30. Juli 1999 | Süddeutsche Zeitung | Events, Würdigungen | 50 Jahre Journalistenschule

Und jetzt laßt uns singen!

Die Deutsche Journalistenschule wird fünfzig Jahre alt – wenn alle Absolventen ins „Happy Birthday” einstimmen, wird es ziemlich laut

Autor: Axel Hacke

Also nun sind es schon 1597 Absolventen. Das heißt, in hundert Jahren werden es 3194 sein und in 200 Jahren 6388 ehemalige Journalistenschüler, und wenn sich jeder dann in ein vier Meter langes Auto setzte, gäbe es zur 200-Jahr-Feier einen Korso von mehr als 25 Kilometern Länge, Stoßstange an Stoßstange einmal rund um den Mittleren Ring in München, nur wir ehemaligen Journalistenschüler in unseren Autos. Falls es in 200 Jahren noch Autos gibt.

Die Deutsche Journalistenschule wird es sicher noch geben. Ehrlich gesagt, kann ich mir eine Welt ohne die DJS nicht mehr vorstellen. Wenig hat mein Leben so verändert wie diese Schule, sogar meine erste Frau habe ich auf einer Schulreise nach Berlin kennengelernt. Ich kam 1976 aus der niedersächsischen Provinz nach München, in einem 2CV, auf dessen Beifahrersitz ein Journalistenschüler aus Bremen unter den Zweigen einer Stechpalme saß, die auf dem Rücksitz stand. Ungefähr bei Kassel flog uns das Verdeck des Autos weg, und mein Beifahrer mußte für den Rest der Fahrt auf der Rückbank Platz nehmen, um die Palme festzuhalten. Er ist dann später nicht Journalist geworden, sondern Lufthansa-Pilot, wer weiß, warum.

Meine Vorstellungen vom Journalismus waren damals nur vage. Bei uns zu Hause gab es die Braunschweiger Zeitung und den Spiegel, und als ich mir einmal Geld mit dem Austragen von Bild am Sonntag verdienen wollte, verbot mir mein Vater den Job, weil er das Blatt ekelhaft fand. Er selbst sah jeden Sonntag den Internationalen Frühschoppen, wo unter Leitung von Werner Höfer sechs Journalisten aus fünf Ländern in oft schlechtem Deutsch aufeinander einschrien. Wenn man ihn dabei störte, rief mein Vater: „Ruuuuheee!”. Ich glaube, ich bin Journalist geworden, weil ich einmal an dieser Sendung teilnehmen und auf andere einschreien wollte – und mein Vater sollte mir dabei mit jener Intensität zuhören, mit der er die Sendung verfolgte. Das habe ich nicht geschafft. Überhaupt ist alles anders geworden, als ich dachte, Gott sei Dank.

Erstaunlich übrigens, wie wenig sich die Schule verändert hat. Man kommt vom Altheimer Eck, einer kleinen, belebten Straße in der Münchner Innenstadt. Vorn ein Bekleidungsgeschäft, das vor 25 Jahren Herrn Popig gehörte, er verkaufte gediegene Herrenmode für mittlere Jahrgänge. Heute bekommt man dort schwere Lederstiefel und sehr spitze Schuhe und Fred-Perry-Hemden, das sieht sehr angesagt aus. Dann ein Durchgang in den Hinterhof, rechts die Fachschule für Kosmetikerinnen, links die Rückseite des Hotels Arosa, welches nach wie vor vom ADAC empfohlen wird. Der Fahrstuhl der Schule: sehr langsam, und seine Tür klackt so laut wie keine andere, wenn sie sich schließt und wieder öffnet.

