06. Februar 1992 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Nicola Lubitsch-Goodpaster

Im Bett mit Ernst Lubitsch

Nicola Lubitsch-Goodpaster zu Gast im Filmmuseum

Als der Vater starb, war sie neun Jahre alt. Jetzt ist Nicola Lubitsch-Goodpaster 55 und sieht zusammen mit ihrer Tochter Amanda im Filmmuseum viele Filme ihres Vaters zum erstenmal. Ihr Gastgeber, Enno Patalas, erinnert sich an seine erste Begegnung mit den beiden in Los Angeles, wo Amanda bei einer Vorführung von Schuhpalast Pinkus als einzige im Saal laut gelacht hat, weil sie sich so über ihren Großvater amüsierte. Die Mutter hingegen sieht die Begegnungen mit ihrem Vater auf der Leinwand eher mit gemischten Gefühlen: Seine teuflischen Grimassen in DR. SATANSOHN, sagt sie, hätten sie eher befremdet. Daß es nicht leicht ist, die Gefühle heute mit den Bildern von einst zusammenzubringen, sieht man ihrem Sprechen an: Mit zögerlichen Gesten versucht sie, ihre Ratlosigkeit zu überwinden, Brücken zu schlagen in die Vergangenheit. Aber je länger sie über ihren Vater spricht, desto lebendiger werden die Erinnerungen des kleinen Mädchens Nicola.

Was sie verloren hat durch den frühen Tod des Vaters, wird besonders deutlich, wenn sie erzählt, wie sie mit ihm sonntags am Morgen im Bett lag und er sie über die Mutter ausfragte. Da waren Ernst und Sania Lubitsch bereits geschieden, und Nicola war eine Hälfte des Jahres beim Vater in Hollywood, die andere bei der Mutter in New York. Die Eltern hatten sich bei einer Party kennengelernt, aber Sania hatte Ernsts Interesse anfangs nicht erwidert. Erst als ihre Arbeit als literarische Agentin zu einer zweiten Begegnung führte, sei man sich nähergekommen. Die Tochter sagt, ihre Mutter sei in jeder Hinsicht sehr englisch gewesen, habe sich eher nüchtern gekleidet. Trotzdem war ihr Vater nach der Heirat überrascht, in der Garderobe seiner Frau weder Pelze noch Spitzen zu finden. Vielleicht sei er sogar ein bißchen enttäuscht gewesen.

Dabei war Lubitsch selbst an Luxus überhaupt nicht interessiert. Sein Desinteresse an Besitz sei so weit gegangen, daß er seine Sekretäre beauftragte, sein Haus zu möblieren. Sogar den Kauf der Bücher überließ er anderen. Denn er selbst, behauptet Nicola, habe nie Bücher gelesen. Vielleicht, denkt man sich da, hat er deshalb das Kino so radikal von den alten Künsten weiterentwickeln können. Von ein paar Bildern abgesehen, habe der Vater lediglich an seinem Klavier gehangen. Das sei der einzige Ort gewesen, an dem er sich von seiner Arbeit wirklich habe entspannen können: ‚Nicht einmal, wenn Leute wie Rubinstein oder Horovitz zu Gast waren, war er davon abzubringen, darauf zu spielen.‘ Das sei eben seine extrovertierte Natur gewesen, meint die Tochter, die andererseits den Vater als einsamen Mann bezeichnet, der sein ganzes Leben seiner Arbeit gewidmet habe. Und wenn er schlechte Kritiken bekommen hat, dann sei er vor Gram in sein Schlafzimmer gegangen, wo er sich in der Dunkelheit aufs Bett legte und stundenlang stöhnte. Nicht einmal zum Essen sei er herausgekommen.

Da erkennt sich Nicola Lubitsch in ihrem Vater wieder: im Drang zur Perfektion, im Wissen, was richtig ist und was nicht. Ihr Freund Gottfried Reinhardt hat ihr erzählt, daß ihr Vater, wenn man mit dem Drehbuch nicht weiterkam, ins Badezimmer gegangen und erst wieder herausgekommen sei, wenn er eine Lösung gefunden hatte. Man merkt, wie Nicola im Fremden das Vertraute sucht, wie sie Verbindungen sucht zwischen dem, was sie sieht, was sie hört und was sie weiß. Natürlich hatte das kleine Mädchen kein Verhältnis zur Arbeit des Vaters: ‚Zumal er mit Leuten wie Charles Boyer arbeitete, die nicht so bekannt waren. LASSIE wäre etwas anderes gewesen.‘ Aber daran, wie Peter Lawford von den Stufen seines Wohnwagens herab einen Salto machte und vor den Füßen von Jennifer Jones landete, daran kann sie sich noch erinnern. Und daß sie Betty Grable, die Frau im Hermelin, furchtbar fand. Woraufhin der Vater ihrer Mutter schrieb, wie er wohl arbeiten können sollte, wenn sogar seine Tochter seine Arbeit in Frage stelle. Aber das sind schon Erinnerungen aus zweiter Hand. Wie die Kinobesuche. Dabei kann es allerdings passieren, daß Marlene Dietrichs Vortrag in ANGEL ihr das Bild des Vaters vor Augen ruft, der am Klavier sitzt und ihr zu improvisierter Musik Geschichten erzählt. Ja, sagt Nicola, sie sei schon sehr stolz auf ihren Vater.

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