31. Dezember 1998 | Süddeutsche Zeitung | Liste | Zwölf Filmkritiker über das Kinojahr 1998

Wenn die Erinnerung nicht trügt

Wo das Kino sich von seiner besten Seite zeigt: Zwölf Filmkritiker beschreiben die schönsten Szenen des Jahres 1998

Ob 1998 ein gutes oder schlechtes Kinojahr war, wird man erst später wissen. In jedem Fall war es gut genug, um wieder ein paar jener magischen Momente, die das Herz oder die Augen übergehen lassen, ins große Archiv unserer Erinnerungen aufzunehmen. Und weil die schönsten Augenblicke nicht unbedingt auch den schönsten Filmen entspringen, haben wir unsere Kritiker zusätzlich nach ihren drei Lieblingsfilmen des Jahres gefragt. Da stellt man dann doch ganz schnell fest, daß die Wahl auch in diesem Jahr wieder die reinste Qual ist.

Unscharfer Held

Zu viele Spekulanten haben aufs Werkzeug von Kriegern und Schlachtern gesetzt; sie haben Blut über die Leinwände fluten und Knochen in Stereo-Sound krachen lassen. Langfristig hat das Gemetzel dem Kino bloß die beklemmenderen Phantasien ausgetrieben – und mit ihnen die Magie des Schreckens. Woody Allens DECONSTRUCTING HARRY brachte ein Stück davon zurück. Der Titel versprach eh den puren Horror: die Zerlegung und Auflösung eines Menschen. Woody brauchte dafür nur einen kleinen, perfiden technischen Trick: In einer seiner Storys hatte der Autor Harry Block von einem Schauspieler erzählt, der von der Kamera einfach nicht mehr präzis zu erfassen war. Nicht das Objektiv war dafür verantwortlich, sondern das Subjekt. Der Mann selbst war einfach nicht mehr scharf. Dann holt das Motiv seinen Erfinder ein: vor einem gestochen scharfen Hintergrund verschwimmen Harrys Konturen; nur das Objekt in seiner Hand, ein Whiskyglas, läßt ein scharfes Bild zu. Das war der wahre Alptraum in diesem Kinojahr: sich aufzulösen, seine Konturen zu verlieren, die Ecken und Kanten, die Identität, nur um dann ganz zu verschwinden. Was sollen Kanonen, wenn die entscheidenden Ängste viel tiefer und viel näher sitzen?

H. G. Pflaum

HARRY AUSSER SICH von Woody Allen
NEUE FREIHEIT, KEINE JOBS von Herbert Achternbusch
BUTCHER BOY von Neil Jordan

Der verlorene Sohn

Vincent Gallo, Jahrgang 1962, aus Buffalo im US-Staat New York, war als Maler, Musiker und Darsteller bereits ein geborenes Multi-Talent, ehe er mit BUFFALO 66 auch noch sein Debüt als Spielfilmregisseur gab. Wenn er als entlassener Sträfling Billy Brown mit seiner vorgeblichen Angetrauten, in Wahrheit aber gekidnappten Wendy (Christina Ricci) bei seinen Eltern einkehrt, die von Anjelica Huston und Ben Gazzara verkörpert werden, stimmt an dieser Heimkehr des verlorenen Sohns nichts: Der Sohn, ungeliebt und unbeachtet, lügt den Eltern Heirat und Erfolg vor; die verstörte Mutter hört nicht hin und verfolgt stattdessen ein Video vom Jahrhundert-Match ihres Lieblings-Footballteams; der aggressive Vater macht der vermeintlichen Schwiegertochter unverblümte Anträge; und die falsche Gattin Wendy schmückt mit List und Lust die Lügen-Story von Billy, dem erfolgreichen Geheimagenten, aus. Nichts funktioniert in dieser desolaten Familie, aber Gallo hat die falsche Situatuion so wunderbar richtig im Griff, daß eine der traurig-komischsten Kinoszenen des vergangenen Jahres daraus entstanden ist.

Bodo Fründt

PALAST DES SCHWEIGENS von Moufida Tlati
THE BIG LEBOWSKI von Joel Coen
THE BOXER von Jim Sheridan

Mutters Rückkehr

Es ist die allerunwahrscheinlichste und die selbstverständlichste Sache der Welt. Ein Kind hat seine Mutter verloren; einen ganzen Film lang wartet und betet die kleine Ponette, daß ihre Mama endlich zurückkehrt. Und dann ist sie plötzlich da, sehr blaß, dunkelhaarig, sehr schön und auch sehr streng.

