17. November 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Nichts bereuen

Wunderbares Wuppertal

Das deutsche Kino hat Nachholbedarf: Benjamin Quabecks schöner Film NICHTS BEREUEN

Was ist nur los mit Wuppertal, daß ausgerechnet dort einige der schönsten deutschen Filme spielen? Von all den Städten, in denen Wenders‘ Alice unterwegs war, hat sich die Schwebebahnfahrt in Wuppertal am tiefsten eingeprägt. Tom Tykwer wiederum entdeckte dort seinen Krieger und seine Kaiserin und ließ die Kamera auf eine Weise über das Tal der Wupper schweben, daß einem die Augen übergingen. Und Benjamin Quabeck findet nun in Wuppertal ganz selbstverständlich jene Bilder, mit denen andere Filme aus Großstädten sonst vergeblich um Interesse buhlen. Und am Schluß fährt der Held auch noch mit der Schwebebahn bis zur Endstation, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Zurück zum Anfang: NICHTS BEREUEN beginnt in einem Parkhaus. Mit dem Auto die Decks rauf und runter. Das spricht für den Film, denn das deutsche Kino kann interessante Schauplätze immer gebrauchen. Dann sieht man ein Pärchen, das dort vor einem kleinen Lagerfeuer auf einer ausrangierten Autobank Sex hat. Daß der Held kurze Zeit später uns buchstäblich ins Gesicht sagt, es habe sich bei der Szene nur um einen Wunschtraum gehandelt, ändert nichts daran, daß sie an dieser Stelle des Films unpassend und präpotent wirkt. Andererseits bleibt das der einzige falsche Ton in dieser Geschichte eines Jungen, der gerade Abitur gemacht hat und seit vier Jahren erfolglos in das gleiche Mädchen verliebt ist.

Ehe er seinen Zivildienst antritt, fährt er mit Freunden zum Wellenreiten nach Portugal, und im Auto fällt der Satz „Geht’s noch?“ Und in dem Moment hat man den Eindruck, daß dieser Ausdruck, der eigentlich gar nichts Besonderes bezeichnet und nur so dahingesagt ist, im deutschen Kino noch nie gefallen ist, und daß eine Errungenschaft dieses Erstlings, der auf dem Münchner Filmfest völlig zu Recht mit dem Hypo-Preis ausgezeichnet wurde, womöglich genau darin liegt, daß er Worte, einen Ton, einen Slang findet, um die das deutsche Kino seit Jahren ringt. Es gibt auch noch eine Menge anderer Sätze, die man als flotte Sprüche abtun könnte, wenn die Geschichte mit weniger Überzeugungskraft vorgetragen würde. Aber so wie die Dinge im Überschwang vergeblicher Liebe liegen, kann der Film gar nichts falsch machen.

Erst sieht es so aus, als kenne Regisseur Benjamin Quabeck keine drängenderen Fragen als jene, was eigentlich aus den Jungs wird, wenn aus Mädchen Frauen werden. In Amerika nennt man dieses Genre „Coming of age“, bei uns hat man nie ein rechtes Wort dafür gefunden. Erst gab es die Halbstarken, dann die Verwirrungen des Zöglings Törleß, und seit einiger Zeit beschäftigt sich das deutsche Kino wieder verstärkt mit jenem heiklen Alter, in dem die Zukunft vor lauter Abschieden für einen ewigen Moment auf sich warten zu lassen scheint. Es gab CRAZY und PAUL IS DEAD und VERGISS AMERIKA – und nun auch NICHTS BEREUEN und seinen Regisseur Quabeck, mit dem man wird rechnen müssen, wenn er jenseits der eigenen Erwachsenwerdung noch andere Themen findet.

Man merkt daran vor allem, daß es im deutschen Kino einen gewaltigen Nachholbedarf gibt, eine Tendenz, sich filmisch der eigenen Jugend zu versichern, die man allzulange dem amerikanischen Kino überlassen hatte. Es war ja geradezu so, daß man angesichts von Filmen wie AMERICAN GFRAFFITI oder DINER nostalgische Gefühle gegenüber einer Zeit entwickelt hat, die man so nie erlebt hatte. Das amerikanische Kino hat uns vorgeschrieben, wie wir uns an die Jahre als Teenager zu erinnern haben, und wir haben das nur allzu bereitwillig geglaubt, weil es im deutschen Kino keine anderen Vorbilder gab. Das ist mittlerweile anders, und bevor man jammert, daß das ein paar Jahrzehnte zu spät kommt, sollte man sich vergegenwärtigen, daß mit diesen Filmen Leute aufwachsen, die sich darin aufgehoben fühlen. Womöglich ist das eine einmalige Chance für das deutsche Kino, endlich erwachsen zu werden.

Natürlich ist das amerikanische Kino mittlerweile auch schon wieder weiter. Wenn man sieht, wie Quabeck dem Weg einer aus dem Autofenster geschnippten Zigarettenkippe in Zeitlupe folgt, dann muß man zwangsläufig daran denken, wie in AMERICAN BEAUTY der Tanz einer Plastiktüte im Wind gefeiert wurde. Daß also das, was einst Domäne des Kunstkinos war – das Alleralltäglichste in Poesie zu verwandeln -, längst auch schon im Mainstream angekommen ist. Aber das nimmt Quabecks Kippenflug vielleicht etwas von seiner Schönheit, es ändert jedoch nichts daran, daß der Debütant sich wenigstens die richtigen Vorbilder gesucht hat. Manches erinnert an L’EAU FROIDE von Assayas, anderes an DIE REIFEPRÜFUNG, und wenn die Zitate auch nicht bewußt gewählt wurden, so sind sie doch ein Beleg dafür, daß all das schon mal dagewesen ist. Aber eben nicht bei uns.

Man könnte davon reden, wie der Hauptdarsteller Daniel Brühl sichtlich an der Rolle wächst, wie Jessica Schwarz erstaunlichen Zauber entwickelt und Marie-Lou Sellem die wahre Herausforderung ist, aber das sind vielleicht nur Selbstverständlichkeiten für Filme über ein Alter, in dem das Leben immer eine Nummer zu groß oder zu klein wirkt und seine Darsteller nie ganz bei sich sind. Unbeholfenheit gehört dabei zum guten Ton, schließlich geht es ums Ganze, um eine Zukunft, die nur um den Preis der Vergangenheit zu haben ist. Und Quabeck findet dabei einen Weg, mit den verwaschenen Videobildern wie ein DJ zu spielen und die Zeitebenen im Schnitt zu verzahnen, der manchmal wie Musik wirkt. Und wann konnte man das zuletzt von einem deutschen Film behaupten?

Womöglich ist es der beste Beleg für den Erfolg eines Films, wenn man hinterher den Wunsch verspürt, noch einmal jünger zu sein. Schließlich ist Identifikation im Kino immer noch das süßeste Gift.

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