19. Mai 1993 | Süddeutsche Zeitung | Interview | Julian Barnes

Ich bin Geschichtenerfinder, kein Historiker

Interview mit Julian Barnes, dem Autor von 'Flauberts Papagei' und 'Das Stachelschwein'

Manchmal kann ein Geniestreich sich für einen Autor als Fluch erweisen. Julian Barnes, 1946 im englischen Leicester geboren, glückte mit ‚Flauberts Papagei‘ (im Original 1984 erschienen, auf deutsch 1987 bei Haffmans) eine wunderbare ironische, vertrackt liebevolle Roman-Hommage an den großen Gustave Flaubert. Kritikerlob fanden zwar auch seine später ins Deutsche übersetzten Bücher ‚Metroland‘, ‚In die Sonne sehen‘ und ‚Als sie mich noch nicht kannte‘ – und doch wurde Barnes immer an seinem frühen Meisterwerk gemessen. Erst mit den beiden 1991 erschienen Romanen ‚Darüber reden‘ und der Polit-Farce ‚Das Stachelschwein‘ konnte er sich aus dem Papageien-Schatten lösen. Ähnliches gelang Barnes als Autor der im deutschen Sprachraum höchst erfolgreichen ‚Duffy‘-Kriminalromane, die er unter dem Pseudonym Dan Kavanagh verfaßte. Julian Barnes war zum Abschluß einer Lesereise am Dienstagabend in einer Münchner Buchhandlung zu Gast. Mit ihm sprachen Michael Althen und Wolfgang Höbel.

SZ: Reist Julian Barnes heute allein oder haben Sie Dan Kavanagh mitgebracht?
Barnes: Nein, der ist zuhause geblieben. Er wird nie auf Lesetouren eingeladen, der arme Trottel.
SZ: Wer ist der liebenswertere von Ihnen beiden?
Barnes: Vermutlich er. Doch ich bin der erfolgreichere von uns beiden, eigentlich hat er aufgehört zu schreiben. Seine Bücher verkaufen sich nur in Deutschland gut. Meine Frau und ich haben schon überlegt, ob ich nicht nur für Deutschland einen Duffy-Roman schreiben soll, der in England gar nicht veröffentlicht wird.
SZ: Komisch, denn Deutschland ist traditionell nicht gerade ein Land für Kriminalromane. Warum wollte Kavanagh den Detektiv Duffy zuletzt in den Ruhestand schicken?
Barnes: Vielleicht, weil ich nicht mehr soviel Energie habe wie 1980, als ich mit den Duffy-Romanen begann. Außerdem macht so ein Charakter, den man über mehrere Bücher beibehält, einen Schriftsteller unfrei. Zum Beispiel habe ich in einem der ersten Romane von Duffys Flugangst erzählt – jetzt kann ich ihn nie mehr in ein Flugzeug setzen, das läßt sich nicht ändern. Zudem ist Duffy bisexuell. Und was passiert nach drei Büchern? Da taucht plötzlich Aids auf. Im Zeitalter von Aids kann man aber nun mal schlecht komische Thriller über einen bisexuellen Menschen schreiben.
SZ: Was steht bei Ihnen am Anfang eines Buchprojekts? Ein Plan, ein Satz?
Barnes: Das ist natürlich sehr unterschiedlich. Manchmal ist es eher eine Was-wäre-wenn-Phantasie als eine Geschichte, manchmal ist es eine Szenerie oder ein Bild. Einen festen Plan habe ich eigentlich nie. Als ich zum Beispiel nach Bulgarien ging, wollte ich dort Freunde besuchen und Russisch lernen – aber kein Buch über das Ende des Kommunismus schreiben. Nach sechs, sieben Monaten kam die Idee: Was, wenn ein kommunistischer Führer vor Gericht gestellt wird – und sich nicht in sein Schicksal fügt, sondern für seine Ideale kämpft?
SZ: Ihre Bücher unterscheiden sich stark in ihrer Erzählstruktur. Wann entscheiden Sie, welche Form Sie dem Ganzen geben?
Barnes: Das ist der Moment, wenn das wirkliche Schreiben beginnt. Man kann eine Idee haben, ein Thema schwirrt einem durch den Kopf – aber solange man keine Form dafür gefunden hat, wird kein Buch draus.
SZ: Für den Helden des Romans ‚Das Stachelschwein‘ diente Ihnen der gestürzte bulgarische Staatschef Todor Schiwkow als Vorbild. Die deutschen Kritiker haben viele Zeilen für die Diskussion verschwendet, ob es sich bei Ihrem Buch nun um Literatur handle oder um Journalismus. Gab es in England eine ähnliche Diskussion?
Barnes: Überhaupt nicht. Ich habe damit kein Problem, denn ich denke, es ist ein Roman. Manche Details meines Prozesses habe ich zwar exakt aus dem Prozeß gegen Schiwkow übernommen. Aber ich habe Schiwkow nie gesprochen. Mein Diktator ist mein Diktator, nicht der Diktator der Bulgaren , meine Geschichte ist meine Geschichte. Als ich zur Veröffentlichung des Buchs nach Bulgarien fuhr, hatte ich ein mulmiges Gefühl, weil ich Fiktion und Realität vermischt hatte. Wie würden die Bulgaren also reagieren? Es gab dort eine Präsentation, bei der ich den wirklichen Ankläger des Schiwkow- Prozesses traf, und während mein Ankläger ein kleiner, dünner Streber ist, der unter Haarausfall leidet, war dieser Mann groß, hatte dichtes rotes Haar und einen roten Kopf. Er war total anders als meine Figur. Aber er verstand, daß ich nur ein Buch geschrieben hatte, er lobte die psychologische Genauigkeit meiner Darstellung – und er sagte mir ein paar Dinge über Schiwkow, die ich gern beim Schreiben gewußt hätte.
SZ: Zum Beispiel?
Barnes: Zum Beispiel war Schiwkow sein ganzes Leben lang ein Abstinenzler, der nie eine Zigarette geraucht hatte. Während seines Prozesses wurde er im Alter von über achtzig Jahren ein Kettenraucher. Ich wünschte, ich hätte das gewußt. Denn das ist ein psycholgisches Detail, das sehr viel darüber aussagt, was in diesem Mann vorgeht.
SZ: Haben sie den Honecker-Prozeß in Deutschland verfolgt, der in ungleich lächerlicherer Weise ablief als der Schiwkow-Prozeß in Bulgarien?
Barnes: Natürlich habe ich das mitbekommen. Ich bin kein Deutschland-Experte, aber es kommt mir so vor, als hätte keiner recht gewußt, was man sich eigentlich davon erhoffte, den Mann vor Gericht zu bringen. Dann haben sie gemerkt, daß sie etwas bekommen, was sie nicht wollten – und haben es plötzlich aufgegeben, was sehr peinlich war. Nun lebt Honecker in Chile und ist offenbar ganz gesund. Scheint so, als könnte man alle Leberkrebskranken nach Chile schicken und sie werden sofort gesund. Diese Kur würde uns eine Menge Geld sparen: die Honecker-Therapie.

SZ: Ihr Buch ‚Darüber reden‘ hat von der Story her Ähnlichkeit mit Woody Allens Film HUSBANDS AND WIVES.
Barnes: Den habe ich leider nicht gesehen. Aber das hört sich interessant an. Glauben Sie, ich könnte Allen verklagen?

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