05. September 1997 | Süddeutsche Zeitung | Essay | Paparazzi und Kino

Geraubte Blicke

Die Paparazzi und das Kino: "Reporters" und "La Dolce Vita", Mitchum und Marlene

Ein berühmtes Pariser Hotel; ein Star, der unerkannt bleiben will; eine Handvoll Photographen, die auf Autos und Motorrädern die Verfolgung aufnehmen. Die Jagd führt auch durch einen Tunnel, aber das Unglück bleibt aus.

Wie sich die Bilder gleichen: das Unglück vom vergangenen Wochenende und die Szene aus Raymond Depardons Dokumentarfilm REPORTERS aus dem Jahr 1981. Worüber sich nun alle Welt wohlfeil empört, das hat der Franzose damals dokumentiert: die schwierige Beziehung zwischen Paparazzi und Stars, Jägern und Gejagten, vermeintlichen Tätern und sogenannten Opfern. In diesem Fall handelte es sich um Richard Gere, der damals gerade mit American Gigolo zum Star aufgestiegen war. Die Geschichte ist immer dieselbe, nur der Ausgang ein anderer.

Depardon war lange Jahre selbst chasseur d‘images, wie das auf seinem Presseausweis hieß: Bilderjäger. Mit 17 schießt er ein Photo von BB und tritt in die Agentur Dalmas ein. 1967 gründet er mit einem Kollegen die Agentur Gamma, 1978 wechselt er zu Magnum, 1981 dreht er einen Film über die Arbeit seiner dortigen Kollegen, der im Jahr darauf den César für den besten Dokumentarfilm gewinnt. Danach kehrt Depardon dem Gewerbe den Rücken, um sich ganz dem Film widmen zu können. Reporters ist keine Abrechnung und auch keine Glorifizierung, sondern einfach ein Blick auf einen Monat im Alltag der Paparazzi. Daß sie alle von einer anderen Art der Photographie träumen, von einer Karriere wie Depardon zum Beispiel, versteht sich von selbst.
Ob Adel, Minister oder Stars, macht für sie keinen Unterschied. Sie haben einen Job, der heißt: Bring mir den Kopf von – in diesem Fall – Richard Gere. In ihren Autos liegen sie auf der Lauer, bewachen die Ausfallstraßen rund ums Hotel George V. Auf wen wartet ihr? Auf irgendsoeinen amerikanischen Schauspieler, sagt der eine. Sie haben Ungetüme von Funkgeräten dabei, mit deren Bedienung sie noch kaum vertraut sind – Handys gab es noch nicht. Achte auf jeden Mercedes, gibt einer durch. Gestern war er grau. Dann geht es mit quietschenden Reifen los, und obwohl Gere und seine Begleiterin in einem Simca-Taxi sitzen, werden sie von den Verfolgern schnell gestellt.

Das Taxi ist umzingelt, Polizei ist da, die auch nicht recht weiß, was sie tun soll. Die Begleiterin steigt aus und sagt: „Tun Sie was dagegen. ” Der Star bleibt im Wagen. Die Beamten sind ratlos.

Die Photographen sagen: „Wir dürfen das: Er ist Schauspieler. Er verdient Millionen bei Film. ” Ein Polizist wendet zaghaft ein: „Und wenn er aber nicht will?” – „Das werden wir ja sehen. ”

Einer der Photographen, der etwas Englisch kann, spricht mit Gere durchs Fahrerfenster: „In Cannes war es genau das Gleiche: Immer haben Sie sich hinter der Brille versteckt. Impossible to work with you. ” Gere hat genug und steigt aus: „Jetzt nehme ich mal die Kamera und nehme euch auf. Mit der Polizei. ” Die Photographen lassen sich nicht darauf ein. Gere wird unwirsch: „Ich geb dir 15 Sekunden, dann bist du fertig. ” Aber der Angesprochene besteht auf seiner Forderung: „Nehmen Sie die Brille ab. ” Darauf läßt sich Gere nicht ein, steigt wieder ins Taxi und braust davon – die Meute hinterher.