Vier Etagen, ein Zweckbau von 1961, die Sonne knallt von Süden durch hohe Fenster. In den Fluren das Gefühl von damals, pendelnd zwischen der Arroganz von Auserwählten oder doch wenigstens Ausgewählten und schriller Panik angesichts einer unklaren Zukunft in einem immer noch fremden Beruf. Es gibt ja diese legendäre Aufnahmeprüfung. Zweitausend Interessenten bewerben sich für 45 Plätze. Ich kenne einen, der sich viermal beworben hat. Beim letzten Mal hatten sich die Juroren so an ihn gewöhnt, daß sie ihn nahmen, auch Hartnäckigkeit zählt ja im Journalismus, viel sogar. Jemand, der sich auskannte, hatte mir 1976 eingeschärft, daß immer die Frage komme: „Und was tun Sie, wenn Sie abgelehnt werden?” Die Antwort müsse sein, sagte mein Vertrauter, daß man es im nächsten Jahr wieder versuche oder sich ein Volontariat besorge oder wenigstens erstmal ein Praktikum, daß man also weiter nach einem Weg in den Journalismus suchen werde, denn ein anderes Ziel kenne man nicht – ohne Journalismus sei das Leben verpfuscht. So wolle die Kommission die Ernsthaftigkeit der Bewerbung testen.

Wir saßen zu dritt vor der Jury, die Frage kam. Ich antwortete, daß ich es im nächsten Jahr wieder . . ., oder daß ich ein Volontariat . . . oder erstmal ein Praktikum . . . ich hätte nur dieses eine Ziel. Das Mädchen neben mir sagte, sie werde es an der Fachschule für Medizinisch-Technische Assistenten versuchen. Keine Ahnung, was aus ihr geworden ist.
Was ist ein Cordon bleu?

Man schreibt eine Reportage und einen Kommentar und noch eine Reportage, und dann muß man Fragen beantworten, damals zum Beispiel: Wie heißt der Finanzminister von Niedersachsen? Walter Leisler Kiep. Welcher Film bekam jetzt fünf Oscars? Einer flog über das Kuckucksnest. Was verstehen Sie unter Cordon bleu: a) Sektmarke, b) Fleischgericht, c) Tarnorganisation? Jeder halbwegs Allgemeingebildete weiß solches Zeug. Allerdings könnte ich den Finanzminister Niedersachsens heute nicht mit Namen nennen, aber das ist nun kein Problem mehr, für mich nicht und für den Minister vermutlich auch nicht.
Zum Mythos der Prüfung gehören die prominenten Abgelehnten, Alice Schwarzer allen voran. Am besten ist die Geschichte von Jörg Wontorra. Der bestand die Prüfung, aber die Nachricht darüber fing seine Mutter ab – und warf sie weg. Sie wollte, daß der Sohn Jurist werde, nicht Journalist. Man versteht nun, warum der Sohn später eine Show namens Bitte melde dich! moderierte. Die Zahl der prominenten Absolventen ist freilich größer (und wer nur ein paar von ihnen herausstellt, macht sich bei allen anderen sehr unbeliebt): Günther Jauch, Fernsehmoderator, Peter Hausmann, früher Regierungssprecher, Gil Bachrach, Fernsehproduzent, Andreas Petzold, noch Chefredakteur von Hörzu, bald des stern, Dieter Schröder, früher Chefredakteur der SZ, heute Herausgeber der Berliner Zeitung. Ein beeindruckendes Netzwerk ist da entstanden: Wer sich etwa zur Zeit aus deutschen Medien über Israel informieren will, kommt an Journalistenschülern kaum vorbei: Peter Dudzik, ARD–Fernsehen, Hans Tschech, ARD-Hörfunk, Monique Junker, Pro Sieben, Thorsten Schmitz, Süddeutsche Zeitung . . . Alles Journalistenschüler.

Nicht wenige Absolventen gibt es, deren Kinder auch Journalistenschüler wurden. Das spricht für die DJS, denn wer würde seine Kinder schon auf eine Schule schicken, die schon ihm selbst das Leben verhunzte. Von legendärer Fruchtbarkeit in dieser Hinsicht: der zweite Lehrgang des Werner-Friedmann-Institutes Anfang der fünfziger Jahre. Allein fünf seiner zwölf Absolventen hatten Kinder, die Jahrzehnte später eine Lehrredaktion besuchten: Der SZ-Filmkritiker Michael Althen ist ein Sohn von Adolf Althen, früher Leiter der Wirtschaftsredaktion des Bayerischen Fernsehens. Bettina Gaus, heute Hauptstadt-Korrespondentin der taz, ist die Tochter von Günter Gaus, einst Spiegel-Chefredakteur, dann Ständiger Vertreter der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Stephan Lebert, Kisch-Preisträger und Leitender Redakteur des Tagesspiegels, ist einer der Söhne der Brigitte-Kolumnistin Ursula Lebert. Roderich Frantz, ehemals ZDF-Korrespondent in München: Vater von Ulrich Frantz, Fernsehjournalist. Und Henriette Schröder, freie Journalistin, Tochter Dieter Schröders.
Solche Stammbäume gibt es unterdessen nicht wenige. Übrigens muß es nervtötend sein, an der Schule ständig auf berühmte Eltern angesprochen zu werden. Mancher ging soweit, sich zu verleugnen. Als eines Tages wieder einmal ein Dozent den jungen Kollegen Michael Barsig im Unterricht fragte, ob er nicht der Sohn des SFB-Intendanten Franz Barsig sei, antwortete der knapp: „Nein. ” Wir sahen uns irritiert an. Verstanden haben wir ihn.

