07. September 2000 | Süddeutsche Zeitung | Interview | Tom Tykwer

Tom in Venedig

Trom Tykwer über seinen und andere deutsche Filme auf Festivals

Am Morgen ist Regisseur Tom Tykwer mit dem Hubschrauber aus Montepulciano gekommen, wo er mit Giovanni Ribisi und Cate Blanchett HEAVEN dreht, und trotz seiner Übernächtigung wirkt er erfreut, sich mit DER KRIEGER UND DIE KAISERIN hier auf den Filmfestspielen von Venedig endlich dem Publikum stellen zu können. Mit Tom Tykwer sprach Michael Althen.

SZ: Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihren Wettbewerbs-Auftritt mit LOLA RENNT vor zwei Jahren hier in Venedig denken?
Tykwer: Ich erinnere mich an einen völlig überraschenden, wahnsinnigen Rummel. Das war zum ersten Mal ein massiver Perspektivwechsel, auf einmal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Alle waren wie die Wahnsinnigen hinter Franka (Potente) her, obwohl wir damals ja völlig unbekannt waren. Das war schon faszinierend zu erleben, wie so ein Festivalauftritt seine Eigendynamik entwickelt, obwohl damals ja noch kaum einer den Film gesehen hatte – plötzlich nicht Jäger, sondern Gejagter zu sein, war irre interessant.
SZ: Waren Sie denn vorher schon mal in Venedig?
Tykwer: Nur einmal. Es ist mir also nicht so vertraut wie Cannes. Bei Cannes ist das ja ständig präsent, dass man verrückt sein will, das ist dort wie ein Motto, das sich alle auf die Stirn geschlagen haben; Venedig hingegen strahlt so eine Ruhe und Gelassenheit aus, sodass der Rummel völlig überraschend kam und man gar keine Chance hat, sich zu wehren – eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Begeisterung. Das war ja hier der Startpunkt dafür, dass der Film auch außerhalb von Deutschland etwas bedeuten könnte – das haben wir hier zum ersten Mal kapiert.
SZ: Und wie enttäuscht waren Sie, als „Lola” hier trotzdem keinen Preis gewonnen hat?
Tykwer: Komischerweise gar nicht. Man merkt ja, ob ein Film bei so einem Festival etwas ausgelöst hat – und ob er eine Präsenz entwickelt hat, die darüber hinausgeht, merkt man nicht erst bei den Preisen, die am Ende vergeben werden. Ein Festival definiert sich ja über das Gesamtgefüge und die einzelnen Akzente, die gesetzt werden, und da hatte ich das Gefühl, dass „Lola” so ein Akzent war und in jedem Fall eine Spur hinterlassen hat.
SZ: Waren Sie denn enttäuscht, dass DER KRIEGER UND DIE KAISERIN diesmal nicht im Wettbewerb, sondern in der Reihe „Träume und Visionen” läuft?
Tykwer:Ich persönlich finde das eine tolle Sektion, denn die Reihe hat eben einen hohen Event-Charakter – das sind in gewisser Weise besondere Filme, die hier laufen, Filme außer Konkurrenz. Eine Reihe, die jenseits der Wettbewerbsdaches, wo man den Eindruck hat, da solle immer wieder das Kino neu erfunden werden, etwas publikumsorientierter ist. Obwohl 0.15 Uhr für DER KRIEGER UND DIE KAISERIN schon ein bisschen hart ist. Da hatte ich etwas Sorge, ob die Leute auch so lange bleiben.
SZ: Und was halten Sie davon, dass der Zustand des deutschen Kinos immer wieder daran gemessen wird, wie viele Filme im Wettbewerb laufen?
Tykwer: Ich weiß, dass mein Film intern eine große Präsenz hat; dass die Leute, vielleicht auch wegen „Lola”, unheimlich neugierig darauf sind – und dass es deswegen keine Rolle spielt, ob er im Wettbewerb läuft oder nicht.
SZ: Und von Ihnen mal abgesehen? In Berlin ist Festivalchef de Hadeln darüber gestolpert, dass er DIE UNBERÜHRBARE ignoriert hat; in Cannes gab es auch Geschrei, weil Deutschland wieder mal von Gilles Jacob übergangen wurde…
Tykwer: Es ist halt immer noch Arbeit, deutsche Filme für solche Festivals „in” zu machen: dass das etwas ist, womit man sich schmückt. Noch ist es immer nicht der Fall, dass es eine Zierde ist, einen deutschen Film einzuladen, sondern eher ein Wagnis, mit dem man sich aus dem Fenster hängt. Das ist natürlich echt albern, weil wir im Jahr mindestens eine Hand voll Filme haben, die es verdient und die auch das Format hätten, im Wettbewerb mitzuhalten. Wie zum Beispiel Oskar Roehlers Film (DIE UNBERÜHRBARE): Warum der in Cannes nicht im Wettbewerb lief, ist völlig unnachvollziehbar. Der hätte echte Chancen gehabt, dort auch etwas zu gewinnen. Das wäre ein echtes Zeichen gewesen, aber da gibt es offenbar immer noch eine Hemmschwelle. Obwohl es ein bisschen ungerecht ist herumzumeckern, nachdem er ja eingeladen war, nur halt eben nicht in den Wettbewerb. Da hätten sie in Cannes gar nicht so sehr über ihren Schatten springen müssen, zumal der Film sich ja einer bestimmten Tradition verpflichtet zeigt. Da verstehe ich schon eher, dass sie mit DER KRIEGER UND DIE KAISERIN Schwierigkeiten hatten. Der spricht eine bestimmte Sprache, die von Gilles Jacob zwar wohlwollend, aber doch mit Zögern ernst genommen wird. Ich weiß ja, dass er den Film nicht schlecht fand, aber er wollte ihn halt nur für die Reihe „Un certain regard”.
SZ: Die Regeln, in welchen Reihen bestimmte Filme auf Festivals laufen, sind ja ohnehin undurchsichtig.
Tykwer: Ich glaube, wir sollten uns wirklich nicht verrückt machen, in welchen Sektionen unsere Filme laufen. Wir sollten eher zusehen, dass wir ein paar mehr gute pro Jahr haben. Denn wir können immer noch nicht behaupten, dass wir da mithalten könnten mit vielen anderen Ländern. Die Franzosen haben halt einfach viel mehr gute Filme, dreimal so viel Filme, die wirklich interessant sind, in allen Größenordnungen. Die Potenz, über die Grenze zu gehen, ist dort einfach größer. Da muss man erst mal hinkommen, dann wächst auch das Selbstbewusstsein. Im Augenblick ist es ja so, dass wenn es mal einen gibt, dass der es auch überallhin schaffen muss. Es ist aber manchmal so, dass es die Konstellation einfach nicht hergibt. Das ist dann mitunter auch einfach nur Pech, aber das wiegt bei uns gleich doppelt schwer, weil wir halt nur diesen einen Film haben, an dem sich alle wie an einem Strohhalm festhalten.

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