Blut und Sex wie Blitz und Donner. Die Kritik sieht rot – und deshalb schwarz. Wenn es nach den Hochtönern der deutschen Filmbetrachtung geht, dann hat der Zeitgeist das Autorenkino auf dem Gewissen. Oder das, was dafür gehalten wird: den niveauvollen, den besonders wertvollen Film. Das Schlachten und Vögeln hat die Sitten verdorben, die Form den Inhalt, das Fühlen das Denken, der Geschmack die Analyse verdrängt. Früher, da sei die Begeisterung für die Nouvelle Vague noch von Herzen gekommen, heute sei das Neue bestenfalls noch en vogue. Früher, da sei man noch einer Meinung gewesen, heute herrsche die Beliebigkeit. Statt Denkanstoß sei das Kino nur noch Nervenkitzel, und die Reizüberflutung habe alle Reizschwellen überschwemmt. Mumpitz! Man muß nur nachlesen, wie damals Ingmar Bergmann oder Richard Lester, Glauber Rocha oder Rene Clement hochgejubelt und manche Werke von Raoul Walsh oder John Ford, Samuel Fuller oder Roger Corman verdammt wurden, und man weiß, daß die Wellen auch damals höher schlugen, als man sich heute erinnern möchte. Das einzige, was sich nicht geändert hat, ist die Zauberformel des Kinos: Allein der Erfolg zählt.
Das Kino erlebt zur Zeit einen ungeahnten Boom, die Zuschauerzahlen steigen stetig, in Amerika wie in Deutschland. Und trotzdem finden immer weniger großartige Filme den Weg in unsere Kinos. Ein Blick auf das Programm des Münchner Filmfests genügt, und es packt einen das kalte Grausen. Die drei besten Filme werden trotz großer Namen bei uns wohl nie im Kino laufen: HALF MOON STREET mit Sigourney Weaver und Michael Caine erscheint auf Video, Norman Mailers Verfilmung TOUGH GUYS DON’T DANCE mit Ryan O’Neal und Isabella Rossellini hat der Verleih abgeschrieben und Jean-Luc Godards KING LEAR werden sowieso keine Chancen eingeräumt – obwohl Molly Ringwald und Peter Sellers, Norman Mailer und Woody Allen mitspielen. Warum also geht es uns so schlecht, wo es doch offenbar allen so gut geht?
Erstens sind die Kapazitäten der Kinos bei uns hoffnungslos ausgelastet. Was nach dem großen Kinosterben übrigblieb, reicht gerade aus, um den jetzigen Ansturm noch zu fassen. Sofern die Kinos nicht ohnehin vertraglich an die Verleiher gebunden sind, haben sie genug damit zu tun, die langen Warteschlangen der zu startenden Filme abzuarbeiten. Deswegen kann und will keiner mehr darauf warten, daß sich die Qualitäten eines Films herumsprechen. Wem nach einer schwachen Startwoche noch eine weitere Chance eingeräumt wird, kann von Glück reden. Gesucht wird der schnelle Erfolg, der sichere Kassenknüller. Am Erfolg wollen alle teilhaben. Geduld kann sich in dieser Branche kaum einer leisten. Es ist die Zeit der großen Zahlen. In Amerika wurden unlängst mit Kopienzahlen über 2000 alle bisherigen Startrekorde gebrochen. Dort, auf dem großen Markt, wird das Geschäft entschieden. Mit aller Gewalt. Und je mehr starke Filme diesen Markt beherrschen, desto weniger Platz bleibt für kleinere, schwierigere, unpopulärere Streifen. Die Zuschauerzahlen steigen, die Umsätze auch, aber das Angebot wird dadurch eher kleiner. Ist also Hollywood an allem schuld?
Nein, denn das war tendenziell schon immer so. Schuld ist die Kritik, die auf den Festivals wie Cannes sich allein auf Wettbewerbsfilme konzentriert, die in der Regel ohnehin schon einen Verleiher gefunden haben. Statt dessen sollten sich die Kritiker etwa auf dem Filmmarkt in Cannes umsehen, wo Filme laufen, die noch einen Verleiher suchen. Das tut aber kaum einer. Statt dessen nörgeln sie über die Unübersichtlichkeit und behaupten, früher sei alles hesser gewesen. Wer ist also schuld an der Misere? Das Publikum. Natürlich.
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