An einer Tankstelle versuchen sie dem Taxifahrer zu entlocken, wohin die Fahrt geht. Der Fahrer bedauert, aber meint: „Ihr habt doch drei Autos und ein Motorrad. ” Die Fahrt geht durch einen Tunnel, dann haben die Verfolger das Taxi offenbar wieder gestellt.

Gere sagt zu dem einen: „Du bist ein richtiges Arschloch. ” Weil er es auf Englisch sagt, versteht der Franzose nicht. Gere: „Du hast eine Minute, dann belästigst du mich nie wieder in Paris. ” Der Photograph: „Wir wollen ein Bild ohne Brille. ” Gere: „Ich aber nicht. Ich bin privat hier. ” – „Wenn mit Brille, dann aber nur am Trocadéro, mit dem Eiffelturm im Hintergrund. ” – „Dann eben gar kein Bild, sorry. ” Und er steigt wieder ein.

Als es wieder im Auto weitergeht, sagt einer der Photographen: „Er wollte sich durchsetzen, aber wir auch. ” Noch einmal fängt die Kamera von Depardon Gere und seine Begleiter ein. Da ist er ausgestiegen, um Bummeln zu gehen. Die Paparazzi immer ein paar Schritte vor ihm her, um ihr Bild zu kriegen. Ehe Depardon abblendet, fängt er noch ein schönes Bild ein, wo Gere unter dem Schriftzug „femmes” vorbeiläuft. Gere pour femmes – das wäre das wahre Image des Stars, aber dieses Bild hat nur die Kinokamera gesehen.

Was man auch über Lady Dianas Beziehungen zu den Bilderjägern weiß, das wird hier sichtbar: als Choreographie von Jagen und Fliehen, Verhandlung und Verweigerung, Bewegung und Stillstand. Depardon macht deutlich: Das sind immer Geschichten an der Grenze von Realität und Fiktion, wo Einbildung und Abbildung zusammentreffen, wo sich Image und Imagination überlagern.

Man kann in REPORTERS zusehen, wie auf dem Bilder-Bazar gefeilscht und geschachert wird. Die Paparazzi interessiert nur das Image vom Amerikaner in Paris, mit Eiffelturm im Hintergrund. Die Momentaufnahme, die Wirklichkeit, mit Brille, interessiert sie nicht. Das ist vielleicht auch nur eine Sache der Ehre. Einem richtigen Theater kann man da beiwohnen: Im Grunde wollen beide Seiten nur ihre Auffassung von Inszenierung durchsetzen.

Der geraubte Blick mit dem Teleobjektiv ist für Jäger wie Opfer nur eine Notlösung. Man hat sich daran gewöhnt, die Schüsse aus grobem Korn als Pornographie des Image zu lesen. Auch deshalb, weil dieser Blick dem des Scharfschützen auf seine Opfer gleicht. Das hat seine eigene Dynamik entwickelt: Je größer die Distanz, desto größer auch die vermeintliche Nähe. Auch das ist eine Frage der Inszenierung.

„I‘ve been photographed to death”, hat Marlene Dietrich in einem Dokumentarfilm von Maximilian Schell gestöhnt. Dabei hat sie zeitlebens wie keine andere Bescheid gewußt, mit welchen Tricks sie die beste Wirkung auf Bildern erzielen kann. Daß ihr Seufzer sich nun im Wortsinn erfüllt hat, ist sicher der größte anzunehmende Unfall. Aber das ändert nichts daran, daß das Image nicht nur eine Sache der Photographen ist. Die machen nur Bilder.
Nochmal Depardon: „Der Photograph ist eine Person, die auf- und abtritt wie ein Hofnarr. Er ist ein gewöhnlicher Typ, klatschsüchtig und vulgär – und doch gleichzeitig notwendig: Denn die Opfer wissen, wie wichtig die Paparazzi für ihre Selbstdarstellung sind. ”

