14. Februar 2001 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Berlinale | Berlinale 2001 (3)

Die heißen Herzen der kalten Krieger

Berlinale I: Die Wettbewerbsfilme von Roger Donaldson und John Boorman zeigen, dass in der Politik kaum ein Unterschied zwischen einer geschickten Lüge und der traurigen Wahrheit besteht

Wenn man sich ansieht, wie die Journalisten sich buchstäblich darum prügeln, in die Pressevorführung von HANNIBAL zu kommen, dann könnte man fast glauben, im Wettbewerb der Berlinale gehe es um Leben und Tod. Wenn man dann allerdings John le Carré gegenüber sitzt, dessen SCHNEIDER VON PANAMA von John Boorman verfilmt wurde, dann gewinnt man schnell wieder den Eindruck, die Filmbranche sei womöglich doch eine ganz zivilisierte Angelegenheit, in der es auf sportliche Fairness ankommt. Der britische Bestseller-Autor weiß ohnehin, dass es im Leben Wichtigeres gibt als die Bärenjagd. Viel glücklicher als der Auftritt auf der Berlinale mache ihn die Tatsache, dass sein ältester Sohn, der für die Zeitung ‚The Scotsman‘ arbeitet, gestern ein Exklusiv-Interview mit Arafat bekommen habe. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Regisseure auf den Pressekonferenzen über ihre Filme reden, als hätten sie gerade Kinder in die Welt gesetzt, wirkt dieser echte Vaterstolz geradezu rührend unprofessionell.

Und dann sagt le Carré noch etwas, und er tut das auf Deutsch, weil er ja immerhin in Bern auf die Schule gegangen ist, in Österreich seinen Militärdienst abgeleistet, in Eton Germanistik gelehrt und in Bonn an der Botschaft gearbeitet hat. Er sagt, er habe sich in die deutsche Literatur vertieft, weil er „eine zweite Seele wollte”. Und in seinem keineswegs rostigen Deutsch klingt das so entwaffnend und schön, dass man sofort alle Kinopläne über den Haufen werfen und sich in Bücher vergraben möchte. Eine zweite Seele – wie passend für einen Spionage-Schriftsteller.

Aber natürlich geht es auch im Kino idealerweise genau darum: eine zweite Seele zu finden, einen Fluchtpunkt für alle Sehnsüchte, für die das eigene Herz zu klein ist, und für jene Träume, für die im eigenen Leben kein Platz ist. Davon handelt auch der TAILOR OF PANAMA, der aus der Wechselwirkung zwischen den privaten Phantasien und der großen Politik eine Farce macht, die dem heiligen Ernst der Agentenromane die Zunge herausstreckt. Geoffrey Rush, der gerade noch als Marquis de Sade in QUILLS zu sehen war, spielt hier den Helden, der sich nicht allzu sehr mit der Wahrheit quält. In Good Old England war er wegen Brandstiftung im Gefängnis gesessen, für Panama hat er sich eine Vergangenheit in der Savile Row zurechtgeschneidert. Der britische Agent, den Pierce Brosnan mit einem Augenzwinkern in Richtung James Bond spielt, liegt im Prinzip ganz richtig, wenn er glaubt, dass der Schneider ein idealer Kontaktmann ist, weil er von Berufs wegen Land und Leuten auf den Leib rücken darf. Bei aller Abgebrühtheit rechnet er aber nicht damit, dass ihn das tapfere Schneiderlein nach Strich und Faden belügen könnte. Und so legt sich die Fiktion vom drohenden Verlust des Panama-Kanals nach und nach über das Bild, das sich die Geheimdienste und Militärs von Panama machen.

John Boorman hat das Vexierspiel eher behäbig in Szene gesetzt, aber womöglich ist diese mangelnde Aufgeregtheit genau das richtige Mittel, um den Wahnsinn der politischen Mechanismen besser sichtbar zu machen. Der Schneider erfindet aus reinem Eigennutz, aber ohne jeden Hintergedanken ein Korruptionskartell, das die Kontrolle über den Kanal meistbietend verschachert, und eine stille Opposition, deren Widerstand in Wahrheit längst gebrochen ist. So schaukelt sich die Geschichte langsam hoch und kommt den amerikanischen Militärs zu Ohren, die notorisch unterbeschäftigt und für jeden Anlass dankbar sind, um endlich zuschlagen zu können. Und das ist genau der Punkt, wo sich le Carrés Fiktion mit anderen Politikfabeln auf dieser Berlinale trifft. Und was hier an Panama durchexerziert wird, das galt einst für Berlin.

