22. Februar 1994 | Süddeutsche Zeitung | Nachruf | Derek Jarman

Funken im Stroh

Zum Tode des englischen Malers, Dichters und Filmemachers Derek Jarman

Blau. Nichts als Blau. So ist Derek Jarmans letzter Film, vor dessen Radikalität all seine anderen Arbeiten geradezu verblassen. Vierstimmig berichtet BLUE von der langsamen Erblindung des Filmemachers als Folge seiner Infektion mit dem HIV-Virus. Man hört seinen Abgesang auf die Welt der Formen und sieht seine Beschwörung der einen Farbe, die „die Finsternis sichtbar“ macht. Blau wie die Augen eines Jünglings, der im Park wartet. Blau wie der Himmel über Nizza, den Yves Klein malte. Blau wie der Rittersporn, den sie auf die Gräber legen. Blau wie das Glück, das keine Grenzen kennt.

Die Farben waren Jarmans Welt. In ihnen hat er das südliche Licht eingefangen, das durch seine frühen Arbeiten fällt. In ihnen hat er gebadet, wenn ihn die Finsternis in Thatchers England zu verschlucken drohte. In ihnen hat er jene Offenheit gefunden, die sich jeder Definition entzieht. Direkt vor BLUE hat Jarman WITTGENSTEIN gedreht, einen Film über jenen Philosophen, der über die Farben gehörig ins Grübeln gekommen ist: Weil man nie wissen kann, ob zwei, die „rot“ sagen, auch dasselbe meinen. So hat Jarman sich in dem Denker gespiegelt, der wie er selbst das Kino und die Männer liebte, hat ihn mit bunten Paradiesvögeln umgeben und ihn, vor schwarzen Hintergrund, in einen Kosmos aus Farbe getaucht.

Mit fünf Jahren hat Derek zum ersten Mal den WIZARD OF OZ gesehen, seinen Lieblingsfilm, dessen rote Schuhe ihn durch eine Kindheit trugen, die er zum großen Teil in den Garnisonen verbrachte, wo sein Vater stationiert war. In den sechziger Jahren studierte er dann Malerei, und manche Kunstkritiker sahen in ihm zeitlebens einen Maler, der hin und wieder zur Kamera greift.

In der Tat waren seine Talente vielfältig genug, um ihn als Wanderer zwischen den Künsten überall eine Bleibe finden zu lassen. Seine Filme waren deshalb stets auch Reflexionen über das Verhältnis zwischen dem Kino und den anderen Künsten: der Malerei in CARAVAGGIO, der Oper in WAR REQUIEM, der Philosophie in WITTGENSTEIN oder der Literatur in EDWARD II. Am liebsten setzte er jedoch zugleich alles zueinander in Beziehung, in einem ständigen Wechsel zwischen Stilisierung und Zärtlichkeit.

Sechs Jahre lang wußte Derek Jarman, daß er Aids hat; sechs Jahre lang führte er seinen Kampf gegen die Krankheit an zwei Fronten: nach innen gegen den eigenen Verfall, nach außen gegen die öffentliche Moral, die mit der Seuche vor allem antischwule Propaganda betreibt. Den bewegendsten Ausdruck fand diese Auseinandersetzung mit der Homophobie in seinem Bilderzyklus „Queer“, in dem er schwulenfeindliche Schlagzeilen der britischen Presse mit kräftigen Farben übermalte. Je nach Perspektive schimmert der Haß durch oder siegt die Farbe: „Ich habe diese Bilder ohne Hoffnung und mit einem wilden Lachen über euch gemalt“, schrieb er dazu. Und weiter: „Ihr seid die Narren!“

Indem er sein Sterben zum Kunstwerk gemacht hat, hat er dem Leben ein Denkmal gesetzt. Den Märtyrer hat er dabei für niemanden gespielt. Aber für einen Heiligen hätte es schon gereicht. Wie bei PASOLINI oder HARVEY MILK oder CARAVAGGIO . Der letzte Satz seines autobiographischen Buches „Auf eigene Gefahr“ lautet: „I am in Love.“ Woran man vor allem sieht, daß er sich in seinem Zorn über die Selbstgerechtigkeit der britischen Öffentlichkeit nie vom rechten Weg hat abbringen lassen. Sein Werk erzählte immer wieder von der Liebe. Das war am Anfang so, und das blieb bis zum Ende so.

Die letzten Zeilen von BLUE sind ein Gedicht: „Unser Leben wird wie Wolkenfetzen vorüberziehen: Und wie zarte Nebelschwaden von Sonnenstrahlen vertrieben werden, denn unsere Zeit ist flüchtig wie ein Schatten und unser Leben schießt wie Funken durch das Stroh.“ In der Nacht zum Sonntag ist Derek Jarman mit 52 Jahren seiner Krankheit erlegen.

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