Sehr schön finde ich, nebenbei gesagt, die Geschichte der Borchs: Maren Mendoza de Borch saß in der fünften Lehrredaktion, Louis von der Borch in der neunten und Johann-Friedrich von der Borch in der 28. Sie sind weder verwandt noch verschwägert, und Journalisten blieben sie alle nicht: Maren ist Professorin in Mexiko, Louis Lehrer und Johann-Friedrich Bio-Bauer in Ostwestfalen. Der einzige Journalist namens Borch, den ich kenne, ist Herbert von Borch, ehemals SZ-Korrespondent in Washington. Aber der war nicht an der Journalistenschule. Etwas Familiäres gehört zum Charme der Schule, auch eine so rührende wie rührige Anhänglichkeit der Absolventen: Mehr als 600 von ihnen gehören einem Förderverein an, der die DJS finanziell unterstützt. Wer hierher kommt, als Angehöriger einer Lehrredaktion und Student im Diplom-Studiengang, ist nicht verloren als Nummer in der Universität. Und er wird vom ersten Tag an von Älteren als junger Kollege behandelt – das gehört zu den Prinzipien.

Weil wir von Prinzipien sprechen: Es gibt unterdessen mehrere sehr angesehene Journalistenschulen in Deutschland, nicht selten nach dem Vorbild der DJS organisiert. Aber, abgesehen von jener in Köln, die auf Wirtschaft spezialisiert ist, ist nur diese hier nicht von einem Verlag abhängig, sondern wird getragen von einem Verein, der 48 Mitglieder hat, darunter verschiedene Sender und etliche Zeitungs- und Zeitschriftenverlage.

Irgendwie entwickelt sich die Schule immer aus sich selbst heraus weiter, auch Mercedes Riederer, die Schulleiterin, ist ja eine Ehemalige, Nachfolgerin des jahrzehntelang die Schule freundlich-väterlich prägenden Jürgen Frohner. Weil uns als Schülern der Unterricht gelegentlich zu verplaudert und anekdotisch war, weil berühmte Kollegen zuviel aus ihrem bewegten Leben erzählten, unterrichteten wir selbst Jahre später härter, urteilten kritischer, versuchten mehr, an den Texten zu arbeiten. Andererseits gibt es Grundsätze des Lehrens, die immer gleichgeblieben sind: Man hält hier saubere Recherche für das A und O des Journalismus. Man glaubt nicht, daß sich Reporter mit der Lektüre von Archivmaterial begnügen sollten; kein Autor könne ohne Augenschein arbeiten. Man hält Politik noch für wichtig. Man lehrt in aller Strenge, daß der Reporter nichts erfinden dürfe. Solche Solidität steht nicht selten quer zu anderen Interessen, von der beliebigen Ausbeutbarkeit der Journalisten in zahlreichen Lokalteilen kleiner Zeitungen bis zu einer gewissen Oberflächlichkeit des modernen Unterhaltungsjournalismus.