Breitbeinig steht sie über ihrem Kind, das mit seinem kleinen Gipsarm in ihrem Grab wühlt – und niemand fragt, ob das nun Einbildung ist oder Realität. Ein Kind hat seine Mutter wieder, und alles ist plötzlich gut. Fast hatten wir vergessen, wie das ist, so vollkommen getröstet zu sein. Aber die Mama kann nicht bleiben: „Mein Kopf ist aufs Lenkrad geknallt, und meine Brust am Lenkrad zersplittert”, sagt sie. Sie sagt noch andere ungeheuerliche Dinge, auch Lebensweisheiten, die sich ganz furchtbar anhören, wenn man sie geschrieben sieht. Marie Trintignant, die in Jacques Doillons Film PONETTE die Mutter spielt, und die kleine Victoire Thivisol aber lassen solche Ratschläge ganz natürlich aussehen. Klar, daß man von solchen Dingen spricht, wenn man gestorben ist und sein Kind ein letztes Mal sieht. Das Rätsel ihres Erscheinens wahrt die Mutter, das ist das Wunderbare an dieser Szene. Schöne und wahre Dinge enthalten immer auch ein Geheimnis.

Martina Knoben

DAS SÜSSE JENSEITS von Atom Egoyan
JACKIE BROWN von Quentin Tarantino
HERBSTGESCHICHTE von Eric Rohmer

Lücken und Löcher

Die schönsten Momente im Kino sind die, in denen alles möglich und doch nichts ausgesprochen ist: Zwei Menschen haben sich gefunden und können doch nicht zusammen bleiben, der Pferdeflüsterer aus dem weiten Land und die Magazinredakteurin aus der hektischen Metropole. Kristin Scott Thomas bittet Robert Redford, ein letztes Mal gemeinsam auszureiten, weil es beim Reiten war, als ihr hartes Stadtherz weich wurde. Doch während er sich mit ruhigen Handgriffen daran macht, die Pferde zu satteln, steigt sie ins Auto und fährt zurück in ihr altes Leben. Keine sentimentale Szene, keine Worte, kein Kuß, keine Umarmung, keine Tränen. Nichts als ein Auto, das sich auf einer gewundenen Straße langsam entfernt, und doch das ganze Glück der Liebe und der ganze Schmerz des Abschieds. Was wieder einmal beweist, daß die wahren Schatztruhen des Kinos jene Lücken und Löcher sind, die wir mit unseren Imaginationen füllen.

Anke Sterneborg

GATTACA von Andrew Niccol
ZUGVÖGEL…EINMAL NACH INARI von Peter Lichtefeld
SUE – EINE FRAU IN NEW YORK von Amos Kollek

Unter Freunden

Als ich ins Odeon-Kino fuhr um JACKIE BROWN zu sehen hatte ich extra die schwarzen Patrick Cox und eine Schimmerjacke angelegt; schließlich rechnete ich mit einem schußwechselreichen Blaxploitationfilm mit hartgekochten Bemerkungen im Straßenjargon der siebziger Jahre. Beim Reingehen dachte ich noch, daß Quentin Tarantino, den man allenthalben für vielleicht genial, aber doch insgesamt hoffnungslos juvenil hält, eine ziemlich erwachsene Art hat, vergessene Ikonen aus der Versenkung zu holen, die immerhin Jahrzehnte älter sind als er – Pam Grier beispielsweise. Eine Frau mit Vergangenheit, 50 Jahre alt, die umwerfend schön und ganz schön allein ist, es aber faustdick hinter den Ohren hat – aber wiederum nicht so faustdick, wie sich das ein Teenager zusammenfantern würde. In den richtigen Momenten hat sie Angst und benötigt einen guten Freund. Der große Moment war eindeutig der, in dem sie merkt, daß sie einen gefunden hat: Eines Morgens sitzt sie mit dem Bewährungshelfer im Bademantel bei einer Tasse Kaffee. Sie haben beide ziemlich häßliche Seiten des Lebens zu spüren bekommen und sich eine steife Oberlippe dafür zugelegt. Es tut ihrer Würde dann aber keinen Abbruch, über die traurige Deformation der Figur in reiferen Jahren zu reden. Dabei wird keiner von ihnen frivol oder kokett, und er tröstet sie auch nicht mit albernen Komplimenten. Unter Freunden macht man so was eben nicht. Daß sie dann doch kein Paar werden, daß der Film trotzdem auch echtes, schönes Genrekino ist und daß sie am Schluß zu „Across 110th Street” durch die Straßen fährt – das war eben wirklich groß.

