Eiskalte Engel
Mord, Rausch und Verführung in den neuen Filmen von Luc Besson, Roger Avary, John Dahl und Ole Bornedal
Sein oder Nichtsein ist im Kino immer wieder die Frage. Und ein heftiger Hang zu letzterem ist es, was vier Filme verbindet, die in diesen Wochen in die Kinos kommen. LÉON ist ein französischer Film aus Amerika, KILLING ZOE ein amerikanischer Film aus Frankreich; NIGHTWATCH kommt aus Dänemark und DIE LETZTE VERFÜHRUNG aus dem amerikanischen Fernsehen. Gemeinsam ist diesem Quartett ein großzügiger Umgang mit dem Tod, eine gewisse Leichtlebigkeit, wenn es ums Sterben geht. Auf die eine oder andere Weise scheinen sie alle zu fragen: Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?
Der Tod ist eine Stilübung bei Luc Besson. Aber Besson macht in LÉON nicht den Mord zur schönen Kunst, sondern konzentriert sich eher auf die Kunststücke, zu denen er seine Kamera dressiert hat. Am Anfang rast sie übers Wasser wie einst in LE GRAND BLEU, dann hebt sie den Blick und öffnet eine Aussicht über die Baumkronen des Central Park, die einem schier den Atem raubt. Das bleibt jedoch das einzige Mal, daß Besson es wirklich schafft, das Vertraute in einem neuen Licht zu zeigen. Den ganzen Film hindurch wird er versuchen, den Eindruck zu erwecken, New York sei ein verwunschener Ort jenseits eines Märchenwaldes, wo Kinderseelen von einer schlechten Welt korrumpiert werden. Aber was dabei herauskommt, ist nur ein Poesiealbum der bösen Absichten.
Wenn am Anfang die Kamera weiterfliegt, über den Central Park hinweg in die Straßenschluchten Manhattans hinein und weiter zu einer Kneipe, in der zwei Männer an einem Tisch sitzen, dann tut sie das nicht, um die Aufmerksamkeit auf die Männer zu lenken, sondern um auf ihre eigene Existenz aufmerksam zu machen. Man sieht lange Zeit nur Details und Objekte, Gesten und Gegenstände, und auch als der Held Léon endlich sichtbar wird, bleibt er hinter seiner verspiegelten Brille ein Mann ohne Gesicht und ohne Stimme. Gezeigt wird, wie er einen Auftrag ausführt, eine Abfolge von Handgriffen und Manövern, die den Killer zum Samurai stilisieren, zum einsamen eiskalten Engel. Aber anders als einst Melville ist Besson nicht am Ritual des Mordes interessiert, in dem sich ein Mann seine trostlose Identität erfindet, sondern nur an den Ritualen der Cinemascope-Ästhetik. So wird die Kamera selbst zum eiskalten Engel, einem Wesen ohne Seele und Hoffnung, das sich für nichts und niemanden erwärmen kann.
Das, was man Leben nennt, ist bei Besson die reine Attitüde. Seinen Killer (Jean Reno) stattet er mit allerlei Gewohnheiten aus, die ihn zu dem Kind machen sollen, das das jäh verwaiste Mädchen aus der Nachbarswohnung (Natalie Portman) nicht mehr sein kann. Er trinkt nur Milch, sorgt sich um seinen Gummibaum wie um ein Haustier und sitzt staunend vor dem Fernseher. Aber all diese mit großer Geste ausgestellten Macken zeugen nicht etwa von einer verschütteten kindlichen Unschuld, sondern davon, daß sich Luc Besson das Leben nur als eine Reihe von Gewohnheiten vorstellen kann. Der Tod ist so billig in diesem Film, weil er niemanden das Leben – oder etwas, was man im Ernst so nennen könnte – kosten kann.
Bei Roger Avary ist der Tod ein Trip, das Finale einer Reise, die mit Sex und Drogen ihren Anfang nimmt. Der Produzent und Koautor von Quentin Tarantinos PULP FICTION war früher Tänzer und hat sich einen leichtfüßigen Umgang mit dem Schrecklichen bewahrt. KILLING ZOE schildert einen Tanz mit dem Tod, einen Taumel an die Grenzen der Existenz. Ein Amerikaner (Eric Stoltz) kommt nach Paris, lernt im Hotel eine Nutte (Julie Delpy) kennen, nimmt Drogen, zieht mit seinem französischen Freund (Jean-Hugues Anglade) und dessen Clique durch die Nacht, mit denen er dann einen Bankraub versucht, der in einem Blutbad endet. Beim Showdown in der Bank geht es nur noch um Choreographie und Kalligraphie. Avary betätigt sich in KILLING ZOE als action painter, der wie Jackson Pollock mit dem Blut die Bilder tränkt, bis das Sterben zum abstrakten Ritual geworden ist.
