10. Mai 2001 | Süddeutsche Zeitung | Interview | Claire Denis

Schöne Arbeit

Die Regisseurin Claire Denis über Afrika und die Fremdenlegion

Claire Denis, 1948 in Paris geboren, war Regieassistentin bei Jarmusch und Wenders, ehe sie bei Filmen wie CHOCOLAT, ICH KANN NICHT SCHLAFEN und NÉNETTE UND BONI selbst Regie führte. Ihr Film BEAU TRAVAIL lief 1999 in Venedig und schaffte es sogar aufs Cover der angesehenen amerikanischen Zeitschrift Film Comment – dass er es bei uns wenigstens auch noch ins Kino schafft, ist dem kleinen Alamode-Verleih zu verdanken.

SZ: Hatten Sie ein Bild im Kopf, als Sie mit den Dreharbeiten begonnen haben?
Claire Denis: Es waren mehrere. Da gab es die französische Flagge, die unnütz in der Wüste flatterte, zusammen mit der Flagge der Legion, die rot und grün ist. Ein anderes Bild war: Der Zug, der in dieses kleine Land hineinfährt – er kommt aus Addis Abeba, von wo aus die Italiener vor 110 Jahren die Gleise gebaut haben. Ich habe in Dschibuti gelebt, als ich sieben, acht Jahre alt war. Ich erinnere mich an unser Haus, an meinen kleinen gelben Hund und an die Salzwüste. Wenn man Dschibuti einmal gesehen hat, kann man es nicht mehr vergessen. Es ist ein Land, wo die Natur sehr primitiv ist: das Salz, das Meer und die Lava. Aber an dem Meer kann man keine Ferien verbringen, weil es eine sehr starke Brandung und viele Haie gibt.
SZ: Ging es für Sie denn darum, in BEAU TRAVAIL Ihre Kindheitsbilder zu verarbeiten?
Denis: Anfangs gab es eigentlich nur das Angebot des Fernsehsenders arte, auf das man antworten musste. Erst als ich den Film gemacht habe, begriff ich, dass dieser Film in meinem Unterbewusstsein schon fertig gewesen war, ich aber nicht den Mut gehabt hätte, ihn zu machen, wenn ich nicht diesen Auftrag bekommen hätte, der etwas freisetzte.
SZ: Und welche Gefühle wurden da freigesetzt?
Denis: Vielleicht ist das nur meine Fantasievorstellung, aber ich habe das Gefühl, dass man in Dschibuti viel über sein eigenes Schicksal nachdenkt – und auch über die eigene Vergänglichkeit. In diesem Land ist alles in steter Veränderung. Die drei Vulkane zum Beispiel, die man im Film sieht, existierten noch nicht, als ich klein war. Die gibt es erst seit 1978. Gleichzeitig sind die Landschaften noch so wie vor dem Auftauchen des Menschen – oder wie nach seinem Verschwinden. Es ist vielleicht kein Zufall, dass in einem kleinen Tal in der Nähe das Skelett der kleinen Lucy gefunden worden ist, jener drei Millionen Jahre alten ersten Frau.
SZ: Haben Sie diese spezielle Beziehung nur zu Dschibuti? Oder gilt das auch für andere afrikanische Länder, in denen Sie als Kind mit Ihren Eltern gelebt haben?
Denis: Ich denke, man ist immer irgendwie Erbe seiner Kindheit. Es ist schon ein großes Glück, in Ländern, die einer anderen Kultur angehören, Kind gewesen zu sein. Natürlich ist Afrika eine Wiege von Armut und Aids, aber davon abgesehen braucht die Welt diesen Kontinent. Als ich klein war, sagte man uns, Amazonien sei die Lunge der Welt. Aber ich glaube, Afrika ist die Seele der Welt.
SZ: Wussten Sie von Anfang an, dass Sie sich von Herman Melville inspirieren lassen würden?
Denis: Es war nicht so, dass ich mir gesagt habe: Eines Tages werde ich BILLY BUDD verwenden – das war ja schon verfilmt worden. Aber die Geschichte „Benito Cereno”, die wollte ich wirklich fürs Kino verwenden, hatte aber nie das Geld, das zu realisieren.
SZ: Wie kamen Sie denn als Frau in dieser Männerwelt zurecht? Hat die Legion mit Ihnen zusammengearbeitet?
Denis: Nein, ich habe das Drehbuch zwar hingeschickt, aber die haben das abgelehnt. Das war zum einen wohl Faulheit, sich mit der Sache auseinander zu setzen, und zum anderen Misstrauen, weniger mir als Frau gegenüber als generell der Schauspielerei gegenüber. Die Männer wurden in Dschibuti ohnehin alle als Homos bezeichnet. Dabei ging es gar nicht darum, die Legion in irgendeiner Weise zu entehren.
SZ: Wie haben Sie dann die Szenen mit der Kampfausbildung hingekriegt? War das reine Choreografie oder echtes Legionärstraining?
Denis: Wir hatten einen Ex-Legionär, der uns in die Kampfkünste eingeführt hat, und einen anderen, der uns über Häuserkampf und Waffenpflege aufgeklärt hat. Dazu kam dann der Choreograf Bernardo Montet, der aber für das, was er machte, nie das Wort Tanz in den Mund genommen hat. Es ging tatsächlich nur um Training, auch wenn nicht alle der Übungen aus dem Programm der Legion stammen. Manche Übungen hätte ich sowieso nicht in den Film übernehmen können, weil ich befürchtete, dass man dann lachen würde. Wenn man aus der Ferne sieht, wie die Männer inmitten der weiten Wüste Bockspringen trainieren, über den Rücken und dann zwischen den Beinen durch, dann hat das schon etwas Lachhaftes. Im Übrigen brauchte man nur unserem Berater zusehen: wie er steht, wie er sitzt, wie er zuhört. Das hatte etwas sehr Mysteriöses, Trauriges. Und hinterher war der Mann echt hin- und hergerissen, ob er nicht wieder in die Legion eintreten soll.
SZ: Was unterscheidet denn die Legion von anderen Armeen?
Denis: Das Motto lautet ja: „Legio patria nostra”. Man verliert seinen Namen, seine Heimat, seine Nationalität. Man lässt wirklich alles hinter sich. Das hinterlässt tiefe Spuren, obwohl oder weil man ja freiwillig dort angeheuert hat. Das hat etwas Heroisches, aber es ist auch schrecklich: Man wird gedrillt, zu töten, und verliert das eigene Leben. Man wird konditioniert, aus seinem Körper eine Waffe zu machen, durch Anstrengung und Erniedrigung, und fühlt sich gleichzeitig als Mitglied einer Familie. Wie beim Film, wo die Legionärsdarsteller hinterher auch eine starke, fast familiäre Bindung hatten.

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