regisseure mit ihrem Namen haften. In der Regel handelt es sich um Werke, mit denen die Regisseure nach massiven Eingriffen der Produzenten nicht mehr in Verbindung gebracht werden wollen. Die Sache mit den Eingriffen hat zwar in dieser Branche Tradition, aber erst seit 1968 einen Namen.

Als sich Richard Widmark nach 25 Drehtagen von DEATH OF A GUNFIGHTER mit dem Regisseur Robert Totten überwarf, übernahm Don Siegel für die letzte Woche die Regie. Hinterher ließen die beiden in den Vorspann schreiben, Allen Smithee habe den Film inszeniert. Seither muß Smithee, mit leicht verändertem Vornamen, immer dann als Sündenbock herhalten, wenn etwas schiefgeht. Prominentere Beispiele der letzten Zeit waren die Filme CATCHFIRE mit Jodie Foster, aus dem sich Dennis Hopper zurückzog, HOLT HARRY RAUS!, mit dem Stuart Rosenberg nichts mehr zu tun haben wollte, oder CENTRAL COMMITTEE, von dem sich George Oestel distanzierte. Weniger Aufmerksamkeit gab es bei HELLRAISER IV, DIE VÖGEL II DIE O.J. SIMPSON STORY, KÄNGURUH CARLOS oder DAS GOLDENE VLIES. Andererseits war sogar David Lynchs WÜSTENPLANET in der Fernsehfassung, unter Protest des Regisseurs mit Erzählerstimme und neuen Szenen auf 180 Minuten aufgeblasen, plötzlich ein ”Alan Smithee Film”. Mit Autorentheorie hat das nichts zu tun, nur mit der Praxis amerikanischer Produzenten.

Was aber hat es zu bedeuten, wenn ein Film wie FAHR ZUR HÖLLE, HOLLYWOOD, der ursprünglich AN ALAN SMTHEE FILM heißen sollte, plötzlich unter der Regie von Alan Smithee ins Kino kommt? Was auf den ersten Blick wie ein Publicity-Gag wirkt, hat offenbar doch einen wahren – oder zumindest gut erfundenen – Hintergrund. Joe Eszterhas, berühmt-berüchtigt-bestbezahlter Drehbuchautor von BASIC INSTINCT, hat nach den zwei Flops (SHOWGIRLS und JADE) beschlossen, seine 23 Jahre in Hollywood zu einer Satire verarbeiten. Alles, was er über die Jahre erlebt oder gehört hat, sollte darin verwurstet werden. Als das Drehbuch fertig war, empfahl ihm sein Agent, das Buch in die Schublade zu legen und zu vergessen; es werde ihm nur schaden. Aber Eszterhas wäre nicht Eszterhas, wenn er sich davon abschrecken ließe. Er schickte es Bruce Willis und Schwarzenegger – keine Antwort. Er schickte es Stallone – und der schrieb: ”Wenn ich mich nach all den guten Sachen, die mir widerfahren sind, nicht über mich selbst lustig machen kann, wer dann?” Außerdem steigen Whoopi Goldberg, Jackie Chan, Eric Idle und Ryan O’Neal ein, und Arthur Hiller, Regisseur von LOVE STORY und Präsident der Academy, will die Sache inszenieren.

Auf den fertigen Film reagiert das Testpublikum wenig begeistert. Die Parodie auf einen Dokomentarfilm ist zu lang und zu geschwätzig. Eszterhas schneidet 22 Minuten raus – das Studio ist davon sehr angetan, Arthur Hiller weniger. Der Regisseur schickt seinem Autor in aller Freundschaft ein Fax, er ziehe seinen Namen zurück. Der ALAN SMTHEE FILM ist jetzt ein Film von Alan Smithee – und alle halten das für einen Gag.

Eszterhas opferte seine Viertel Million Honorar, um den Film weiterzuschneiden, Musik zu besorgen und Titel herzustellen. Als er vor dem Abspann einen besonderen Dank an Arthur Hiller einfügen will, schreitet die Regiegilde ein: dies sei ein Alan-Smithee-Film, also keine Danksagungen an den Regisseur.
Und im Grunde war das richtig so: Ehre, wem Ehre gebührt. Bei Alan Smithee hat sich schließlich auch noch nie jemand bedankt.

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