23. September 1999 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Nichts als die Wahrheit

Unsere Leichen leben noch

Roland Suso Richter und Götz George exhumieren Josef Mengele: NICHTS ALS DIE WAHRHEIT

Ein Alptraum. Alles ist vorbereitet, der Dreh kann beginnen – und plötzlich fehlt ein Haufen Geld. Also haben alle Beteiligten Opfer gebracht, auf Gagen verzichtet oder sogar eigenes Geld zugeschossen. Die Leute hatten also ein echtes Anliegen, diesen Film zu machen. Koste es, was es wolle.
Nun kommt das beim Film durchaus häufiger vor, dass Haus und Hof verpfändet werden, um etwas auf die Leinwand zu bringen. Unabhängig davon, wie das Ergebnis ausfällt, sieht man hinterher dann meistens auch, warum die jeweiligen Leuten glaubten, sie müssten diesen Film machen. Hier steht man jedoch vor einem Rätsel.

NICHTS ALS DIE WAHRHEIT hat zweifellos ein Anliegen, und wenn man den Äußerungen der Beteiligten folgt, dann auch ein durchaus ehrenhaftes: „Können wir uns das überhaupt leisten, wir Deutsche, einen solchen Film zu machen? Wir kamen zu dem Schluss: Wir können nicht nur, wir müssen sogar!” (Produzent Werner König) „Das ist etwas, womit man sich beschäftigen muss! Das darf man nicht totschweigen.” (Drehbuchautor Johannes W. Betz) „Ich muss mich damit konfrontieren, dass dieser Mengele ein Mensch ist wie du und ich. ” (Regisseur Roland Suso Richter) „Erst wenn ich jemanden diese wahnsinnigen Thesen aussprechen lasse, mache ich doch auch dem Letzten klar, dass sie alle haltlos sind. ” (Verteidiger-Darsteller Kai Wiesinger) „Und am Ende muss der Zuschauer sagen: Gott, was ist das für ein Ungeheuer.” (Mengele-Darsteller Götz George).

So reden sie im Presseheft, und wenn man den Film nicht gesehen hätte, würde man denken: Ja. Genau. Klingt plausibel. Sieht man ihn dann, fragt man sich allerdings: Wovon reden diese Leute eigentlich? Was immer sie vorgehabt haben mögen – im Film ist davon nichts zu sehen. Oder vielleicht zu sehen, aber nicht zu spüren. Um es mal so zu sagen: Der Film hat Schwierigkeiten, beim Gehen den Boden zu berühren. Er schwebt durch einen luftleeren Raum, in dem alles nur auf sich selbst bezogen bleibt und all die Fragen verpuffen. Sie mussten den Film machen, sie durften nicht totschweigen, sie mussten konfrontieren. Wen denn? Was denn? Warum denn?

Warum? Das ist die Frage, die der Film eigentlich stellen wollte. Deswegen hat man Josef Mengele, den 1979 in Brasilien verstorbenen KZ-Arzt, von den Toten auferstehen lassen. Das ist durchaus ein legitimer Kunstgriff – etwas Ähnliches hat bereits Armin Müller-Stahl in CONVERSATION WITH THE BEAST mit Hitler versucht. Das Motiv ist klar: Es geht darum, die Leute vor jenes Tribunal zu stellen, dem sie sich im wirklichen Leben entzogen haben. Weniger um zu verurteilen als um zu verstehen.

Auftritt also: Josef Mengele. Der Totmacher in Potenz. Aber im Unterschied zum Erfolgsfilm von Romuald Karmakar gibt es hier kaum etwas, wodurch Götz George Profil gewinnen könnte. Ein Mann zwischen Dämonie und Gebrechen, ein bleiches Gespenst: Nosferatu, Fantomas, Frankenstein und Colonel Kurtz in einem – und im Zweifelsfall nichts von allem. Und ganz sicher nicht Mengele. Und wenn doch – wozu? Um unsere Probleme beim Umgang mit so einer Figur festzumachen, die Anfälligkeit der Demokratie zu zeigen, die Gefräßigkeit der Medien anzuprangern – so nicht.

Dabei ist es anfangs gar nicht leicht festzumachen, wo eigentlich das Problem ist, weil der Film gar nie zu sich kommt. Man wartet immer auf Auseinandersetzung, Konfrontation, Provokation, aber nichts davon findet statt – man sieht nur, wie Leute ihre Sätze aufsagen, wie sie in Posen erstarren, wie sie ins Leere laufen.

Aber noch schlimmer ist die Kamera: Weil Richter und sein Kameramann Martin Langer zeigen wollen, was sie können, und weil auch sonst nichts los ist, kurven sie unentwegt durch die Kulissen. Wenn die Kamera fährt, dann ohne Anlass, und wenn sie kreist, dann stets um ein leeres Zentrum. Wenn es je ein Beispiel für die falsch verstandene Ambition gab, einen Film amerikanischer als die Amerikaner zu machen, dann hier. NICHTS ALS DIE WAHRHEIT besteht von Anfang bis Ende aus leeren Formen und Formeln – der Film wirkt, als sei er sich selbst abhanden gekommen. Dauernd wird mächtig aufs Gas gedrückt – aber es wurde vergessen, den Gang einzulegen. Lautes Motorengeheul, aber man kommt keinen Zentimeter vom Fleck.

Roland Suso Richter gehört sicher zu den besseren Fernsehregisseuren, aber hier erhärtet er den Verdacht, den man schon bei 14 TAGE LEBENSLÄNGLICH hatte, der auch irgendwie übermotorisiert, unproportioniert und unmäßig wirkte: Der Mann hat im Kino nicht wirklich etwas zu erzählen, tut das aber mit Gewalt. So schwankt sein Film stets zwischen Bundeszentrale für politische Aufklärung und gnadenloser Kolportage, zwischen irgendwie guter Absicht und gnadenlos schlechter Rhetorik. Die Schlussplädoyers von Staatsanwalt (Peter Roggisch) und Verteidiger (Kai Wiesinger) gehören sicher zum abstrusesten und unglaubwürdigsten, was je in einem Gerichtsfilm zu sehen war. Und wenn in dem ganzen Schlamassel auch noch KZ-Opfer vor Gericht auftreten, wirkt das nur noch wie ein weiterer schlecht gesetzter Effekt.

Die Auseinandersetzung, die der Film vom Zaun brechen will, findet einfach nicht statt. Aber zu behaupten, dieser Filme würde Mengeles Tun zur Euthanasie-Debatte verharmlosen, ist wirklich absurd. So blöd sind die Filmemacher nun gewiss nicht – nicht einmal aus Versehen.

NICHTS ALS DIE WAHRHEIT, D 1999 – Regie: Roland Suso Richter. Buch: Johannes W. Betz. Kamera: Martin Langer. Szenenbild: Bettina Schmidt. Mit: Kai Wiesinger, Götz George, Karoline Eichhorn, Doris Schade, Peter Roggisch. BuenaVista. 110 Minuten

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