07. Juli 1993 | Süddeutsche Zeitung | Interview | Philip Gröning

Surfbretter und Plastiksprengstoff

Der Regisseur Philip Gröning über 'Die Terroristen' und die Reaktionen von Kanzler und Kollegen

DIE TERRORISTEN zeigt drei junge Leute, die ein Attentat auf den Kanzler planen und damit scheitern. Bevor der Südwestfunk den Film zeigte, versuchte der Bundeskanzler die Ausstrahlung zu verhindern, indem er sich in einem offenen Brief persönlich tief getroffen zeigte. Auf einmal sah sich Philip Gröning, Regisseur von Filmen wie Sommer und Stachowiak!, selbst als Terrorist verunglimpft. Wie weit der Vorwurf am Film vorbeizielt, kann man jetzt im Maxim und Rio sehen. Mit Gröning sprach Michael Althen.

SZ: Was dachten Sie, als sich der Bundeskanzler persönlich betroffen zeigte?
Gröning: Ich fand das verständlich. Aber es hat sich natürlich herausgestellt, daß er den Film nicht gesehen hat, sondern sich nur die Ausschnitte hat vorführen lassen, die sich aufs Attentat beziehen. Das ist natürlich auch ein masochistisches Vorgehen, weil sich die Betroffenheit durch Ansicht des ganzen Films ganz leicht hätte zerstreuen lassen.
SZ: Aber immerhin ist er ja das Ziel des Anschlags. Ist die Reaktion dann nicht doch begreiflich?
Gröning: Ich kann verstehen, daß Leute, die zwanzig Jahre damit leben, daß sie jedesmal, wenn sie vor die Tür gehen, schauen müssen, ob jemand dasteht, der sie abschießen will, daß die so etwas ganz anders wahrnehmen. Natürlich fällt für Hannelore Kohl die ganze komplexe Struktur weg, und es bleibt nur noch das Vordergründige übrig, daß da einer zeigt, wie man sie mit einem Sprengstoffauto in die Luft jagen will. Da verstehe ich, daß sie das persönlich betrifft. Und das tut mir auch leid.
SZ: Und wie fühlt man sich, wenn dann geschrieben wird, man rufe zum Mord am Kanzler auf?
Gröning: Das ist einfach eine infame Verzerrung dessen, was ich gemacht habe. Zum Glück haben sich viele Kollegen in einem Aufruf solidarisiert. Das fand ich eine schöne Geste, die über die internen Gräben von Rivalität hinausgeht: Daß an einem Punkt, wo es darum geht, die Ausdrucksfreiheit zu erhalten, einfach alle aufgestanden sind und gesagt haben: So geht’s nicht. Erstaunlich war dabei nur, daß sich die alten engagierten Regisseure alle herausgehalten haben.
SZ: Wie betrachten Sie die Affäre rückblickend?
Gröning: Das war eine schöne Lektion, zu sehen, daß die Bundesrepublik ein Land ist, in der das nicht so einfach möglich ist, daß ein Kanzler sagt, der Film ist ein Unding und muß weg. Das war im Endeffekt sehr beruhigend, zu erfahren, wie demokratisch dieses Land tatsächlich ist.
SZ: Gehen DIE TERRORISTEN denn davon aus, daß Land sei weniger demokratisch?
Gröning: Sie glauben zumindest weniger an ihrer Ausdrucksfreiheit und Einflußmöglichkeiten. Aber es geht in dem Film eigentlich weniger um die Demokratie als um die Freizeit-, Medien- und Konsumgesellschaft. Darum, daß man sich heute wie in einem Katalog Identitäten aussuchen kann. Man kann sich ein Surfbrett kaufen und ist einen Sommer lang Surfer. Im nächsten Sommer kauft man sich halt Plastiksprengstoff und ist dann Terrorist.
SZ: Also haben DIE TERRORISTEN keine politischen Motive?
Gröning: In ihrem Umgang mit Politik steckt natürlich etwas sehr Politisches. Die ganzen Mao- und Marx-Zitate sind zwar nur so übergestülpt, wie man sich eine teure Lederjacke überstülpen würde, sie sind dadurch aber nicht unbedingt weniger wahr. Daß die Sprüche lose an den Figuren hängen, ist ja auch schon wieder politisch: Weil es zeigt, daß Politik nicht mehr als geschlossenes Denken vorstellbar ist. Die Vision, wie man handeln könnte, ist ja nicht nur meinen Figuren, sondern auch unseren Politikern verloren gegangen. Es geht doch in der Politik nur noch darum, Probleme möglichst schnell vom Tisch zu kriegen. Eine Vorstellung davon, was man will, ist nicht mehr da.
SZ: Lassen sich DIE TERRORISTEN mit Fassbinders DIE DRITTE GENERATION vergleichen?
Gröning: Es gibt viel Ähnlichkeiten in der Art, wie die Figuren zu Spielfiguren gemacht werden. Aber das Politische haftet bei ihm noch viel stärker an den Figuren. Die kommen aus einer Auseinandersetzung mit dem Faschismus der Eltern, meine aus der Auseinandersetzung mit dem Amüsierbetrieb. Wo dort die Figuren zum Handeln kommen aus einem Leiden an der Identität heraus, da haben meine nie eine Identität gehabt.
SZ: Sehen Sie sich denn in der Tradition von Fassbinder?
Gröning: Nicht unbedingt. Ich hatte meine Geschichte schon geschrieben und dann entdeckt, daß es so etwas im Deutschen Film schon gegeben hat. Da wollte ich mir das eben anschauen, um sicherzugehen, daß ich nicht ganz naiv dieselbe Geschichte nochmal erzähle. Beeinflußt bin ich mindestens genauso von Godard. Zum Beispiel in der Auswahl von Stephanie Phillip. Die hat ein Gesicht wie Anna Karina und einen Körper wie Brigitte Bardot. Das ist doch eine wunderbare Kombination.

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