10. Februar 1992 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Heroen im Zeitalter des Niedergangs

Fünf Filme von Raoul Walsh mit Errol Flynn

Die Iren, schrieb Raoul Walsh in seinen Erinnerungen, seien ein wilder Haufen: ‚Nomaden, die auf dem Gesicht der Erde herumziehen. Man findet sie überall auf der Welt – den Dichter, den Kämpfer, den Trinker. Ich glaube, ich bediente mich aller drei.‘ Poesie und Action und Wahn, das ist das Kino des Raoul Walsh, dessen Vater Ire war. Draufgänger und Dickschädel sind seine Helden, Prahler oder Schweiger, in jedem Fall Männer, die dem Tod ins Auge blicken.

Dazu paßt eine Anekdote, die nicht nur Walsh, sondern auch Flynn in seiner Biographie schildert – was vielleicht nicht ihre Glaubwürdigkeit erhöht, aber vielleicht ihre Aussagekraft. Nach dem Tode von John Barrymore hatte man sich ganz im Sinne des Toten in der Bar ‚The Clock and Bull‘ versammelt, wo sich Walsh ungewöhnlich früh verabschiedete. Er fuhr zum Leichenschauhaus, wo er sich vom Bestattungsunternehmer Barrymores Leichnam auslieh. Er fuhr zu Flynns Haus und setzte den Toten aufs Sofa. Dabei half ihm der russische Butler, der Barrymore lediglich für noch betrunkener als üblich hielt. Als Flynn nach Hause kam, taf ihn beinahe der Schlag. Walsh sagte daraufhin dem Butler, man sollte Barrymore wohl besser zu einem Arzt bringen und fuhr die Leiche wieder zurück.

Tod, wo ist dein Stachel: Ein übler Streich, ein practical joke, der einhergeht mit Walshs Manie, am Galgen Gehenkte wie Wegweiser an den Eingang seiner Geschichten zu stellen. Dem Tod in die Augen schauen, das heißt, den Tod in sich selbst erkennen und seinen Schrecken bannen. Andererseits zeugt die Anekdote von einem Sinn fürs Theatralische, der nicht einmal vor dem Tod halt macht. Das sollte man im Kopf behalten, nicht nur bei Cagneys bombastischem Abgang in WHITE HEAT, sondern vor allem auch in den sieben Filmen mit Errol Flynn, die Walsh zwischen 1941 und 1948 für Warner Brothers gedreht hat: THEY DIED WITH THEIR BOOTS ON, DESPERATE JOURNEY, GENTLEMAN JIM, NORTHERN PURSUIT, UNCERTAIN GLORY, OBJECTIVE BURMA!, SILVER RIVER. In ihnen ist der Held zumeist sehr auf seine Wirkung bedacht und legt Wert auf die große Geste. Man könnte fast sagen, sie haben alle einen Hang zur Profilneurose.

Wenn General Custer am Anfang von THEY DIED WITH THEIR BOOTS ON in West Point ankommt, trägt er eine Phantasieuniform, mit der er selbst in einer Operette auffallen würde. Und Gentleman Jim ist ohnehin von einer Geckenhaftigkeit, die mühelos jede Etikette sprengt. Er ist so versessen darauf, eine gute Figur abzugeben, daß er in Uncertain Glory den Tod vor dem Erschießungskommando dem auf der Guillotine rein aus Gründen des Stils vorzieht.

Wie sehr das Heldentum bei Walsh auch eine Pose ist, wird besonders durch Errol Flynn deutlich, dessen weiche Züge so gar nicht ins rauhe Klima passen wollen. Und als nach Custers ersten Erfolgen die Zeitungen ihn zur Unterstreichung seiner Verwegenheit mit Bart zeigen, da entspricht er diesem Image, indem er sich tatsächlich einen Bart stehen läßt. Flynn ist hier kein natural wie bei Curtiz, sondern als Draufgänger sehr auf seinen Ruf bedacht.
Auch von Raoul Walsh weiß man, daß er stets großen Wert auf seine Erscheinung legte. Der Sohn eine wohlhabenden Textilfabrikanten trug bevorzugt Anzüge aus Tweed und Gamaschen, und seine Augenklappe betonte den Dandy mindestens so sehr wie den Abenteurer. Das Dandytum, schrieb Baudelaire, sei der letzte Ausbruch von Heroismus in den Epochen des Niedergangs. Ein Satz, den jeder Auftritt von Errol Flynn in diesen Filmen zu illustrieren scheint.
Es herrscht Krieg, die Filme sind Schlachtfelder. Aber dabei geht es weniger um die Schlachten als um die Felder, mehr um den Raum als um den Kampf, der dort stattfindet. Nicht vom Handeln geht der Schrecken aus, sondern vom Stillstand, von der Leere der Orte, vom Schweigen des Todes. Die Tempelstadt im Dschungel von Burma ist ein typischer Schauplatz für einen Walsh-Film. Nur noch die Toten sind hier zu Hause.

Ob sich ein alliierter Stoßtrupp in Desperate Journey durch Deutschland oder ein französischer Taugenichts in UNCERTAIN GLORY durchs besetzte Vaterland schlägt, immer regiert jene Atmosphäre der Unsicherheit und Bedrohung. Jeder Schlupfwinkel kann eine Falle sein, und jede Lichtung ein Hinterhalt. Gerade wenn die Soldaten in Objektive Burma! durch einen Flußlauf waten, um keine Spuren zu hinterlassen, verraten sie sich. Wie beiläufig folgt die Kamera einem abgerissenen Zweiglein, um dann zu zeigen, wie es den Verfolgern in die Hände treibt. Von Geradlinigkeit kann bei Walsh im Grunde keine Rede sein. Die Welt präsentiert sich bei ihm als undurchdringliches Labyrinth, das niemandem eine Heimat ist. Als litten sie unter Platzangst, entfliehen die Helden der Leere ihrer Seele. Das Abenteuer ist ihre Therapie.

Zu sich selbst finden, heißt für Flynn bei Walsh, einem Ruf gerecht werden. Er hat sein Ziel erst erreicht, wenn das Leben erzählbar geworden ist. Wenn Custer am Little Big Horn zu seiner Pose vom last stand findet, dann ist er endlich mit der Realität versöhnt. Vor dem Abenteuer steht bei Walsh immer der Mythos vom Abenteuer. Das ist ein ziemlich moderner Ansatz für jemanden, der demnächst hundert Jahre alt werden würde. (Mit Ausnahme von NORTHERN PURSUIT und SILVER RIVER gibt es die Filme für jeweils 49,90 Mark in der Originalfassung bei der Schauinsland Medien GmbH in Herne, wo man telephonisch unter 02325/3951 oder 3952 bestellen kann.)

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