28. März 1990 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Oscars | Academy Awards 1990 (2)

Viele Sieger, kein Gewinner

Zum 62. Mal wurden in Los Angeles die "Oscars" vergeben

Es gab einen großen Gewinner am Montagabend im Dorothy Chandler Pavillon in Los Angeles. Dabei saß der Mann weder im Publikum, noch war er überhaupt nominiert. Aber sein Name fiel öfter als jeder andere. Denn keiner der vier Gewinner für DRIVING MISS DAISY ließ es sich nehmen, sich besonders herzlich bei dem leer ausgegangenen Regisseur Bruce Beresford zu bedanken. Da MISS DAISY den Oscar für den besten Film gewann, kam es zu einer so seltenen wie seltsamen Konstellation, die es seit 1932 nicht mehr gegeben hatte. Daß der Regisseur des besten Films nicht einmal zu den Nominierten gehörte. Damals gewann Grand Hotel, dessen Regisseur nicht einmal in die Endausscheidung gekommen war.

Die Entscheidung für MISS DAISY war nicht gerade eine Überraschung, aber sie setzte den Schlußpunkt unter die Niederlage von Oliver Stones Post-Vietnam-Film GEBOREM AM 4. JULI, der nach den Golden Globes noch als Favorit gegolten hatte. Immerhin gelang es Oliver Stone zum zweitenmal nach PLATOON als Regisseur ausgezeichnet zu werden.

Sein Hauptdarsteller Tom Cruise jedoch war über die eigene Favoritenrolle gestolpert. Viele der 4700 Akademie-Mitglieder scheinen sich am Ende doch noch an Cruises seichte Anfänge als Schauspieler erinnert zu haben und entschieden sich für Daniel Day Lewis und seine Darstellung des schwer körperbehinderten irischen Dichters Christy Brown in MEIN LINKER FUSS. Lewis bedankte sich im voraus bei der Akademie für das fröhliche Wochenende, das ihm dieser Oscar in Dublin bescheren wird. Prost!

Bei den Frauen gewann die Miss Daisy, Jessica Tandy, erwartungsgemäß gegen Michelle Pfeiffer und bekam dafür stehende Ovationen. Gleiches wurde Akira Kurosawa zuteil, den die Akademie für sein Lebenswerk auszeichnete und der an diesem Tag auch noch Geburtstag feierte. Ein anderer Veteran sorgte für die zweite große Überraschung des Abends. Der englische Regisseur und Kameramann Freddie Francis bekam für seine Arbeit in dem schwarzen Bürgerkriegsfilm GLORY den Oscar für die beste Kamera, der Deutsche Michael Ballhaus ging zum wiederholten Male leer aus. Zwei andere Deutsche gewannen jedoch eher unbemerkt einen Oscar: Wolfgang und Christoph Lauenstein wurden für ihren Kurzzeichentrickfilm BALANCE ausgezeichnet, ihre Statuette bekamen sie von Bugs Bunny überreicht.

Ansonsten war die 62. Oscar-Verleihung ungewohnt ausgewogen, selbst der Sieger MISS DAISY konnte nur vier Oscars gewinnen. Viele verdroß dabei ganz zu Recht, daß der bei weitem wichtigere und explosivere Film über die Rassenproblematik in den USA, Spike Lees DO THE RIGHT THING, in den wichtigsten Sparten, Film und Regie, nicht einmal nominiert worden war. Kim Basinger wich dafür sogar von ihrer Rolle als Conferenciere ab und wies auf dieses Mißverhältnis hin. Aber auch das wird Hollywood verkraften können. So blieb alles beim alten. Auch daß Woody Allen wieder einmal nicht erschienen war. Er hätte sowieso nichts gewonnen.

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