04. August 1997 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Picasso in München

Wie der Bäcker seine Brezen backt

So schön kann Langeweile im Kino sein: Herbert Achternbusch als Film-PICASSO in München

Sehen wir der Sache ins Gesicht: Kunst ist mitunter langweilig. Die mittelmäßige Kunst sowieso, aber auch die große Kunst. Überall kann einen die Langeweile da befallen: im Museum, im Theater, vor einem Buch oder im Kino. Der Kenner verhält sich dann wie in der Kirche: Liturgisch verfällt er in Andacht und träumt sich hinaus, hinweg, hinfort. So schön kann Langeweile sein.

PICASSO IN MÜNCHEN, der als Film des Monats jeden Montag im Filmmuseum und auch sonst im Kino läuft, ist wie mancher andere Achternbuschfilm nicht nur, aber auch langweilig. Diese ständige Laienschauspielerei, die ihre Worte ausstellt wie der Bäcker seine Brezen, kommt immer wieder an den Punkt, wo sie nur noch ermüdet. Gebetsmühlenhaft drehen sich die Schauspieler die Worte im Munde um, bis ihnen der letzte Sinn ausgetrieben ist. Natürlich liegt darin auch der Witz, weil Achternbusch damit der Welt eine lange Nase dreht und dem Kino die Zunge rausstreckt. Aber manchmal kann es schon ganz schön langweilig sein, wenn die Filme eines Autoren mit dem immergleichen Reflex auf die Wirklichkeit reagieren.

Achternbusch spielt also Picasso, der in München die gelbe Periode nachholt, die er vor seinem Tod vergessen hatte. Der Bayerische Rundfunk ist begeistert und fragt an, ob man die Auferstehung nachstellen könne. Picasso will hingegen vor allem mit den Frauen ins Bett – daran hat sich seit seinem Tod nichts geändert. Ein dunkles Gesetz will es jedoch, daß er dabei ausgerechnet an seine Tochter gerät. Und weil die beiden nichts von einander wissen, bahnt sich eine griechische Tragödie an.

Achternbusch ist als Picasso nicht weniger glaubwürdig als Anthony Hopkins, der zuletzt das gestreifte Leibchen übergezogen hat. Er ist auch der einzige, dem die eigenen Worte nicht wie Pilze im Mund zerfallen. Im Grunde ist es wie bei Woody Allen: Man wartet immer darauf, daß er selbst ins Bild kommt. Denn dann wird es geistreich und lustig. So viel Identifikation muß sein im Kino.

Natürlich geht es immer wieder um die Frage, wieviel Kunst im Leben steckt und wieviel Leben in der Kunst. Und vor allem: Was macht die Kunst zur Kunst? Der Rahmen, der Name, der Geist? Der Künstler Achternbusch findet reichlich Gelegenheit, seine grandiosen Gemälde ins Bild zu rücken, und wer über die Größe dieser Unternehmung im Zweifel ist, muß sich nur mal fragen, was eindrucksvoller ist: Wenn Anthony Hopkins vor Picasso-Bildern herumläuft, die man nicht zu Gesicht bekommt, weil die Produktion die Rechte nicht erwerben konnte – oder wenn Achternbusch eigene Bilder malt, die er als Picassos ausgibt? Was ist da Kunst – und was ist Fälschung?

Ob als Picasso oder Mumie oder Jesus, Achternbusch bleibt immer ein Cowboy. Wie jeder echte Westerner erobert er mit jedem Film ein neues Stück Land in seiner Heimatstadt München. Und wer am Ende aller Tage etwas über diese Stadt erfahren will, wird um seine Filme nicht herumkommen. Die Topographie, die er entwirft, ist eine des Herzens. Und den selbstbewußten Umgang mit den Orten hat er den klassischen Filmen abgeschaut, für die sein Herz schlägt.
Picasso ist also nach München gekommen, um endlich mal was Konkretes zu malen: einen Leberkäs zum Beispiel. Und man fragt sich, wie konkret eigentlich Achternbuschs Filme sind. Das Leben, so wie es ist, schaut bei ihm durch alle Ritzen – dennoch hat man stets den Eindruck, das alles sei irgendwie abstrakt. Vielleicht ist genau das der Grat der Kunst.

Wenn es Achternbusch und seine Filme nicht gäbe, man wüßte nicht, was man in München noch verloren hätte. Ohne ihn wäre diese Stadt echt langweilig.

PICASSO IN MÜNCHEN, BRD 1997 – Buch und Regie: Herbert Achternbusch. Kamera: Henry Hauck. Ausstattung: Simone Nickl. Schnitt: Micki Joanni. Darsteller: Achternbusch, Doris Jung, Josef Bierbichler, Barbara Gass, Frank Baumgartner. Verleih: FPV. 100 Minuten.

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