Der Paparazzo – das haben wir in den letzten Tagen gelernt – hat seinen Namen aus Fellinis Film LA DOLCE VITA. Um ein für allemal klarzustellen, wie es dazu gekommen ist, lassen wir den Erfinder, den Autor Ennio Flaiano, mit seinen Blättern aus der Via Veneto nochmal zu Wort kommen: „Eine unmanierliche Gesellschaft, die ihre kalte Lebenslust mehr dadurch zum Ausdruck bringt, daß sie sich zur Schau stellt, als daß sie wirklich das Leben genießt, verdient zudringliche Fotografen. Die Via Veneto ist überschwemmt von solchen Fotografen. Fellini hat diese Figur genau im Kopf. Jetzt sollten wir diesem Photographen einen exemplarischen Namen geben, denn der treffende Name hilft viel und ist ein Hinweis darauf, daß die Figur leben wird. Diese semantischen Affinitäten zwischen den Figuren und ihren Namen brachten Flaubert zur Verzweiflung, der zwei Jahre brauchte, um den Vornamen der Madame Bovary zu finden: Emma.

Für diesen Photographen fällt uns zunächst nichts ein: Bis wir durch Zufall das unschätzbare Büchlein von George Gissing mit dem Titel By the Ionian Sea aufschlagen und einen köstlichen Namen finden: Paparazzo. Der Fotograf wird Paparazzo heißen. Er wird nie wissen, daß er den ehrenwerten Namen eines Gastwirts aus Kalabrien trägt, von dem Gissing voll Dankbarkeit und Bewunderung spricht. Aber die Namen haben ihre Schicksale. ”

Auch bei Fellini haben die Paparazzi eher die Funktion von Hofnarren, aber der Regisseur ahnte in einem Interview 1960 schon, daß mehr dahinter steckt: „Die Suche nach Wahrheit ist Sache der Reporter geworden, Sache eines Apparats, der sie mit gläsernem Auge erfaßt. Dieses Auge aber ist so überdimensional, daß sein Blickfeld nicht mehr dem menschlichen entspricht. Die Wahrheit entzieht sich ihm und führt weiter ihre wilden Tänze auf. Das Ungeheuer beißt sich selber in den Schwanz. ”

Der Held in Antonionis BLOW-UP ist zwar ein Mode-Photograph, aber im Grunde betätigt er sich in dieser Geschichte als Paparazzo. Seine Bilder vom Liebespaar im Londoner Park führen ihn auf die Spur eines vermeintlichen Mordes. Aber je weiter er seine Bilder vergrößert, desto vieldeutiger wird die Geschichte für ihn. Das gilt auch für die Sensationsblätter: Je gröber das Korn, desto schwieriger läßt sich die Wahrheit erkennen.

Die traurigste Geschichte aus dem Reich der geraubten Blicke ist sicher die von Simone Sylva, die den Tauschhandel zwischen Paparazzi und Posen instinktiv begriffen hat. Beim Festival von Cannes 1954 ging sie auf Robert Mitchum zu, der am Strand von einem Pulk Photographen verfolgt wurde, ließ ihr Oberteil fallen und umarmte barbusig den verdutzten Schauspieler. Die Aufnahmen gingen um die Welt und erregten nicht nur bei Mitchums Gattin einiges Aufsehen. Am nächsten Tag wurde Mademoiselle Sylva gesehen, wie sie mit einem Stapel Photos die Croisette entlangging und damit Werbung für sich machte. Sie hatte den Spieß umgedreht und die Paparazzi zu nützlichen Idioten gemacht.

Aber Simone Sylva brachte ihre Aktion kein Glück. Sie fuhr nach Hollywood, wo sich entgegen ihren Erwartungen niemand für sie interessierte, und beging ein halbes Jahr später Selbstmord. Man sollte sie zur Schutzheiligen der Paparazzi erklären.

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