Man darf ja nicht vergessen, daß die Gründung einer Journalistenschule für diesen Berufsstand einmal etwas Revolutionäres war, der Ideologie vom Journalismus als Begabungsberuf entgegenstehend. „Die Veranlagung zum Zeitungmachen hat man oder hat es (sic!) nicht”, schrieb das Schwäbische Tagblatt, als im September 1959 aus dem 1949 gegründeten Friedmann-Institut die Journalistenschule wurde. „Das kann man ebensowenig erlernen wie das Dichten und Trachten. Oder wie das Gespür, das einen guten Arzt kennzeichnet. ” Tausende von deutschen Journalisten sind nach dieser Devise billig und schlecht (oder praktisch gar nicht) ausgebildet worden, umraunt von solchen Sprüchen – als verlange nicht der Journalismus wie jeder ehrbare Beruf einerseits Talent, andererseits solides Handwerk. Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Es gibt Zeitungen, die Volontäre hervorragend ausbilden. Die Regel ist das nicht, Tarifverträgen zum Trotz.

Blättern in alten Übungszeitungen. Keine Lehrredaktion, die nicht ihre Spielwiesen gehabt hätte und Abschlußzeitungen mit Titeln wie Der letzte Schrei, L’Osservatore Profano, Bravda oder Alzheimer – Wochenzeitung wider das Vergessen. Wir machten 1978 zwei Seiten über Armut in München. Man ist heute noch erschlagen von dem Ernst und der Gründlichkeit, mit der das Thema verarbeitet wurde: Geschichten über kinderreiche Eltern, Obdachlose, den Straßenstrich, dazu ein Interview mit einem sozialpolitischen Experten. Einer lebte unter Pennern für seine Reportage.

Es war an solchen Tagen, daß eine Welt sich öffnete: Man bekam einen Blick und ein Gefühl für die Möglichkeiten und die Formen-Vielfalt des Journalismus. Wurde unterrichtet von Zeitungs-, Fernseh- und Hörfunkleuten, von Kritikern und Reportern, von Kommentatoren und Korrespondenten, von Eitlen und Schüchternen, Schweigsamen und Plaudertaschen. Und mußte es fast ein Jahr mit Leuten aushalten, die man mochte oder nicht, mit denen man aber zusammenzuarbeiten hatte.

Einer von uns – er moderiert heute eine Nachrichtensendung in der ARD – verdiente während der Schulzeit nicht wenig Geld, indem er, teils unter Pseudonym, für die Abendzeitung unter dem Titel „Paradies und Hölle der Erotik” in einer Serie „die letzten Sex-Geheimnisse der Naturvölker” enthüllte, nachdem er bereits („Tote schweigen nicht”) in einer längeren Artikelfolge „die erregendsten Fälle” aus der Welt der Gerichtsmedizin ausgebreitet hatte. Die meisten mochten das nicht, ja, verachteten ihn dafür. Aber dies ist kein schlechtes Beispiel dafür, wie dicht einem in dieser Schule die Welt des Journalismus in ihren allerverschiedensten Spielarten auf die Pelle rückt, wie sehr man gezwungen ist, sich mit ihr in allen Facetten auseinanderzusetzen und seine eigene Position zu finden.

Wie jede Schule, so ist auch diese immer ein gruppendynamisches Experiment: eine Weile mit Leuten zurechtzukommen, die man im besten Fall zu Freunden gewinnt, im schlimmsten gern am anderen Ende der Welt sähe. So ist es später Tag für Tag in jeder guten Redaktion. Neulich las man im Förder Kreisboten, dem Periodikum des Fördervereins der Ehemaligen, einen Artikel von Karin Storch, die für das ZDF aus Brüssel berichtet. Hätte man ihr vor 30 Jahren prophezeit, schrieb sie, daß sie einmal „NATO-Korrespondentin” würde, sie hätte schallend gelacht – make love, not war habe sie für den schönsten Slogan ihrer Zeit gehalten. Es folgte ein Bericht darüber, was aus den Kolleginnen und Kollegen der Lehrredaktion von 1969 wurde: Vom Abteilungsleiter Staatsschutz im bayerischen Innenministerium bis zum Chefredakteur des Journals für die Frau, von der Lokalredakteurin der Frankfurter Rundschau bis zum Londoner SZ-Korrespondenten ist alles mögliche dabei.

Gibt es ein besseres Beispiel für die Offenheit der Schule? Wieviel sie ermöglicht, wie wenig sie vorgibt? 1597 Absolventen. Es wird laut, wenn wir nun alle Happy Birthday singen.

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