19. September 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Nachruf | Samuel Z. Arkoff

Billiger Jakob

Kino in Zyklen: Zum Tod des Produzenten Samuel Z. Arkoff

Der Mann hatte ein Rezept, und wie alle erfolgreichen Rezepte bestach es durch Einfachheit. Erstens: Kleinere Kinder wollen alles sehen, was ältere Kinder sehen. Zweitens: Ältere Kinder wollen niemals sehen, was die Jüngeren ansehen. Drittens: Mädchen werden alles ansehen, was Jungen sehen wollen. Viertens: Jungen wollen nichts sehen, was Mädchen ansehen. Daraus folgt fünftens: Um das größtmögliche Publikum anzusprechen, müssen Filme auf neunzehnjährige Jungen abzielen.

Es braucht keinen Einstein, um auf so eine Formel zu kommen, aber was der Produzent Samuel Z. Arkoff da in den fünfziger Jahren zum Firmenmotto seiner American International Pictures gemacht hatte, hat im Grunde auch heute noch Gültigkeit. Man kann sogar sagen, daß diese Einsichten das Kino zu dem gemacht haben, was es heute ist. Seit Arkoffs profitables Nischenkonzept Mitte der Siebziger auf den Mainstream angewandt wurde, sind Kinos zu Orten geworden, wo sich vor allem neunzehnjährige Jungen wohl fühlen sollen. Und wenn Hollywood nicht gleichzeitig so sehr auf Respektabilität Wert legen würde, dann hätte es dem Mann noch zu Lebzeiten ein Denkmal errichten müssen. So aber ist Samuel Z. Arkoff am Montag im Alter von 83 Jahren in Burbank als billiger Jakob der Filmbranche gestorben.

Als in den Fünfzigern nach dem Zerschlagen des Studiomonopols, das den Absatz der Produkte in den Kinos garantierte, die Kinozahl um ein Viertel und die Filmproduktion auf die Hälfte geschrumpft waren, erkannten Arkoff und sein Partner Jim Nicholson, daß ein neuer Absatzmarkt herangewachsen war, dessen Potential sich leicht ausbeuten ließ: die Teenager. Ihre Ansprüche waren nicht so hoch, ihre Bedürfnisse leichter zu befriedigen, und die Filme trugen dem in jeder Hinsicht Rechnung. Die erste Produktion hieß THE FAST AND THE FURIOUS, und es ist vielleicht kein Zufall, daß dieser Tage ein Film gleichen Titels aus Hollywood in unsere Kinos kommt – Arkoffs Lektionen werden eben immer noch beherzigt. Die Filme griffen auf, was in der Luft lag: vor allem jede Form von Jugendkriminalität, welche damals kaum weniger schreckte als der Kommunismus. So entstanden Hunderte von Filmen, die sich an den Abgründen pubertärer Verworfenheit delektierten, obwohl sie stets eine moralische Lektion vorgaukelten.

Ebenfalls vor seiner Zeit hatte Arkoff begriffen, daß Werbung mindestens die halbe Miete war. Die reißerischen Titel und sensationslüsternen Plakate waren meistens besser als die Filme selbst: HOT ROD GIRL, RUNAWAY DAUGHTERS, HIGH SCHOOL HELLCATS, I WAS A TENNAGE WEREWOLF, EARTH VS. THE SPIDER oder THE BRAIN EATERS versprachen alles – und hielten wenigstens manches. Weil man billig produzierte, konnte man auf die damals noch nicht so schnell wechselnden Moden und Stile der Teenager rechtzeitig reagieren. Arkoff glaubte an eine auch heute noch plausible Theorie von Zyklen, denen das Filmgeschäft unterworfen sei, graste ein Genre nach dem anderen ab, eigene Subgenres eingeschlossen.

Und weil sich inmitten des Schrotts mitunter auch manches Juwel fand, wurde seine Firma rückwirkend zu einer Art Talentschuppen des New Hollywood. Coppola, Bogdanovich und De Palma haben dort ihr Handwerk gelernt, Jack Nicholson, Dennis Hopper, Bruce Dern und Peter Fonda ihre ersten Auftritte gehabt – und vor allem natürlich Roger Corman hat dort seine ersten Meisterwerke inszeniert, als er dreizehn Geschichten von Edgar Allan Poe verfilmte.

Samuel Z. Arkoff hat sich nichts vorgemacht. Seine Filme, so sagte er, seien Verbrauchsgüter und würden sich in nichts von den Waren unterscheiden, die man bei Woolworth’s kaufen könne. Die Tatsache, daß die meisten seiner Bekannten dort nie einkaufen würden, ändere nichts daran, daß es sich dabei um gute Produkte handle. Kann schon sein, daß seine Filme billige Vergnügungen waren, aber wenn man so will, handelt es sich bei den American International Pictures um eine Art Geschichtsschreibung von unten. Was das Land bewegte, zeichnete sich in ihnen viel unmittelbarer ab als in den prestigeträchtigeren Produktionen. Das mag man in der Traumfabrik vielleicht geringschätzen, aber darin besteht nun einmal Samuel Z. Arkoffs Vermächtnis – und sein Verdienst.

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mailadresse wird nicht öffentlich angezeigt. Pflichtfelder sind mit * markiert. Mit Absenden Ihres Kommentars werden Ihre Einträge in unserer Datenbank gespeichert. Weitere Informationen finden Sie in unserer » Datenschutzerklärung


zwanzig − vier =