17. Juni 1999 | Süddeutsche Zeitung | Interview | Cédric Kahn

Die Unsagbarkeit der Frauen

Interview mit Cédric Kahn über seine unscheinbare Heldin

SZ: In der ersten Verfilmung von 1963 spielte eine schöne Frau die Hauptrolle – jetzt ein unscheinbares Mädchen. Haben Sie Damianos Verfilmung gesehen?
Kahn: Nein. Das ist vielleicht auch ganz gut so. Denn wenn er gut ist, hätte ich meinen Film nicht mehr machen müssen. Und wenn er schlecht ist, hätte ich Angst, dieselben Fehler zu machen. Er soll aber schlecht sein.
Was hat Sie an dem Buch so fasziniert?
Moravia spricht darin vom Unsagbaren, von dem, was man nicht erklären kann und was Worte nicht bennen können. Deshalb ist LA NOIA ein idealer Stoff fürs Kino. Die Hauptschwierigkeit dabei war, daß das Mädchen eine sehr stark phantasmagorische Figur ist. Wenn man sich also ein Bild von ihr macht, dann schwächt das erstmal diese Figur. Deshalb mußte ich ein Mädchen finden, das genauso mysteriös, rätselhaft und undurchdringlich ist wie die Romanfigur. Die meisten Schauspielerinnen haben die Tendenz, die Geschichte auf einen Aspekt zu reduzieren – sie sind zu hart, zu fröhlich, zu hübsch. Sophie Guillemin hingegen ist Kind und Frau, hübsch und auch wieder nicht, mysteriös und sehr schlicht zugleich. Damit hat sie den Film bereichert, dessen Geschichte ja sehr einfach, dessen Thema hingegen sehr umfassend ist.
Und worin liegt ihr Reiz?
Ich wollte, daß sich der Zuschauer dieselben Fragen stellt wie der Romanheld. Was zieht ihn an diesem Mädchen an? Der Tod des alten Malers scheint anfangs gar nicht zu ihr zu passen. Der Film soll uns dazu bringen, den Maler zu verstehen. Natürlich habe ich gezögert, ob das Publikum ihr das abnimmt, habe gedacht, das Publikum ist an so ein Gesicht im Kino nicht gewöhnt und wird sie vielleicht ablehnen. Aber ich habe darauf vertraut, daß es den Leuten geht wie mir: daß die Spannung immer weiter steigt.
Sind Sie denn hinter ihr Geheimnis gekommen?
Je mehr man versucht, sie zu verstehen, desto weniger versteht man – das ist der Sog des Films. Er verfällt ihr körperlich wie einer Droge. Andererseits stellt sich durchaus die Frage: Ist vielleicht nur er es, der sie zu dem macht, was sie ist – langweilig, ausdruckslos und geistesabwesend – oder ist sie wirklich so? Vielleicht ist sie ja ohne ihn ein fröhliches Mädchen.
Hatten Sie als Regisseur denn Angst vor den Sexszenen?
Eigentlich bin ich schamhaft. Aber ich habe gern etwas Angst, wenn ich einen Film mache. Der einzige Weg, die Angst zu überwinden, ist: es einfach zu machen.

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