02. Oktober 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Kommentar | Wo laufen sie denn?

Wo laufen sie denn?

Die Strategie der Spinner

Nehmen wir mal fünf Filme aus dem vergangenen Jahr, fünf Filme, die von jedem Kinofreund mit Spannung erwartet werden, weil ihre Regisseure in jedem Fall für das stehen, was immer seltener wird: Eigenwilligkeit und Ausdruckswille, kurz Stil. Die fünf Filme sind: SPIDER von David Cronenberg, DEMONLOVER von Olivier Assayas, VENDREDI SOIR von Claire Denis, KEN PARK von Larry Clark und HOTTE IM PARADIES von Dominik Graf. Was haben diese fünf Filme jenseits des Umstandes, daß sie hierzulande noch nicht zu sehen waren, gemeinsam? Richtig, sie werden hier auch in Zukunft nicht zu sehen sein. Weil sich kein Verleih findet, der das Risiko auf sich nehmen möchte, sie ins Kino zu bringen. Für solche Filme, so nimmt man an, gibt es kein Publikum mehr, zumindest keines, das groß genug wäre, um die Kosten zu decken. Nimmt man an. Weil es auf den Festivals in Cannes, Venedig und Hof, wo diese Filme liefen, zwiespältige Reaktionen gab. Weil das keine Regisseure sind, in deren Filmen es darum geht, sich möglichst wohl zu fühlen. Eher um Verunsicherung, Verwirrung, Verstörung, das will man keinem mehr zumuten. Dabei gehören die fünf Filme zum Spannendsten, was es im vergangenen Jahr zu sehen gab. Um so schöner, daß diese fünf Filme nun auf dem kleinen Berliner „b.film festival“ zu sehen sind, das von 2. bis 8. Oktober in den Kinos Babylon, Blow Up, Central, Eiszeit und Hackesche Höfe veranstaltet wird. Man macht sich gerne darüber lustig, daß mittlerweile jedes Kaff sein eigenes Festival veranstaltet – dabei ist das oft die einzige Möglichkeit, Filme zu Gesicht zu bekommen, die sonst nicht mehr den Weg auf die Leinwand finden. Und dann wundern sich wieder alle sehr, warum die Zuschauerzahlen rückläufig sind. Womöglich liegt es daran, daß solche Filme im Kino nicht mehr zu sehen sind.

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