14. Juni 1995 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Kenneth Anger

Der Teufel möglicherweise

Ikonen von Pop und Poesie: Der Kultregisseur und -autor Kenneth Anger in Wien

Dieser Mann ist eines jener Nachtschattengewächse, wie sie nur in den Kellern der Filmgeschichte blühen können. Kenneth Angers Biographie ist der Stoff, aus dem andernorts die Träume sind. Mit vier spielte er in Max Reinhardts Sommernachtstraum einen Prinzen, mit siebzehn drehte er 1947 den 15minütigen Fireworks, für den er einen Fanbrief von Jean Cocteau erhielt . Drei Jahre später bestieg Anger das Boot nach Paris, wo er im Dunstkreis des Meisters allen begegnete, die Rang und Namen hatten: Marais, Colette, Chanel, Piaf . . .

Anger wurde Assistent bei Henri Langlois, dem Leiter der Cinémathèque, und schrieb 1959 auf französisch die Skandalchronik ‚Hollywood Babylone‘, die erst 16 Jahre später in Amerika übersetzt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte er eine Handvoll weiterer Filme gedreht, keiner länger als eine halbe Stunde; hatte mit einer ganzseitigen Anzeige in Village Voice seinen eigenen Tod bekannt gegeben, und zählte inzwischen Leute wie Scorsese, Fassbinder und Lynch zu seinen Bewunderern. 1985 gab es noch eine Fortsetzung zu ‚Hollywood Babylon‘, dann verlor sich die Spur. Ein Schicksal aus dem großen Bauch des Kinos, das auch Eingeweihten Rätsel aufgibt. Wie die mysteriösen, verführerischen Titel seiner Filme: Inauguration of the Pleasure Dome, Scorpio Rising, Kustom Kar Kommandos, Invocation of My Demon Brother oder Lucifer Rising.

Wenn man alten Photos glauben darf, dann war Kenneth Anger mal einer der schönsten Männer der Welt. Und wenn man den eigenen Augen trauen darf, dann ist ihm das heute noch schmerzlich bewußt. Seinem Gesicht ist anzumerken, daß es verzweifelt an den makellosen Zügen von einst festzuhalten versucht, und man hat den Eindruck, als weigere sich das Fleisch, vor dem Unvermeidlichen zu kapitulieren. Seine viel zu schwarzen Haare zeugen jedenfalls von dem Wunsch, die einstige Jugend nicht kampflos aufzugeben.

Wenn man Kenneth Anger gegenübersitzt, merkt man jedoch bald, daß in seinem Gesicht mehr Jugendlichkeit steckt, als der erste Blick vermuten läßt. Wenn er über sein Lieblingsthema spricht, über Glanz und Elend Hollywoods, dann springt sofort ein Funke über, der Leben in seine Züge bringt. Seine Augen leuchten, wenn er von den Manschettenknöpfen Rudolfo Valentinos redet, die ihm seine deutschstämmige Großmutter vermacht hat; und seine Zähne blitzen auf, wenn ihm bei Zoten aus dem Leben der Stars das Vergnügen an der eigenen Durchtriebenheit ins Gesicht fährt.

Mit bittersüßem Lächeln erzählt er von den Verfehlungen und Sündenfällen Hollywoods, von denen die prominentesten in ‚Hollywood Babylon‘ festgehalten sind, dessen dritter Band nun kurz vor der Fertigstellung steht. Er freut sich dabei wie jemand, der einer verbotenen Lust frönt; und wenn er die unappetitlichen Details eines Falls genüßlich ausbreitet, dann bekommt sein Gesichtsausdruck etwas Naschhaftes. Und auch etwas Schadenfrohes.

Kenneth Anger ist aus Palm Springs gekommen, wo ihn ein Arzt im ehemaligen Haus von Al Jolson, der als Jazz Singer im ersten aller Tonfilme zu Ruhm kam, leben läßt, nachdem er vor der alltäglichen Gewalt aus Hollywood geflohen ist. In Wien hat Sixpack Film im Rahmen der österreichischen Initiative ‚hundertjahrekino‘ eine Filmschau und die Ausstellung ‚Icons‘ organisiert, bei der Kenneth Anger 17 Momentvergrößerungen aus seinen Filmen präsentiert: ‚Als Filmemacher, der seine eigenen Filme schneidet, wußte ich immer von der Verführungskunst der Miniaturbilder und war bezaubert von den Kadern, die wie ein Wasserfall fließen, während das Licht, die Farben und die Handlung sich verändern. So wurde die Idee zu ‚Icons‘ geboren. In manchen Fällen habe ich den Filmstreifen vergrößert, um mehrere Kader zu zeigen, andere Male habe ich das Bild bei einem flüchtigen Lächeln oder bei einem sardonischen Aufblitzen im Auge angehalten. Ach, die Zeit einfangen, verlangsamen, festhalten – die Illusion der Welt.‘

Weil Angers Filme ohnehin eher Gedichte als movies sind, findet sich in seinen Einzelbildern auch mehr von dem verdichtet, was die Filme ausmacht, als bei Standbildern anderer Regisseure. Die 17 Vergrößerungen sind tatsächlich wie Ikonen der Pop- und Trash-Kultur. Sie fangen wie die Filme jene Momente ein, in denen das Alltägliche über sich hinauswächst und in einem neuen Arrangement eine kultische Bedeutung gewinnt. Da werden die Rocker der Hell’s Angels zu Aposteln, ein Lederjunge zum Götterboten und der Regisseur selbst zum Dämon.