Oktober 1962, amerikanische Aufklärungsflugzeuge haben russische Raketenbasen auf Cuba entdeckt, der kalte Krieg tobt, die Welt ist in Gefahr. Roger Donaldson inszeniert in THIRTEEN DAYS einen Blick hinter die Kulissen des Weißen Hauses, der hier kurioserweise auf einen Film aus der Kirk-Douglas-Retro trifft, der sich im Jahr 1964 seinen Reim auf den Kalten Krieg machte: SIEBEN TAGE IM MAI von John Frankenheimer. So legt sich hier für den Betrachter Tag für Tag alles übereinander: das Lügengespinst aus Panama über die Nacherzählung der Cuba-Krise über das Schreckensszenario eines amerikanischen Militärputsches, das nur ausmalt, was bei Donaldson sozusagen am Horizont der Realität skizziert wird. Der Befund ist immer der gleiche: In den amerikanischen Streitkräften gab und gibt es immer genügend Leute, die ihr Waffenarsenal endlich zum Einsatz bringen wollen. Und so beginnt auch Donaldsons Geschichtslektion mit einer Choreographie von Atomexplosionen, in deren trügerischer Schönheit ein Widerschein jenes Impulses von Kampfbereitschaft und Todessehnsucht sichtbar wird – so wie einst bei Frankenheimer in der geradezu übernatürlichen Attraktivität von Burt Lancaster, der den unpopulären Abrüstungspräsidenten aus dem Amt jagen will, um es den Russen mal so richtig zeigen zu können.

THIRTEEN DAYS hält sich hingegen an die Fakten, welche indes oft ein ungläubigeres Staunen hervorrufen als die Erfindungen der anderen, weil sie durchs historische Gewicht eine ganz andere Schwerkraft besitzen. Stramme 145 Minuten lang wird nur geredet – fast wie im wirklichen Leben –, und Donaldson gelingt es, uns weiszumachen, das dabei stets die Welt auf dem Spiel steht – auch damit ist er der Wirklichkeit vermutlich sehr nahe. Man muss nicht im Einzelnen noch mal das Für und Wider der damaligen Positionen im Kalten Krieg nacherzählen, um zu begreifen, dass es dabei stets darum geht, zwischen den verschiedenen Demonstrationen von Stärke und Schwäche die Zeichen richtig zu deuten und eine Sprache der Vernunft zu finden, die nach innen wie nach außen verstanden wird. Weltpolitik ist bei Donaldson eine Fortführung der Semiotik mit anderen Mitteln.

In der eindrucksvollsten Szene steht Kennedy (Bruce Greenwood) vor einer Weltkarte, auf der die Flottenbewegungen der Sowjets sichtbar gemacht sind, und den Präsidenten beschleicht dabei plötzlich eine Ahnung, dass es womöglich nicht mehr darum geht, die Zeichen nach den Jahrhunderte alten Methoden der Militärs zu lesen, die nur Aktion und Reaktion kennen, sondern dass im Atomzeitalter eine neue Sprache gefunden werden muss, in der die Verständigung nach einem anderen Schema abläuft. Und so würdigt der Film JFK als großen Semiotiker, welcher der amerikanischen Zauberformel für die Lesbarkeit der Welt einen neuen Sinn abgewonnen hat: What you see is what you get. Das gilt nur, wenn man um die Doppeldeutigkeit der Zeichen weiß.

Kevin Costner, der für Donaldson schon in dem Polit-Thriller NO WAY OUT gespielt und auch diesen Film als Produzent mit angeschoben hat, taucht im Polit-Getümmel als Berater des Präsidenten auf, den es tatsächlich gegeben haben soll, der aber für diesen Plot im Grunde völlig überflüssig ist. Und er wirkt umso konturenloser, wenn man Kirk Douglas in SEVEN DAYS IN MAY vor Augen hat, der dort der einzige ist, der die disparaten Zeichen zum Komplott zusammenreimen kann. Das sind dann auch die schönsten Momente bei Frankenheimer, wenn eine Zeit lang nicht ganz klar ist, wie viel von diesen Verschwörungsgeschichten Wahn und wie viel Wirklichkeit ist. John le Carré hätte dazu vermutlich hinzuzufügen, dass in der Welt der Geheimdienste zwischen diesen beiden Sichtweisen auf die Welt kein großer Unterschied besteht – denn der Wahn ist die zweite Seele der Wirklichkeit.

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