Mariam Lau

JACKIE BROWN von Quentin Tarantino
DER SOLDAT JAMES RYAN von Steven Spielberg
DIE UNSICHTBARE FALLE von David Mamet

Nackte Küsse

Überwältigend war natürlich, beim ersten, aber genauso bei allen weiteren Malen, die Liebeserklärung an die Stadt Paris – die Stimme von Josephine Baker aus dem Mund des deutschen SS-Generals von Choltitz – mit der Alain Resnais seinen neuen Film intonierte.

Ja, man kennt das Lied, das es im Kino zu vernehmen gilt, im amerikanischen zumal, die Sekunden, da das Vertraute fremd klingen muß und die Menschen nicht mehr bei sich scheinen, die auf der Leinwand und die im Kinosaal, in Filmen wie TWILIGHT und OUT OF SIGHT, THE GINGERBREAD MAN und JACKIE BROWN.

Momente eines neuen, eines noch nicht erklärbaren Zusammenhangs von Kommunikation und Gemeinschaft, die umso intensiver sind, je weniger sie kalkuliert sind. Unglaublich, berührend also, wenn in A PERFECT MURDER Gwyneth Paltrow, von den Männern gehetzt, die sie zu lieben meinte, Zuflucht sucht in der Vergangenheit, im Haus ihrer Mutter – und wir sie plötzlich an der Seite sehen von Constance Towers. Towers, die rebellische Südstaatenlady Hannah in HORSE SOLDIERS, die ehrbare Dirne in NAKED KISS. Towers, die Ford so sehr geliebt hat, wie es ihm mit einer Frau, einer Schauspielerin eben möglich war – man merkt es an der Art, wie er von ihr erzählt –, eine Liebe, die sehr viel anders ist als die von Hitchcock zu Kelly oder von Hawks zu Bacall.

Towers, die in all den Jahren nach diesen Filmen immer nur auf der Bühne, in TV-Serien zu sehen war. Towers, eine Frau, die Filmgeschichte verkörpert und mit ihrem Erscheinen nun das Verfließen der Zeit bezeugt und zugleich ein wenig aufzuhalten scheint.

Constance Towers, ja, für ein paar Augenblicke ist Gwyneth Paltrow heimgekehrt, und wir sind mit ihr in Geborgenheit.

Fritz Göttler

DAS LEBEN IST EIN CHANSON von Alain Resnais
SNAKE EYES von Brian de Palma
LIFE FLESH! von Pedro Almodóvar

Der Soundtrack der Imagination

Immer wieder vergessen wir, daß das Kino vor allem von den unsichtbaren Dingen handelt – gut, daß uns Quentin Tarantino in diesem Frühjahr mal wieder daran erinnert hat: Da kam die Platte mit dem Soundtrack zu JACKIE BROWN heraus, lange vor dem Film: Schöner, lässiger Soul, den man nur einmal hören mußte, um ihn schon immer gekannt und geliebt zu haben. Und nach dem dritten Hören fing man an, sich den Film zum Soundtrack vorzustellen, was nur noch reizvoller wurde durch den Umstand, daß Tarantino zwischen den Songs wieder ein paar wundervoll absurde Dialoge untergebracht hatte („Who’s that?” – „That’s Beaumont. ” – „Who’s Beaumont?”). Der imaginierte Film war sehr schnell, sehr komisch und ein wenig zynisch – und vielleicht war es der schönste Moment, als der Film dann da war und schnell klar war, daß JACKIE BROWN eher langsam, manchmal komisch und überhaupt nicht zynisch ist.