Wirkliches Leben und mythische Welt gehen eine sonderbare Ehe ein: Anger hat seine Darsteller immer im Freundeskreis gesucht oder auf der Straße aufgelesen. Die Anonymität oder das Schicksal dieser Helden hat erheblich zum Glamour der Filme beigetragen: All die unbekannten biker boys, die dem Verrückten mit der Kamera ein paar Tage ihres Lebens geschenkt haben, sind, vermutlich ohne es zu wissen, zu Ikonen des Undergrounds geworden. Und an den anderen hat sich wiederum erfüllt, was die Filme an bizarrer Faszination vorzeichnen: Brad aus Kustom Kar Kommandos ist kurz nach den Dreharbeiten in seinem auffrisierten Wagen verunglückt; und Bobby Beausoleil, der den Demon Brother spielte, geriet an Charles Manson und wurde zwei Jahre später wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. So tritt in wundersamer Überblendung die Realität wie Cocteaus Orpheus in eine Welt hinter den Spiegeln ein.

Den Zauber der Überblendungen, die Anger so meisterlich beherrscht, fängt eines der Icons ein, in dem man zweimal ein Auge durch ein überblendetes Goldfischglas blicken sieht. Wie sich die kreisrunde Iris in dem Glas mit dem Fisch wiederholt, scheint der Blick auf einmal magisch beseelt. Von dieser Art Poesie sind auch Angers Filme, in denen dieselben Vorlieben am Werk sind, die auch ‚Hollywood Babylon‘ auszeichnen: die Faszination für Licht und Feuer, Blut und Sperma. Sein Werk ist eine einzige Vertreibung aus dem Paradies, ein fortwährender Sündenfall. Es wimmelt darin von lasziven Teufeln und gefallenen Engeln, muskulösen Körpern und empfindsamen Seelen. Pop und Poesie begeben sich in den Dienst dunkler Mächte und düsterer Leidenschaften.

Die neun Filme sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Unter der Oberfläche liegen all die geplanten, abgebrochenen, gestohlenen und zerstörten Filme, die das versteckte Kino des Kenneth Anger bilden. Die Verfilmung von Die Geschichte der O. scheiterte etwa, als sich herausstellte, daß die Hauptdarstellerin Tochter eines Ministers ist und daß das Geld, das ihr Freund aufgetrieben hatte, aus der Entführung des Industriellensohns Eric Peugeot stammte. Ebenfalls verschollen ist der Film, den Anger über sein spiritistisches Idol Aleister Crowley in dessen Tempel im sizilianischen Cefalu gedreht hat, nachdem er ein halbes Jahr lang Crowleys Wandmalereien unter dem Kalk hervorgekratzt hat. Und die erste Version von Lucifer Rising hat besagter Bobby Beausoleil mitgehen lassen, als er aus Angers Leben verschwand. Das war Ende der Sechziger, als auch Mick Jagger und Jimmy Paige an seinen Soundtracks mitgearbeitet haben und Anger seine Filme wieder und wieder umgeschnitten hat.

Kenneth Angers Erzählwut, die sich begeistert in jeder Verzweigung des Geschehens verliert, macht es unmöglich, all die Zusammenhänge zu entwirren. Die letzte Volte besteht darin, daß aus einer Verfilmung von ‚Hollywood Babylon‘, für die der Produzent Ed Pressman eine Option erworben hatte, auch nichts wurde, weil Anger zwanzig statt der angebotenen zwei Millionen Dollar forderte. Am Ende bleibt der Eindruck, daß Film doch mehr ist als photomechanische Aufzeichnung von Bewegung, nämlich ein wahres Teufelszeug.

Und dann erhebt sich Kenneth Anger, dieser böse Geist, der das Kino umso heftiger liebt, je verkommener es ist, und geht in ein Konzert der Wiener Sängerknaben. Er liebe diese Stimmen: Näher könne man dem Himmel nicht kommen. Und wie er das sagt, könnte man leicht glauben, er sei der Satan höchstpersönlich. (‚Icons‘ ist bis Sonntag im Wiener Institut Français, Währinger Straße 32, zu sehen; der schöne Katalog dazu ist über PVS, Tel. 00431/407 24 97, zu beziehen.)
MICHAEL ALTHEN

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