Avary zeigt den Tod als Overkill. Aber im Unterschied zu Besson ist seine Kamera bei all ihren Manövern weniger an sich selbst als am Helden interessiert. Ihr Kunststück besteht darin, sich dem Helden anzuverwandeln, seine zunehmend getrübte Sicht der Welt zu zeigen. Minutenlang blickt sie ihm eingangs unverwandt ins Gesicht und zeigt die Taxifahrt vom Flughafen in die Stadt. Eine Ruhe und Konzentration stellt sich da ein, eine Vertrautheit mit der Hauptfigur, die der Film im weiteren Verlauf nutzt, wenn er sich vom Drogenrausch seines Helden auf dem Trip durchs nächtliche Paris anstecken läßt. Bei Avary weckt die Kamera etwas, was noch nicht das Leben selbst ist, aber wenigstens ein Lebensgefühl.
Bei John Dahl ist der Tod eine Frau. Dahl hat sich anstecken lassen von der Atmosphäre des film noir, der schwarzen Serie Hollywoods mit ihren lebensmüden Männern und todesmutigen Frauen. Jede seiner Heldinnen ist eine Hommage an die Femmes fatales, die als schwarze Witwen den Tod ans Ende der Verführung setzen. In KILL ME AGAIN war es Joanne Whalley-Kilmer, in RED ROCK WEST Lara Flynn Boyle, und nun in THE LAST SEDUCTION ist es Linda Fiorentino, die ihr kunstvolles Netz spinnt. Die Geschichte verweist auf Vorbilder wie Billy Wilders DOUBLE INDEMNITY, wo eine Frau ihren Liebhaber dazu anstiftet, ihren Mann umzubringen. Bei Dahl ist es allein die Heldin, die hält, was der Plot verspricht. Am Anfang hat Linda Fiorentino einen Auftritt in einer Bar, wo sie unter den begehrlichen Blicken der Männer auf eine Art den Spieß umdreht, daß einem das Lachen im Halse steckenbleibt.
Den Tod betreibt sie buchstäblich als Spiel. Da will sie ihrem jungen Liebhaber beweisen, daß mehr Menschen zu einem Mord fähig sind, als er glauben will. Also setzt sie sich nachts vor den Computer der Versicherungsgesellschaft und geht die Liste von Namen durch, deren Versicherungspolicen nicht auf den Namen der Gattin ausgestellt sind. Sie muß nicht lange probieren, bis sie eine Frau am Telephon dazu gebracht hat, ihren Mann für den Verrat umbringen zu lassen. Was den Männern in Dahls Film zum Verhängnis wird, ist die Tatsache, daß sie erst im Tod den Unterschied zwischen Spiel und Ernst begreifen.
In NIGHTWATCH (NACHTWACHE) von Ole Bornedal ist der Tod etwas anderes: Präsenz, Geruch, Schweigen. Ein junger Student (Nikolaj Coster Waldau) tritt seinen Dienst als Nachtwächter in einem Leichenschauhaus an. Bei einer Führung durch den Vorgänger wird der Nachfolger mit dem Ort und seinen Eigenheiten vertraut gemacht. Fortan kann Bornedal mit den Erwartungen der Zuschauer, denen das Genre vertraut ist, sein Spiel treiben. Seine Kraft bezieht „Nightwatch“ aus der Art, wie sich der Film erst einmal den geläufigen Mustern verweigert und sich ganz dem Verrinnen der Zeit in den trostlosen Räumen des Leichenschauhauses hingibt. So werden die Sinne geschärft für all das, was mit dem Tod an diesem Ort einhergeht: der Geruch nach Formaldehyd, die Kälte und vor allem die Totenstille, die hier ihren Wortsinn entfaltet. Man merkt dem Film an, daß der Regisseur zuvor ein Jahrzehnt lang fürs Radio gearbeitet hat. So wie Fräulein Smilla ein Gespür für den Schnee entwickelt hat, bekommt man hier ein Gespür für den Tod. Und wie Peter Hoeg findet auch Ole Bornedal in den gewöhnlichsten Dingen eine Poesie, die den Blick auf die Welt verwandelt.
Auch in NIGHTWATCH gibt es das Spiel mit dem Schrecken, dem Blut und der Kälte. Aber in Bornedals furiosem Debüt ist der Einsatz immer klar: Es geht ums Leben. Billiger ist der Tod in diesem Film nicht zu haben.