Claudius Seidl

JACKIE BROWN von Quentin Tarantino
DIE TRUMAN SHOW von Peter Weir
BOOGIE NIGHTS von Paul Thomas Anderson

Die Musik der Gewalt

In BOOGIE NIGHTS, der das amerikanische Pornogeschäft der Siebziger vor Aufkommen des Videorecorders als bizarres Paradies voller Freiheit und Unschuld zeichnet, gibt es eine Figur namens Roller Girl (Heather Graham). Sie taucht immer nur am Rande auf und beeindruckt durch den Gleichmut, mit dem sie sich jederzeit auszieht und dabei stets ihre Rollschuhe anbehält. Am Ende der Geschichte von Aufstieg und Fall eines Pornostars kommt der Produzent (Burt Reynolds) auf die Idee, im Fond seiner Limousine ein Live-Video mit Roller Girl zu drehen. Sie bitten also jemanden von der Straße in den Wagen, der jedoch unglücklicherweise Roller Girl erkennt, weil er mit ihr auf die Schule gegangen ist. Und das Mädchen, das bis dahin alles nahezu teilnahmslos über sich hat ergehen lassen, dreht durch und tritt dem junge Mann, als er unsanft wieder auf die Straße befördert worden ist, mit ihren Rollschuhen ins Gesicht, immer wieder und wieder. Als habe die Tatsache, daß jemand ihre Identität lüftet, die Vertreibung aus ihrem seltsamen Porno-Paradies besiegelt. Und Regisseur Paul Thomas Anderson unterschneidet diese Explosion der Gewalt mit anderen Szenen, in denen das Unheils in einer Art Blutrausch eskaliert – eigenartig schauderhaft und bewegend ist das.

Vielleicht sollte man Angela Shannelecs zu Unrecht geschmähten einzigen deutschen Beitrag in Cannes dagegenstellen, einen Film mit dem schönen Titel PLÄTZE IN STÄDTEN, wo zwei Mädchen am Beckenrand eines Hallenbades zur Musik von Joni Mitchells „California” in Badeanzügen tanzen, deren fröhliche Farben in krassem Kontrast zu der regnerischen Tristesse vor den großen Fenstern stehen – und die Kamera blickt ihnen in voller Länge zu, als handle es sich um ein seltsames Ritual, mit dem die Leiden der Pubertät ausgetrieben werden sollen. Zwischen den beiden Szenen liegt alles, was Kino ausmacht: Gewalt und Zärtlichkeit, Musik und Schweigen, die Freuden der Jugend und das Drama des Alterns.

Michael Althen

JACKIE BROWN von Quentin Tarantino
LOLA RENNT von Tom Tykwer
GEHEIMSACHE von Jacques Rivette

Besame mucho

Zweifellos, der unterschätzteste Film dieses Jahres ist Alfonso Cuaróns lyrische Dickens-Adaption GREAT EXPECTATIONS, neben Baz Luhrmans ROMEO UND JULIA eine der wenigen gelungenen, mitreißenden Literaturverfilmungen der Neunziger. Cuarón läßt den Klassiker nicht nur in den USA spielen, er gibt ihm einen wunderbaren lateinamerikanischen Touch, der zwischen Lebensfreude und Melancholie oszilliert. Diese geheimnisvolle Atmosphäre findet ihren Ausdruck im wieder entdeckten Schlager „Besame mucho”, der den Film durchzieht. Der vielleicht schönste Moment in diesem Film magischer Momente ist die Wiederbegegnung des jungen Finn (Ethan Hawke) mit seinem Ziehvater Joe, gespielt von Chris Cooper, dem verwitterten Amerikaner. Finn hat es in New York fast geschafft als Kunstmaler. Bei seiner ersten Vernissage taucht der gute alte Joe auf, angereist aus der Vergangenheit Floridas, deplaziert in der schicken Kunstszene – und Finn schämt sich fast für ihn. Als Joe das merkt, verabschiedet er sich von seinem Jungen und geht, begleitet allein von Patrick Doyles zu Herzen gehender Musik. Finn weiß, daß er das Paradies der Jugend verloren hat und daß er dabei ist, seine Seele zu verlieren im Business der Kunst.

Hans Schifferle

LIFE FLESH! von Pedro Almodóvar
PERDITA DURANGO von Alex de la Iglesia
TIGERSTREIFENBABY WARTET AUF TARZAN von Rudolf Thome

Keine Liebesträume

Vielleicht wird man die beiden schon deshalb nicht mehr los, weil man sie sich im wirklichen Leben am besten vom Leibe halten sollte. Die eine würde in jedem Café die Blicke auf sich ziehen, so häßlich und so überraschend schön und dann wieder so häßlich sieht sie aus. Ein Gesicht, oben schmal, unten breit, mit großen Augen und einem üppigen Mund – und einer ungesunden, für sich selbst und für andere bedrohlichen Verletzlichkeit. Das war Anna Thomson in Amos Kolleks SUE – EINE FRAU IN NEW YORK.

