10. Juni 1992 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Rainer Werner Fassbinder

Ein Stadtstreicher im Reich der Träume

Wir wollen doch nur, daß er uns liebt: Rainer Werner Fassbinder und seine Beziehung zu München

„Ich habe ihn nur dreimal gesehen“, heißt es bei Achternbuschs DER DEPP, „zuletzt auf dem Viktualienmarkt, in den er in schneller Fahrt hineinging, als müßte er gesehen und gleichzeitig vergessen werden“. Gesehen und vergessen, das ist die Geschichte von München und Fassbinder. Er hat dieser Stadt kein Gesicht gegeben, wie das andere Genies mit ihren Städten im Kino gemacht haben, wie Truffaut oder Antonini oder Woody Allen. Aber sein Gesicht ist eine Maske, die sich München begeistert aufzieht. Da leuchtet es wieder.

Vom „bewußten Leben in der Großstadt, einem ganz besonderen Wachsein für alles, was das eigentlich ist“: „In der Stadt leben“ hat Fassbinder geschrieben und Döblins Berlin gemeint: „Leben in der Großstadt, das bedeutet ständigen Wechsel in der Aufmerksamkeit für Töne, Bilder, Bewegungen.“ Das hat er über München nicht schreiben können, aber vielleicht hat er versucht, es zu leben. Als wäre es eine Großstadt und kein Dorf. München will doch nur, daß er es liebt.

In München wird gefeiert. In Berlin wird auch gefeiert. Alle wollen ihn haben. Und keiner hat ihn wirklich. Liebe ist immer noch kälter als der Tod. Zum Mythos gehören mehr die Titel als die Filme, mehr Klatsch als Kino. Diese Verworfenheit, diese Häßlichkeit, diese Obszönität, in die ist man ganz vernarrrt, besonders seit er tot ist. Das ist das Bild vom Sündenpfuhl, der München nicht ist, aber den es gern spielt.

Vielleicht ist es bezeichnend, daß die längste Münchner Einstellung gar nicht von ihm selbst stammt. In LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD fährt die Kamera minutenlang die Landsberger Straße entlang, nimmt die vereinzelt stehenden Nutten auf, die nächtliche Tristesse hinter den Gleisen. Die Fahrt ist eine nicht verwendete Einstellung seines Kollegen Jean-Marie Straub. Überhaupt ist München in Fassbinders Filmen ein Zitat, zusammengesetzt aus anderen Kinostädten bei Godard und Melville. München spielt Paris, München spielt Chicago: Ein Showdown am Hauptbahnhof in DER AMERIKANISCHE SOLDAT ein Stehcafé im Stachus-Tiefgeschoß in ICH WILL DOCH NUR, DAS IHR MICH LIEBT; das Postscheckamt im SATANSBRATEN. Es gibt da eine sanfte Trauer, daß München so ist, wie es ist, eine mitleidige Zärtlichkeit fast.

Der Bub aus Bad Wörrishofen, der in der Stielerstraße 7 hinterm Goetheplatz groß wurde, ist vergessen. Was das Bild prägt, ist das Action-Theater in der Müllerstraße 12, sind der Kleine Bungalow, die Witwe Bolte, das Casanova, die Tangente, die Deutsche Eiche und wie die Kneipen alle hießen, in denen Fassbinder Hof hielt und wo er FLIPPER spielte, denn da war laut Harry Baer „Rainer nun wirklich der King“. Wie es sich für einen Jungen aus der Vorstadt auch gehört.

Derselbe Harry Baer schrieb auch darüber, wie sich Fassbinder in Paris bewegte, „wie der introvertiert muffige Rainer sich hier weltmännisch und ganz ungewohnt charmant vom Rhythmus der Stadt treiben läßt“. Vielleicht fühlte er sich auf den Champs-Elysées wohler als auf der Lindwurmstraße, vielleicht war er da dem Kino und dem Reich seiner Träume näher. Sein erster Film hieß DER STADTSTREICHER und erzählt von den herbstlichen Münchner Straßen, aber mehr noch von der Vergeblichkeit, in München einen Film zu machen wie Rohmers IM ZEICHEN DES LÖWEN, wo sich einer durchs sommerliche Paris treiben läßt.
Nochmal Achternbusch: „In einem Schaukasten des Türkendolch sind keine Aushängephotos, kein Plakat. Ein kleines Illustriertenphoto von Fassbinder. Und eine lange Rose aus einem Joghurtglas neigt sich zu diesem Photo, auf dem Fassbinder mit einem Finger auf seine Nase weist.“ Das Kino ist immer eine Heimat. Und ein Stein auf dem Bogenhauser Friedhof ohne Todesdatum. Aber eine Rainer-Werner-Fassbinder-Straße gibt es nicht.

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