Die andere würde in ihrem stumpfen Dasein niemand wahrnehmen, wenn sie auf der Leinwand nicht zur unerbittlich gleichgültigen Sexarbeiterin mutieren würde: ein pummeliger Strickpullover-Engel, der Männer die Lust an der Selbstzerstörung lehrt. Das war Sophie Guillemin in Cédric Kahns Moravia-Adaption L’ENNUI. Eine Frau und ein Mädchen, zwei rätselhafte Figuren. Liebesträume sehen eigentlich anders aus.

Gregor Dotzauer

DIE TRUMAN SHOW von Peter Weir
LIEBE DAS LEBEN von Erick Zonca
DIEU SEUL ME VOIT von Bruno Podalydès (Warum diese Komödie nur noch keinen deutschen Verleih gefunden hat?)

Die zweite Chance

Wenn Pam Grier in Quentin Tarantinos JACKIE BROWN in der Umkleide einer Boutique den Taschentausch erledigt und sich dabei ein völlig neues Outfit zulegt, ist das schon ein schöner Moment. Zu einem großartigen Augenblick wird das Ganze erst, wenn Tarantino einfach das Raum-Zeit-Kontinuum über den Haufen wirft und die Nummer aus einer anderen Perspektive nochmal durchzieht – und dann, ganz selbstverständlich, noch eine dritte Variante drauflegt. Das macht deswegen solchen Spaß, weil so was nur das Kino kann: Das Leben gibt einem selten eine zweite Chance, und an mehreren Orten zugleich sein kann man wirklich nur im Film.

Susan VAHABZADEH

DIE TRUMAN SHOW von Peter Weir
JACKIE BROWN von Quentin Tarantino
OUT OF SIGHT von Steven Soderbergh

Das Mädchen und der Präsident

Es ist kein Moment, der Filmgeschichte schreiben wird, dafür ist er viel zu flüchtig – aber wenn es darum geht, den flüchtigen Wahnsinn des Jahres 98 auf den Punkt zu bringen, gibt es sicherlich keinen besseren. Es war dieser nachgestellte Fernsehbericht in WAG THE DOG, wo der US-Präsident ein Firefly Girl vernascht hat, und im Hintergrund ein Photo eingeblendet wird, das die Berlinale-Zuschauer zum Johlen brachte. Es war das Bild von Clinton und Lewinsky mit Barett, berühmt von tausenden Magazincovern, clever plaziert von Barry Levinson – nur gab es da einen Haken: Der Film war schon längst in den amerikanischen Kinos, bevor die Welt von der Affäre erfahren hat, er wurde nachträglich auch nicht verändert – und die Filmemacher schwören bis heute, daß Lewinsky gar nicht zu sehen ist, sondern nur ein zufällig sehr ähnliches Mädchen. Ein schöner Fall der Kunst also, die dem Leben vorauseilt – bis hin zu den Bomben, die heute auf Bagdad fallen, während die Impeachment-Prozeduren weitergehen.

Tobias Kniebe

HANA-BI von Takeshi Kitano
DIE TRUMAN SHOW von Peter Weir
OUT OF SIGHT von Steven Soderbergh

DER UNTERGEHER: James Cameron hat die Zukunft zweier Studios und sein eigenes Vermögen aufs Spiel gesetzt, hat alles riskiert – und alles gewonnen. TITANIC wurde ein Film für die Rekordbücher: Keiner war teurer, keiner erfolgreicher. 600 Millionen Dollar in den USA eingespielt, weltweit das Dreifache. Für Deutschland bedeutete das 18 Millionen Zuschauer. Hollywood hat den Film mit elf Oscars dekoriert, und sein Regisseur fühlte sich hinterher als „King of the World”.

IN DEN SPIEGELN, hat Jean Cocteau gesagt, könne man dem Tod bei der Arbeit zusehen. Wie man sich das bildlich vorzustellen hat, führte er in ORPHÉE vor, in dem Jean Marais durch die Spiegel das Reich des Todes betritt. Am 8. November ist er nun selbst ins gläserne Jenseits getreten. An seiner Seite Frank Sinatra, Akira Kurosawa, Will Tremper, Edwige Feuillère und Roy Rogers.

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